9. Spieltag der Fußball-Bundesliga, FC Augsburg gegen SC Freiburg

Samstag, 28 November 2020, 15.30 Uhr *

WWK-Arena, Augsburg *

FC Augsburg - SC Freiburg *

Das Vorspiel

Der FC Augsburg war mal ziemlich lange weg von der Bundesliga-Landkarte - damals, als ich den Club erstmals persönlich kennenlernte, quasi in Erstkontakt kam. Wenn meine Internet- Recherchen stimmen sind wir im Jahr 2003, genauer gesagt am Wochenende 19./20. April. Der Sport-Club sollte ein paar Wochen später in Burghausen einen seiner vielen Wiederaufstiege feiern, die ich als Reporter begleiten durfte. Für Sonntag, 20. April, war das Zweitliga-Auswärtsspiel bei Eintracht Trier angesetzt. Der SC würde des mit 0:1 gewinnen, weil Zlatan Bajramovic ein Tor in der Nachspielzeit gelingen sollte. Ich verband die Auswärtsreise nach Trier, begleitet von meinem damals 16-jährigen Sohn Jérôme, mit einem Abstecher ins saarländische Elversberg. Dort fand das Regionalligaspiel SV Elversberg gegen den FC Augsburg statt. Trainer des FCA war zu jener Zeit mein alter Bielefelder Spezi, Ernst Middendorp. Der Coach, Wegbegleiter meiner ersten professionellen Schritte als Sportjournalist, wurde in der vergangenen Saison übrigens mit den Kaizer Chiefs aus Johannesburg – wegen eines fehlenden Tores – „nur“ Vizemeister in Südafrika, wurde geschasst und coacht jetzt einen großen Club in Äthiopien. Er ist halt ein Globetrotter…  In einem Podcast-Interview, das man über die App „football was my first love“ hören kann, hat er sich kürzlich an seine bislang drei Phasen als Arminia-Trainer erinnert. Es war mir eine Freude; Ernst ist immer noch Ernst. Für mich ist „Power-Ernst“ übrigens der potenzielle Schalke-Retter – vermutlich kommt aber außer mir keiner auf ihn. Außerdem muss Schalke nicht gerettet werden. Die sollen ruhig hinter „uns“ bleiben.

Im April 2003 war Ernst Middendorp also Trainer beim damaligen Regionalligisten FC Augsburg und wir hatten uns im Mannschaftshotel irgendwo im Saarland verabredet. Nach einem netten privaten Austausch im Hotel-Foyer zog sich der Coach zurück. Wir hatten verabredet, dass wir dem Mannschaftsbus hinterher fahren würden, um das Spiel in Elversberg im Stadion zu erleben. Also hing ich mit Jérôme in der Hotelhalle ab. Wir beobachteten, wie nach und nach die Spieler des FCA aus ihren Zimmern kommend, dort eintrafen und wartend herumlungerten. Unter ihnen waren nicht wenige mit Arminia-Vergangenheit: Zdenko Miletic, Christian Alder, André Hofschneider, Jörg Reeb und Jörg Bode. Der FCA wollte, finanziert von dem Multimillionär Walther Seinsch – ein Name, den man mit den Unternehmen Takko und Kik verbindet – hoch hinaus. 2003 sollte es ihnen – trotz Ernst und namhafter Spieler mit Arminia-Vergangenheit – (noch) nicht gelingen. An jenem 19. April 2003 im Saarland hingen wir also in der Hotelhalle ab, als plötzlich sich eilig nähernde laute und schnelle, sehr entschlossene Schritte zu hören waren. Ich wusste schon lange, bevor er um die Ecke bog, dass das nur Ernst sein konnte. Man müsse Dynamik und Entschlossenheit als Trainer vorleben, hat er mir später mal erklärt. Dass die vorher abhängenden Kicker jetzt nicht „stramm“ standen, hat mich fast etwas gewundert. Immerhin kam aber eilige Bewegung in die Gruppe. Ab in den Bus und damit ging es dann nach Elversberg, Jérôme und ich im PKW hinterher. Auf dem Parkplatz vor dem kleinen Stadion fuhren dann ein paar Limousinen aus Augsburg vor. „VIP-Fanclub FC Augsburg“ war zu lesen – und die meinten das tatsächlich ernst mit ihrem VIP-Getue. Alles Anzugträger. Mein Sohn und ich mussten etwas schmunzeln.

