14. Spieltag der 60. Saison der Fußball-Bundesliga, Leipzig gegen SC Freiburg

Mittwoch, 9. November 2022, 20.30 Uhr *

Red Bull Arena, Leipzig *

Leipzig - SC Freiburg *

Das Vorspiel

Ich gebe es zu, spielen könnte ich morgen nicht. Nach dem Baku-Abenteuer und dem sonntäglichen Sieg gegen Köln bin ich mental nicht voll auf der Höhe und körperlich… man wird halt älter… Durch eine falsche Schlafposition habe ich Schmerzen im Oberarm und Schulterbereich. Hinzu kommt ein veritabler Unfall: Gestern Morgen bin ich bei einem geschäftlichen Termin gestolpert und in voller Länge hingeschlagen. Noch auf dem Weg nach unten merkte ich einen Stich im rechten Oberschenkel, eine Zerrung vermute ich. Während der Aufprall zum Glück ohne Folgen blieb, ist die Oberschenkelzerrung sehr schmerzhaft, besonders beim Aufstehen oder Treppen steigen. Also Trainer – kicken kann ich morgen nicht! Kommentieren ist aber kein Problem.

Also steige ich morgen um 9.56 Uhr am Freiburger Hauptbahnhof in den ICE und fahre, mit Umstieg in Mannheim, nach Leipzig. Ankunft ist planmäßig um 15.10 Uhr. Dann beziehe ich das reservierte „Deluxe-Appartement“ in Bahnhofsnähe. Eine Unterkunftsalternative zu einem normalen Hotel – ich habe da schon mal gewohnt, ist eigentlich ganz cool. Mit dem Bahnticket und angesichts der Nahverkehrssituation vor Ort könnte ich eigentlich mit der Straßenbahn zur Red Bull Arena fahren – mit dem gezerrten Oberschenkel allerdings nicht. Das ist mir zuviel Lauferei und Kletterei. Daher muss wohl ein Taxi her. Jetzt wäre mir ein Wagen von „Bolt“ aus Aserbaidschan recht, aber die kommen glaube ich nicht… Günstig waren sie jedenfalls, sicher günstiger als ein deutsches Taxi in Leipzig, aber sei es drum…

Leipzig gegen den SC lautet die Partie – zuletzt gesehen und kommentiert am 21. Mai – dem unvergessenen und unvergesslichen Pokalfinale in Berlin. Genau wie die beiden Bundesligavergleiche der Vorsaison endete auch das Endspiel in Berlin nach den regulären 90 Minuten mit 1:1. Mit anderen Worten: Der SC muss sein Licht gegen die Brause-Kicker aus Sachsen nicht unter den Scheffel stellen. Freiburg kann Leipzig.

Vorab kann ich noch etwas zum Rahmen erzählen: Die organisierte, aktive Fanszene des SC Freiburg hat dazu aufgerufen, dem Spiel in Sachsen, aus Protest gegen das Konzept  "RB Leipzig" , fernzubleiben und stattdessen die U23 des SC in der Dritten Liga im Heimspiel gegen 1860 München zu unterstützen. Ein Aufruf, dem offebar Gehör geschenkt wurde, am Montag waren schon fast 4.000 Karten für das Drittligaspiel verkauft. Auf lautstarke Fanunterstützung wird der SC in der riesigen Red Bull Arena, dem einstigen Zentralstadion,  also kaum setzen können; vielleicht muss ich etwas lauter kommentieren und gegebenenfalls "Tooooooooooor" schreien. Von mir aus gerne - ich habe noch Reserven. Für mich als Radioreporter kommt ein Bestreiken der Partie natürlich nicht in Frage. Ich halte den Leipziger Weg, wie den gesamten Investoren-Fußball für einen Irrweg. Klar fiunktioniert das werbetechnisch irgendwie und einige laden sich die Taschen voller Geld aber mit dem Fußball, den ich als kleiner Junge und Heranwachsender lieben gelernt habe, hat das nichts mehr zu tun. Natürlich wird auch in Freiburg Profifußball gespielt, es gelten die Gesetze des Marktes und so weiter - aber es ist der SC Freiburg e.V. - einzigartiger Verein, so wie Du soll Fußball sein - um mich  argumentativ bei den großen Bandarolen der Fans beim Pokalfinale zu bedienen. Ein Verein gehört allen, die Mitglied sind und die ihn lieben, hat Christian Streich mal gesagt. Ein Fußballclub darf keinem Milliardär oder keiner Firma gehören und der Fußball muss bitte schön im Mittelpunkt stehen. Um dieses faszinierende Spiel mit dem Ball geht es; nicjt um Werbung und Marketing - auch nicht um Choreos, Pyro und Rahmenprogramm, sage ich aber auch. Als Fußball-Purist konnte ich sogar als Kommentator im Stadion mit den Geisterspielen leben. Natürlich ist es mit Fans und Stimmung und so schöner und besser, das einzig wirklich Wichtige ist für mich aber der Fußball. Und der soll möglichst so organisisert sein, dass es Teilhabe für alle gibt - der e.V. erscheint mir noch immer die idealste Organisationsform dafür. Der Sport-Club macht es vor und er ist erfolgreich damit; damit kann ich mich zu hundert Prozent identifizieren.