Das Spiel war kein Bringer. Elversberg und Augsburg trennten sich vor 400 zahlenden Zuschauern 1:1. Als Ernst bei seinem ersten Engagement in Bielefeld Trainer in der Oberliga Westfalen war, kamen im Schnitt 7.000 Zuschauer zu den Heimspielen und 3.000 bis 5.000 Arminen-Fans reisten mit zu den Auswärtsspielen. „Das hier ist nicht Deine Welt, Ernst“ dachte ich und die folgenden zwei Jahrzehnte sollten mir Recht geben.

Ernst Middendorp machte seinen Weg als Erstligatrainer in aller Welt und auch der FC Augsburg kam irgendwann da an, wo er unbedingt hinwollte: In der Bundesliga. Die nächsten Erinnerungen an den FCA habe ich an Zweitligaspiele mit dem SC Freiburg im alten Stadion an der Rosenau. Zu der Zeit wurde irgendwann Andreas Rettig Manager bei den sogenannten Fuggerstädtern. Unter seiner Regie entstand dann das neue Stadion, in dem der FCA inzwischen als Erstbundesligist  unterwegs ist. Ich bin kein Fan das Stadions, weil es Pfeiler gibt, die die Sicht versperren und die Pressetribüne immer ein bisschen wie ein Provisorium wirkt, als käme da nochmal was Richtiges hin. Wenn man ein neues Stadion konzipiert, sollten solche Pfeiler und solche Provisorien mit Holzgestellen eigentlich keine Rolle mehr spielen aber sei es drum… Das Ding steht ja nicht in Freiburg. ...

In jedem Fall habe ich auch an das neue Augsburger Stadion lebhafte Erinnerungen.  Die Spiele dort waren selten schön. Augsburg spielt in der Regel keinen schönen Fußball. Meistens sehr körperbetont und rustikal. Das ist mein Gesamteindruck aus den vergangenen Jahren.

2017 kickte der SC zweimal beim FCA: Zunächst im Frühjahr, am 18. März. Zuvor, am Donnerstag, 9. März 2017, war ich direkt im Anschluss an die SC-PK vor dem Heimspiel gegen Hoffenheim als Notfall ins Krankenhaus gekommen. Es sollte sich herausstellen, dass ich eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse hatte – womit nicht zu spaßen ist. Später sollte ich erfahren, dass ein enger beruflicher Wegbegleiter, ein Bruder im Geiste möchte ich sagen, ein paar Jahre zuvor elendig daran krepiert war. Das wusste ich aber zum Glück nicht, als ich im Krankenhaus lag und den Menschen um mich herum arg viele Sorgen bereitet habe. Die Ärzte im Josefshaus in Freiburg haben mich aber wieder hingekriegt. Nach genau einer Woche wurde ich entlassen. Ich war genervt, nach 25 Jahren "SC Freiburg live" mit mit dem Heimspiel gegen Hoffenheim erstmals ein Spiel verpasst zu haben und wollte unbedingt zum Kick nach Augsburg; zwei Tage nach meiner Entlassung. Die Geschichte habe ich schon anlässlich des letzten Auswärtsspiel-Augsburg-Tagebuchs ausführlich erzählt, deshalb nur ganz kurz: Der SC holte beim 1:1 einen Punkt – Florian Niederlechner, der kickt inzwischen in Augsburg, hatte für den den SC getroffen – Stafylidis hatte aber noch vor der Pause ausgeglichen. Dabei blieb es dann. Ich hatte übrigens nach einer Verletzung der Stimmbänder, die ich offenbar beim Verlegen eines Schlauchs durch Nase und Hals in meinen Magen erlitten hatte (während der SC gerade gegen Hoffenheim kickte), erhebliche Probleme mit meiner Stimme. Aber ich war dabei. Ich war zurück im (Reporter-)Leben.

Ein paar Monate später, ich war natürlich längst wieder bei Stimme, war der SC richtig stark in Augsburg - das Spiel wird allerdings auch den FCA-Fans in guter Erinnerung bleiben: Es war kurz vor Weihnachten 2017, also ziemlich genau vor drei Jahren. Augsburg ging durch Finnbogason in der 1. Minute in Führung. Christian Günter konnte in der 20. Minute zum 1:1-Halbzeitstand ausgleichen. Dann dominierte der SC von der 46. Bis zur 90. Minute, dass es eine Freude war. Ein Doppelpack von Nils Petersen brachte den SC in der wohl besten Begegnung von Tim Kleindienst für Freiburg, auf die vermeintliche Siegerstraße. In der Nachspielzeit (!) fing sich Freiburg dann aber noch zwei (!) Gegentore durch Finnbogason ein, der, ähnlich wie der Mainzer Mateta, besonders gerne gegen den SC Freiburg trifft. Am Ende hieß es also 3:3 – ein Auswärtspunkt, der im Prinzip erfreulich ist, aber einem verpassten Sieg entsprach. Ich erinnere mich noch lebendig an meine ambivalenten Gefühle nach dem Abpfiff.

In der vergangenen Saison gab es sowohl in Freiburg als auch in Augsburg – übrigens am 15. Februar dieses Jahres, also noch vor dem ersten Lockdown – jeweils  ein 1:1 Unentschieden. Philipp Max – der Max, der jetzt in Holland spielt und Nationalspieler geworden ist – hatte Augsburg in der 38.Minute Führung gebracht, Janik Haberer hatte in der 51. Minute den Ausgleich erzielt. Prägende Erinnerungen hat das Spiel nicht hinterlassen. Ich weiß noch, dass es kalt war und dass ich auf der Rückfahrt in Friedrichshafen übernachtet habe – ansonsten…  Jetzt habe ich aber mal im entsprechenden Tagebucheintrag vom Februar gespickt und festgestellt, dass der SC ganz gut gekickt hat, besser war als Augsburg, aber mal wieder mit dem vielen Ballbesitz nichts anfangen konnte. Das bringt uns ja auf die aktuellen Probleme…

Und damit sind wir in der Jetzt-Zeit. Es ist Freitag – morgen steigt der Kick in Augsburg. Auf der gestrigen Pressekonferenz hat Trainer Christian Streich sinngemäß gesagt, dass nach der unerfreulichen und unerwarteten Niederlage gegen Mainz alles hinterfragt worden wäre; daraus geht hervor: Grundformation, Taktik, Einsatz, Haltung, Personalauswahl und und und. Man darf also gespannt sein, ob es morgen personelle Veränderungen geben wird. Laut Streich geht es um die Haltung jedes Einzelnen. Alarmstufe Rot beim SC – Schlotterbeck, Gulde, Abrashi, Til, Jeong und Demirovic scharren mit den Hufen. Die geringe Fluktuation in der Startelf hänge auch damit zusammen, dass sich keiner im Training aufdränge, ließ Streich allerdings auf Nachfrage auch durchblicken. Der Kicker prognostiziert vor diesem Hintergrund quasi dieselbe Startelf wie gegen Mainz (lediglich Höfler für Tempelmann) – das kann ich mir fast nicht vorstellen. Ich bin echt gespannt.

Wir kommen zu meinem Reiseplan. Aufenthalte in der Fremde sind zurzeit – schon wegen des Teil-Lockdowns – kein Vergnügen. Morgens hin, dann top-konzentriert und möglichst unterhaltsam eine Bundesligashow bei baden.fm abliefern und dann wieder ins Auto und zurück nach Bad Krozingen – nee, das will ich mir nach reiflicher Überlegung aber trotzdem nicht wirklich zumuten. Deshalb habe ich mir ein Zimmer im Quality-Hotel Augsburg, einem Vier-Sterne-Laden, reserviert; 49 Euro inklusive Frühstück – das klingt doch gut. Danke, booking.com! Also hole ich heute Abend den baden.fm-Toyota vom Funkhaus ab und starte morgen nach dem Frühstück Richtung Augsburg. Mutmaßlich wähle ich die Bodensee-Strecke, erinnere mich im Vorbeifahren nostalgisch an unseren familiären Pfingsturlaub in Meersburg und fahre nach dem Spiel ins Hotel. Ich werde mir ein Fläschchen von Edel-Winzer Fritz Waßmer mitnehmen und abends im Zimmer genießen – zusammen mit dem Lieferando-Dinner...