Inzwischen weiß ich: Rund 600 Fans werden den SC trotz des Aufrufs einiger ander Fangruppen, nach Leipzig begleiten, Kofi Kyereh hingegen fällt - nach Krankheit - weiter aus. Da der SC im vergangenen Jahr - jeweils nach 90 Minuten - dreimal 1:1 gegen Leipzig gespielt hat, jetzt aber qualitativ besser aufgestellt ist, fahre ich durchaus optimistisch gen Osten, auch wenn die Brausekicker natürlich in der Favoritenrolle sind. Unsere Jungs sind auch richtig gut... 

Ich kommentiere das Bundesligaspiel Leipzig gegen SC Freiburg morgen ab 20 Uhr live in der baden.fm-Bundesligashow.

Das Fußballspiel

(Mein 1.076. SC-Livespiel am Radiomikrofon)

Christian Streich hatte sich für eine stabile Defensive entschieden. 3-5-2 bei eigenem Ballbesitz, 5-3-2, wenn Leipzig den Ball hatte. Verzicht auf hohes Anlaufen, um schnelles Leipziger Umschaltspiel zu vermeiden, gehörte ebenfalls zum Rezept. Damit war klar, dass Leipzig viel am Ball sein würde und so statistisch deutlich mehr Spielanteile hatte, es war aber ein wirkungsvolles Mittel, um hinten sauber zu bleiben, was in der ersten Halbzeit auch gelang. (Nur) zweimal wurde es vor Fleckens Tor richtig gefährlich: in der 16. Minute kommt Nkunku, Schütze des 1:1 im Pokalfinale, in halsbrecherischen Position an den Ball, lupft ihn gekonnt über Flecken hinweg Richtung Tor, trifft aber nur den rechten Außenpfosten. Glück gehabt, SC!

In der 38. Minute kommt Orban im Strafraum zum Kopfball. Unabsichtlich von Philipp Lienhart abgefälscht, wird der Ball tückisch für Marc Flekken - der Keeper, wohl in der Hoffnung auf eine WM-Nominierung von oben bis unten in Oranje gedresst, taucht aber ab und lenkt den Ball gegen und um den Pfosten. Im Anschluss an die Nachfolgende Ecke touchiert der Ball erneut Alu - trotz deutlicher Leipziger Dominanz, geht die Partie torlos in die Pause. Ärgerlich: Offensiv hatte der SC nur in Ansätzen stattgefunden. Kein einziger auch nur annähernd erfolgversprechende Abschluss war zu registrieren. Aber: 0:0 zur Pause - damit konnte Freiburg gut leben.

Neun Minuten nach Wiederbeginn bekam Leipzig den fünften Eckball zugesprochen. In der Folge trifft Nkunku die Querlatte und der aufgerückte Simakan verwandelt den Nachschuss zum 1:0.

Freiburg wechselt und baut um: Roland Sallai kommt für Christian Günter und Kevin Schade ersetzt Michael Gregoritsch. Lukas Kübler mutiert vom rechten Glied der Dreierkette zum Linksverteider der nun präferierten Viererkette. Diese neue Ordnung in der Freiburger Grundstruktur ist noch im Findungsprozess, als Leipzig die relative Unordnung aus Seiten der Gäste zu einem Umschaltangriff par excellence nutzt und - nur zwei Minuten nach der Führung - schon wieder jubelt - Nkunku hat getroffen.

Spiel entschieden - alles gelaufen? Weit gefehlt: Zehn Minuten nach dem 2:0 gelingt Lukas Kübler mit einem Volleyschuss aus 18 Metern ein Traumtor für die nun mutig agierenden Freiburger.

Der Traum vom gedrehten Spiel und einem Remis in der Red Bull Arena währt aber nicht allzu lange…

Weitere zehn Minuten später (2:0 in der 56. / 2:1 in der 66.), also in der 76. Minute nutzt Nkunku eine harmlose, wirklich „handelsübliche“ Berührung von Höfler zu einem theatralischen Sturz im Strafraum. Es ist in den vergangenen zwei Jahren der dritte Versuch des Franzosen, in einem Spiel gegen Freiburg einen Elfmeter zu schinden und zum dritten Mal fällt der Schiedsrichter darauf herein - diesmal Harm Osmers aus Hannover. Elfmeter gibts bei Foul, nicht bei Berührung, dennoch greift der VAR nicht ein. Vermutete Begründung: Keine krasse Fehlentscheidung, denn es gibt ja eine Berührung.

Forstweg verwandelt den Strafstoß und die Partie ist entschieden.

Wegen der Dominanz und des klaren Chancenplus‘ gewinnt Leipzig am Ende verdient mit 3:1. wenn man die Umstände im Detail betrachtet, wäre ein Remis durchaus möglich gewesen, aber nicht, wenn neben dem starken Gegner auch noch Schiri-Pech dazu kommt. Natürlich gab es auch ein Manko an eigenen Torchancen.