Sonntagvormittag geht es dann zurück nach Südbaden.

Ich übertrage das Bundesligaspiel FC Augsburg gegen SC Freiburg am Samstag ab 15 Uhr in der baden.fm-Bundesligashow.

 

Das Fußballspiel

(Mein 990. SC-Livespiel am Radio-Mikrofon)

Wie schon im „Vorspiel“ angedeutet, hatte ich für das Augsburg-Spiel mit wesentlichen Veränderungen im Team des SC Freiburg gerechnet. Die öffentlichen Aussagen von Christian Streich, es dränge sich im Training niemand auf und es ginge nicht darum, wer spielt, sondern mit welcher Haltung die Spieler in eine Partie gingen, war mir verdächtig und – so mein Eindruck – eher für den Kollegen Heiko Herrlich bestimmt. Ich war mir nach diesen Aussagen sicher, der Trainer würde die Freiburger Mannschaft kräftig durcheinanderwirbeln. Und das tat er dann auch:

Zunächst in der Grundformation – aus 4-4-2 wurde in Augsburg eine 3-4-3. Personell gab es vier Wechsel: Verteidiger Dominique Heintz, Talent Lino Tempelmann und Torjäger Nils Petersen mussten auf die Bank, Roland Sallai fehlte wegen muskulärer Probleme gänzlich im Kader für den neunten Bundesligaspieltag.  Ihre Startelfpremiere der Saison feierten Keven Schlotterbeck als zentrales Glied der Dreierkette und Ermedin Demirovic als Mittelstürmer. Beide sollten ihre Sache gut machen; Schlotterbeck so souverän, wie in vielen Spielen der Vorsaison für Union Berlin und Demirovic durch seine energiegeladene, kantige Spielweise, die ein ungewohntes Element im Sturmspiel des SC Freiburg darstellt. Zudem rotierten Abwehrspieler Manuel Gulde und Nicolas Höfler in die Startelf, dessen Fehlen sich in der ersten Halbzeit gegen Mainz als folgenschwer herausgestellt hatte.

Der SC agierte konzentriert und gewohnt lauffreudig in Augsburg, spielte gradliniger und dadurch auch gefährlicher als der FCA. Schon in der vierten Minute hatten die Gäste ihre erste gute Torchance: Batptiste Santamaria spielte einen entschlossenen Steilpass auf Vincenzo Grifo, der leitete gedankenschnell weiter auf Ermedin Demirovic, dessen Querpass Höler in Mittelstürmerposition erreichte. Letzterer konnte aber, bedrängt von Verteidiger Uduokhai, den Ball nicht am einstigen Schwolow-Vertreter Gikievic zwischen den Pfosten des FCA vorbeibringen. Auffällig war das Offensivpressing der Freiburger, mit dem sie den FCA häufig am eigenen Strafraum festnagelten. In der 7. Minute kam Demirovic beim Anlaufen des ballführenden Abwehrspielers etwas zu spät und traf Uduokhai am Fuß. Zu meiner Überraschung zückte Schiedsrichter Schröder aus Hannover die Gelbe Karte – „sehr streng“ urteilte ich am Mikrofon – der Unparteiische sollte seiner strengen Linie aber in der Folgezeit treu bleiben, deshalb: keine Kritik.

Ein misslungener Abschlag von Gikievic wird on der 13. Minute von Lucas Höler per Kopf abgefangen, der schickt Jonathan Schmid, dessen Flanke aber zu ungenau für den in Position gelaufenen Baptiste Santamaria kommt. In der 22. Minute hätte es dann eigentlich „klingeln“ müssen: Jonathan Schmid bedient Vincenzo Grifo, der in Mittelstürmerposition direkt abzieht – eigentlich ein „Geschenk“ für den technisch starken Deutsch-Italiener, der reicht das „Geschenk“ aber an Augsburg weiter, schießt neben das Tor.

Was mich bei winterlichen Temperaturen auf der Pressetribüne der WWK-Arena innerlich etwas erwärmt ist, zu sehen, dass es dem SC immer wieder mal gelingt, Torgefahr heraufzubeschwören, während bei Augsburg nach vorne gar nichts geht. Die neu formierte SC-Abwehr steht gut und gegen den Ball machen alle konzentriert mit. In der Schlussphase der für objektive Beobachter recht zähen ersten Halbzeit versucht der FCA, das Spiel etwas mehr in die Hälfte der Freiburger zu verlagern, in Strafraumnähe sind die fußballerisch offenbar limitierten Schützlinge von Heiko Herrlich aber mit ihrem Latein am Ende. Halbzeit 0:0.

In der Pause wärme ich mich im Innenbereich des Stadions an einem großflächigen Wandheizkörper etwas auf. Ich sehe viele den Kopf schüttelnde Augsburger Kollegen, die unzufrieden mit dem fußballerischen Auftritt ihres FCA sind und das auch murrend äußern.

Zu Beginn der zweiten Hälfte lässt der SC die Gastgeber etwas mehr kommen, die bekommen trotzdem keine Torchance hin. Der SC lauert in dieser Phase auf Konter – in der 56. Minute gelingt ein solcher, am Ende aber versucht es Ermedin Demirovic alleine, statt – wie in der 4. Minute – auf Höler zu spielen. Die Chance verpufft. Zwei Minuten später kommt Nils Petersen für „Demi“.  Nach einer guten Stunde hat der SC ein paar „Halb-Chancen“, ein Zuspiel auf Nils Petersen ist aber zu ungenau und bevor Baptiste Santamaria schießen kann ist ein Verteidiger zur Stelle und spitzelt den Ball weg. Passgeber war jeweils Jonathan Schmid. Irgendwie liegt jetzt aber ein Tor für die Gäste in der Luft und dann fällt es auch. Der in den vergangenen Wochen viel gescholtene Nicolas Höfler taucht auf dem rechten Flügel auf, setzt sich gegen drei Augsburger, die nicht richtig attackieren, durch und flankt in die Mitte. Grifo nimmt die Kugel sechs Meter vor dem Tor an und schließt gekonnt ab – 0:1 in der 64. Minute – die verdiente Führung für die insgesamt bessere Mannschaft.

In der 73. Minute bringt Heiko Herrlich mit Gregoritsch für Khedira zusätzliche Offensivkraft auf den Rasen. Der neue Mann zieht dann, nach einem Eckball, auch gleich mal ab – aus elf Metern, volley und mit Schmackes… Er trifft aber den Hinterkopf eines  Mitspielers, wodurch die Kugel hoch über das Tor fliegt. Florian Müller, der kaum etwas zu tun hatte an diesem kalten Novembernachmittag in Augsburg, stand zwar im bedrohten Eck – trotzdem fiel mir ein Stein vom Herzen, das ein Augsburger im Weg gestanden hatte.

Der FCA erhöht den Druck und drängt den SC hinten rein. Dennoch finden die Augsburger zunächst keine Lücke in der dichten Abwehrreihe der Gäste. So war es auch in der 80. Minute… Quergeschiebe vor dem Strafraum. Der Ball wird auf den linken Flügel gespielt, wo Vargas Richtung Strafraumeck kurvt und einfach mal abzieht. Jonathan Schmid wirft sich in den Ball und fälscht ihn so unglücklich ab, dass Florian Müller, der schon in die andere Richtung unterwegs war, keine Chance mehr hat, den Ball zu halten. Ich kreide dem jungen Torwart, der natürlich „dämlich“ aussieht in dieser Situation, den Treffer am Mikrofon an, muss mich aber ein paar Minuten später – nach Videostudium des Treffers – in der baden.fm-Bundesligashow korrigieren; dass Schmid abgefälscht hatte, war mir in der Livesituation entgangen. Sorry, Flo!

Die letzten zehn Minuten wurden nun zu einem offenen Schlagabtausch, in dem beide Mannschaften versuchten, den Siegestreffer zu erzielen – keiner gelang es. Abpfiff, Ende, Auswärtspunkt.