 

Das Nachspiel

Rückblickend war es ein verkorkstes Auswärtsspiel - besonders für mich. Das ging schon am Dienstag los. Der SC hatte die PK vor dem Leipzig-Spiel kurzfristig von 11 Uhr auf 15.45 Uhr verschoben. Dienstagnachmittag ist beibringst im WZO-Verlag „Highlife“ wegen der Zeitungsproduktion. Trotzdem machte ich mich frei, fuhr von Bad Krozingen nach Freiburg, kam wegen dichten Verkehrs drei Minuten zu spät und stand vor verschlossener Tür. Ich klopfte und wartete - kein SC-Mitarbeiter weit und breit… Also kehrte ich unverrichteter Dinge zurück in die Kurstadt. „Ein schlechtes Omen?“ fragte ich mich scherzhaft.

Am Mittwoch hatte ich noch immer Schmerzen im rechten Oberschenkel, eine Zerrung vermute ich, und ein Problem mit der Halswirbelsäule - irgendwas ist da seit Tagen verzogen…“Man wird älter“, scherzte ich mit mir selber und trat die lange Bahnreise nach Leipzig an. Dort genoss ich ein kostenloses Upgrade und bezog eine schmucke Penthouse-Wohnung. „Na also, geht doch - läuft!“ machte ich mir Mut.

Um 18 Uhr rief ich ein Taxiunternehmen an und bestellte für „unverzüglich“ einen Wagen für die Fahrt zur Arena. Die nette Dame am Telefon teilte mir mit, der Fahrer werde sich per sms ankündigen.

Jetzt ist Donnerstagmorgen, 9.51 Uhr, ich sitze im ICE zwischen Fulda und Frankfurt und warte immer noch auf die sms.

Zunächst wartete ich freilich in Leipzig, vor der Haustür. Nach einer knappen halben Stunde hatte ich die Faxen dicke und entschloss mich, ein freies Taxi anzuhalten - es kam aber keines - und schließlich zum Hauptbahnhof vorzulaufen. Gegen 19 Uhr bestieg ich dort ein Taxi, nannte mein Ziel und wurde vom Fahrer gewarnt: Mit der Straßenbahn käme ich schneller ans Ziel. Ich verwies auf meinen Koffer und mein schmerzendes Bein und nahm im Fond des Mercedes Platz. Entspannt verfolgte ich auf dem Smartphone den Kick der U23 gegen 1860 München und merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Vom Bahnhof bis Arena standen wir im Stau - eine Stunde dauerte der Transfer, der mit 47 Euro ins Budget schlug. Erst um 20 Uhr, Beginn der Baden.fm-Bundesligashow, betrat ich die Arena. Hier lief jetzt alles recht flüssig - vor allem die Technik klappte auf Anhieb. Mit der Bekanntgabe der Mannschaftsaufstellung stieg ich in die Radioshow ein. Gleichzeitig brachte mir eine junge Dame, zuständig für „Gäste mit eingeschränkter Mobilität“, wie sie mir sagte, eine Boulette im Brötchen und ein Radler. Das Mädel hatte mich wohl die Tribüne herauf humpeln sehen; genauso wie Marius Faller von der Presseabteilung des SC, der runterkam und mein Köfferchen nach oben trug - denn ganz oben, unter dem Tribünendach der Arena war mein Arbeitsplatz.

 

Nach dem Spiel entschied ich mich, erstmal meinen Kram zu packen und dann in die Katakomben herunterzufahren - auf die Gefahr hin, zu spät zu kommen. Ich wollte aber nicht nochmal die vielen Stufen hochsteigen…

Trotz der Verzögerung gelang es mir, in der Mixedzone Lucas Höler abzugreifen, als er mit den eingewechselten Spielern vom Auslaufen reinkam. Er gab mir das gewünschte Interview, dann humpelte ich zum Presseraum, zur PK mit den Trainern. Es folgte das obligatorische - und wie meistens sehr ergiebige - Streich-Interview. Danach beschlossen BZ-Sportredakteur David Weigend und ich, gemeinsam mit der Straßenbahn in die Innenstadt zu fahren - David zu seinem Hotel, ich zu der hotelartigen Wohnung, beides in Bahnhofsnähe.

In meiner angenehmen Behausung angekommen, schrieb ich noch zwei, drei WhatsApp-Nachrichten - und dann den Text für den Nachbericht im Baden.FM-Frühstücksclub. Die Aufnahme gelang auf Anhieb. Dann war es etwa halb eins und ich war froh, mich ablegen zu können. Mein Hörbuch stellte ich auf Einschlafmodus, das heißt, es würde sich nach zehn Minuten automatisch abschalten, was ich noch im Halbschlaf mitbekam.

 

Ich sitze im ICE, wir kommen gleich nach Frankfurt, wo ich umsteigen muss. Das Reporter-Tagebuch zum letzten Auswärtsspiel 2022 ist fertig. Sonntag kommt Union und dann ist Winterpause; und das ist gut so - auch wenn ich meinen Job total liebe. Ein bisschen müde bin ich jetzt, am Ende von sechs Englischen Wochen am Stück, schon - normal, oder?