 

Das Nachspiel

Nach dem 1:1 im Februar an gleicher Stätte bin ich nicht unzufrieden mit demselben Ergebnis und dem abermaligen Auswärtspunkt in der WWK-Arena. Wegen der Kälte verlasse ich die Sportanlage aber relativ flott, nicht ohne mich schon mal online mit der Pressekonferenz zu verbinden. Die Air-Pods unter der Puma-Mütze in den Ohren gehe ich zum Ausgang. Als der hinter mir liegt, kann und will ich endlich meine Maske abnehmen, die ich seit über drei Stunden trage. Dazu muss ich die Mütze absetzen und mein Gepäck abstellen. Dann merke ich: Einer der teuren Air-Pods ins weg. Gleichzeitig höre ich aber einen Ordner, der mir etwas hinterherruft. Ihm war aufgefallen, dass mir ein paar Meter zuvor, beim Abstreifen der Mütze, das kleine Teil aus dem Ohr gefallen war.  Ich bedanke mich sehr, hebe den Air-Pod auf, bringe ihn wieder an seinen Platz und freue mich über den aufmerksamen FCA-Ordner. Ohne Maske laufe ich die 100 Meter bis zum baden.fm-Toyota, der diesmal auf dem VIP-Parkplatz gleich am Stadioneingang parken durfte, Ich packe die Ausrüstung in den Kofferraum, nehme auf dem Fahrersitz Platz und warte auf den Beginn der digitalen PK. In deren Verlauf frage ich Christian Streich, wieviel der verletzungsbedingte Ausfall von Roland Sallai mit der Berücksichtigung von Ermedin Demirovic für die Startelf und Kevin Schade – Mittelstürmer des Freiburger Regionalligateams – für die Bank zu tun hat. Streich bestätigt, dass Schade durch die Verletzung von Sallai in den Kader gerutscht war. Demirovic bestätigt er eine gute Leistung, lässt aber offen, ob ein unverletzter Sallai sonst gespielt hätte.

Dann fahre ich ins „Quality Hotel“ auf der anderen Seite der Stadt. An der Rezeption sehe ich, dass hier ein Einzelzimmer mit Frühstück schlappe 199 Euro pro Nacht kostet. Ich hatte bei booking.com für 49 Euro gebucht und bin beeindruckt. In der Tat erweist sich das Haus als sehr gute Adresse, übrigens mit kostenlosem Sky-Bundesliga-Angebot auf den Zimmern. So kann ich mir entspannt das Abendspiel zwischen Gladbach und Schalke anschauen. Bei Lieferando bestelle ich eine Pizza „James Bond“ und öffne schon mal die mitgebrachte Flasche Roten von Edel-Winzer Fritz Waßmer. Als die Pizza verputzt ist und die Flasche leer, verzichte ich auf Fernsehberieselung, lege mich ins Bett, lausche noch ein bisschen meinem Hörbuch-Krimi und schlafe früh ein.

Entsprechend früh bin ich am Sonntag auch wieder munter; Ich gönne mir ein Bad in der Badewanne und hole mir das Frühstück vom Büffet aufs Zimmer. Das ist wegen Corona  so festgelegt. Das Angebot ist exzellent: Frisch mit Wunschzutaten zubereitetes Omelette, Räucherlachs und feinste Wurstwaren und – ganz selten in Bayern – richtig gute Brötchen. Ich schwelge nochmal im Genuss, bevor ich für ein paar Stunden auf die Autobahn gehe, um heimzureisen. War ich am Samstag entlang des Bodensees nach Augsburg gereist, nehme ich zurück die klassische Autobahnstrecke über Ulm, Stuttgart und Karlsruhe.  Resümierend komme ich zu dem Schluss, dass ich mit der Übernachtung in Augsburg nach dem Job in der Kälte des Stadions alles richtig gemacht hatte. Zum Mittagessen im Familienkreis bin ich wieder zuhause.

 

Die neue Woche beginnt mit dem Radio-Talk in der baden.fm-Morningshow, gefolgt vom Verfassen meiner Zeitungskolumne; hier ist sie:

 

SC INTEAM

Der Frage, wie das 1:1-Remis des SC Freiburg beim FC Augsburg sportlich einzuordnen ist, sollte eine Klärung der Perspektive vorangehen: Seit der enttäuschenden 1:3-Heimniederlage gegen Mainz und seit Wochen ausbleibenden Siegen scheint geklärt, dass der SC in diesem Jahr – wie in den meisten Jahren seiner Bundesligazugehörigkeit – im Abstiegskampf steht. Das ist nichts Unanständiges, sondern, unterbrochen von  einer Saison in der Komfortzone der Liga, die über Jahrzehnte geübte Normalität. Für eine Mannschaft im Abstiegskampf ist ein Auswärtspunkt in Augsburg aber ein erfreuliches Resultat – Daumen hoch! Es kommt hinzu, dass der SC eine drohende Krise abgewendet hat. Eine schwache Leistung, gepaart mit einer Niederlage in der Fuggerstadt wäre fatal gewesen. Trotz der ansprechenden Leistung und dem Auswärtspunkt bei den in der Tabelle besser platzierten Augsburgern wird dem SC in vielen Medien  vorgerechnet: Acht sieglose Spiele in Serie, keines der zehn Pflichtspiele ohne Gegentor. Beides stimmt. Doch welche Substanz haben solche Vorhaltungen? Immerhin gab es vier Punkteteilungen; zwei zu Hause, in denen gegen Bremen und Wolfsburg Siege verdient gewesen wären und zwei leistungsgerechte Remis auf des Gegners Platz, die – wenn man die Einordnung Abstiegskampf vornimmt – durchaus positiv zu bewerten sind. Soll der Hinweis auf die regelmäßigen Gegentore die Abwehrleistung in Misskredit stellen? Gerade in Augsburg stand die neu formierte Defensive richtig gut. Dass am Ende ein abgefälschter Flatterball seinen Weg ins Tor findet, hat nichts mit der Qualität der Abwehrarbeit zu tun – das ist Pech und passt in die Saisonphase. Aber immerhin, ein Punkt in Augsburg – dafür muss sich niemand schämen.

Natürlich braucht die Mannschaft Drei-Punkte-Spiele, um sich mehr vom Tabellenkeller abzusetzen, keine Frage. Vielleicht gelingt einmal mehr ein Sieg gegen Lieblings-Heimgegner Mönchengladbach, wenn die Borussia am Samstag zwischen den Championsleague-Einsätzen gegen Mailand und in Madrid im Schwarzwald-Stadion antreten muss; oder eine Woche später, wenn Aufsteiger Arminia Bielefeld kommt; oder auswärts bei „Sorgenkind“ Schalke. Mit der Konzentration und Haltung aus dem Augsburg-Spiel ist für den SC Freiburg in den kommenden Wochen vieles möglich. Bis zu der Auszeit, die sich die Mannschaft gegen Mainz genommen hat, hatte sie übrigens in keinem Spiel enttäuscht. Die Atmosphäre in den leeren Stadien ist ähnlich trostlos wie die weltweite  Stimmung in diesen furchtbaren Corona-Zeiten. Die sportliche Leistung des SC Freiburg ist es nicht. Mutig, selbstbewusst und zu allem entschlossen sollte der SC die nächste Aufgabe am Samstag, 5. Dezember, um 15.30 Uhr gegen Borussia Mönchengladbach (live bei Sky und baden.fm) angehen. Das Glas in Freiburg ist halb voll – nicht halb leer. Viel Erfolg, Sport-Club! 

(Zitatende)

 

Somit ist der neunte Spieltag der Bundesligasaison 20/21 schon wieder Geschichte. Es folgen die beiden Heimspiele gegen Gladbach und „meine“ Arminia, das Mittwoch-Spiel auf Schalke und das letzte Heimspiel des Jahres gegen Hertha BSC. Sechs bis zwölf Punkte sollten in diesen letzten Wochen des Jahres noch auf das Konto des SC wandern. Das wäre, eiskunstlauftechnisch gesehen, die „Pflicht“ – die „Kür“ wäre dann das Erreichen der nächsten DFB-Pokal-Runde durch einen Sieg am 23. Dezember in Stuttgart. Das Pokalspiel wäre – bei stetiger Gesundheit bis Weihnachten – zum Jahreswechsel mein 995. SC-Livespiel am Radio-Mikrofon. Gegen denselben Gegner würde dann, ein paar Wochen später und in Freiburg, mein 1000. Spiel stattfinden. Es gibt ja wenig Dinge in diesen Corona-Zeiten, auf und über die man sich freuen kann – aber auf dieses Etappenziel meiner Reporter-Karriere freue ich mich wirklich ein bisschen. Das Ende ist es aber noch lange nicht…