Achtelfinale im DFB-Pokal, TSG 1899 Hoffenheim gegen SC Freiburg

Mittwoch, 19. Januar 2022, 20.45 Uhr *

Stadion an der A6 *

TSG 1899 Hoffenheim - SC Freiburg *

 

Das Vorspiel

„Wasserversorgung anders denken“ ist eine Schlagzeile im ReblandKurier, den ich gestern mit meinem Team im WZO-Verlag „gebaut“ habe. Das Zitat stammt von Bad Krozingens Bürgermeister Volker Kieber – es hat mich zum Nachdenken gebracht… Warum eigentlich nicht „DFB-Pokal anders denken“. Bislang ist der SC Freiburg ja keine erfolgreiche Pokal-Mannschaft. Wenn ich es richtig erinnere war das Halbfinale das Höchste der Gefühle. Dummerweise gab es damals hinter den Kulissen heftig Zoff im Verein – es ging um den damaligen Sportdirektor Dirk Dufner – und die Jungs haben den Kick in Stuttgart vergeigt. In den anderen Jahren gab es meistens relativ frühes Scheitern zu bedauern. „Pokal anders denken“ – das ist in diesem Jahr meine These. Natürlich ist die Hürde heute Abend beim Plastikclub TSG 1899 Hoffenheim hoch – gleichzeitig ist die Chance für den Sieger der Partie aber groß, in diesem Pokal-Jahr mal richtig etwas zu reißen. Bayern und Dortmund sind rausgeflogen – wer „droht“ im Viertelfinale? Karlsruhe, HSV, Bochum… noch Fragen? Klar, ein Auswärtsspiel in Leipzig könnte es auch werden aber das muss ja nicht sein – ein bisschen Losglück wäre dann auch mal toll. „Wäre, wäre, Fahrradkette“ (Originalzitat von Fußball-Poet Lothar Matthäus) Erstmal steht das Achtelfinale an; ein paar Tage nach dem demoralisierenden 5:1 von Dortmund. Vielleicht ist der sportliche Fehltritt vom vergangenen Freitag aber auch Auslöser für eine Trotzreaktion. Hinzu kommt, dass mit Stammkeeper Mark Flekken, dem vermutlich besten Torwart der Bundesliga-Hinrunde, ein Garant der starken Freiburger Defensive zurück im Kader. Gleiches gilt für den besten Innenverteidiger, Nico Schlotterbeck. Beide Asse hatten eine Covid19-Infektion mit leichtem Verlauf und stehen heute in Hoffenheim wieder zur Verfügung. Nach den sieben Gegentoren gegen Arminia und Borussia in den letzten beiden Spielen, würde es mich sehr wundern, wenn Christian Streich nicht auf die beiden Asse zurückgreift. Der Trainer hat ja eine veränderte Startelf für das Pokalspiel angekündigt. Natürlich könnte Benjamin Upphoff nicht ganz zu Unrecht an seine Heldentaten im Pokalspiel beim VfL Osnabrück erinnern – andererseits hatte er jetzt unerwartete Einsätze in der Bundesliga. Leider konnte er dabei nicht überzeugen. Flekken wäre schlicht die mehr Erfolg versprechende Lösung. Was macht Streich?

„DFB-Pokal anders denken“ – ich habe Bock drauf, will, dass die Reise noch ein bisschen weitergeht – angesichts der ausgeschiedenen Top-Teams, warum denn nicht bis nach Berlin ins Finale? Das wäre sicher der Höhepunkt meines Reporterlebens, ein Pokalfinale in Berlin zu kommentieren – mit unserem SC Freiburg als Finalist. Bei den U19-Junioren habe ich das ja schon einige Male erlebt – die haben dabei sogar zwei Mal – live bei baden.fm - den Pokal gewonnen. Mit den Profis wäre es ein Traum.  

Ja, Hoffenheim ist eine hohe Hürde, das wird sauschwer und nur eine Top-Leistung unserer Jungs könnte den Einzug ins Viertelfinale vielleicht ermöglichen. Aber ich glaube daran. Ich denke den DFB-Pokal anders und fahre als Optimist nach Hoffenheim. Schließlich gilt es auch, Revanche zu nehmen für eine ungerechte Last-Minute-Niederlage im Bundesligaspiel vor einigen Wochen. Da war der SC mindestens auf Augenhöhe mit den Kraichgauern. Das wäre doch heute Abend schon mal eine ideale Voraussetzung für einen spannenden Pokalfight.

 

Ich plane, um 16 Uhr – wegen des Comforts und der relativ kurzen Strecke – ausnahmsweise mit meinem privaten Ford Kuga nach Sinsheim fahren. Gegen 18 Uhr werde ich vor Ort erstmal im „Hotel Zum Prinzen“ in Sinsheim einchecken und dann, eineinhalb bis zwei Stunden vor dem Spiel (Anpfiff ist um 20.45 Uhr) zum Stadion fahren. Und dann drücke ich ganz fest die Daumen. Durch einen Sieg könnte sich der SC zurückmelden und womöglich ganz nebenbei das Abrutschen in eine Krise verhindern. Wenn Du heute verlierst und Samstag gegen Stuttgart verkackst, die deutlich besser kicken als es die Ergebnisse vermuten lassen, steckst Du nämlich mitten drin in einer Krise. So weit muss es aber nicht kommen. Die Mannschaft hat das Zeugt, frühzeitig die Kurve zu kriegen: Heute Abend im Pokal, den wir ab sofort ja „anders denken“ wollen.

 

Ich kommentiere das DFB-Pokalspiel TSG 1899 Hoffenheim gegen SC Freiburg heute Abend ab 20 Uhr live bei baden.fm.

 

Das Fußballspiel

(Mein 1.036. SC-Livespiel am Radio-Mikrophon)

Auf fünf Positionen änderte Christian Streich die Startelf im Vergleich zum Dortmund-Desaster:  Mark Flekken stand nach überstandener Covid19-Infektion wieder im Tor, Niko Schlotterbeck verteidigte - mit der gleichen Vorgeschichte wie Flekken ausgestattet – in der Viererkette, Maximilian Eggestein ersetzte Janik Haberer im zentralen Mittelfeld und in der Offensive durften die beiden Lichtblicke der zweiten Halbzeit vom Dortmund-Spiel, Kevin Schade und Ermedin Demirovic, von Beginn an stürmen. Das Resultat: Der Pokal-Kick in Hoffenheim war ein Höhepunkt dieser an Höhepunkten durchaus reichen Saison – fast so herausragend wie das 0:6 in Mönchengladbach: Mit 1:4 hat der SC Freiburg die TSG 1899 Hoffenheim aus dem Pokal gehauen; engagiert, aggressiv, konterstark und effizient. Es war großartig! Offenbar haben auch die Spieler des SC den DFB-Pokal „anders gedacht“ – so wie ich im Vorhinein, um mich für die Auswärtsreise und das (Beinahe-)Geisterspiel im Sinsheimer Stadion zu motivieren.

Gleich zu Beginn übernahm der SC vor 500 zugelassenen Hoffe-Anhängern und/oder -VIPs die Initiative. Und wenn die Gastgeber den Ball hatten, war beim SC alles da, was in Dortmund so sehr vermisst worden war: Engagiertes und nimmermüdes Anlaufen der Gegner, aggressives Tackling und nach Ballgewinn schnelles und präzises Passspiel. So war der Sport-Club zwar in der Anfangsphase die Mannschaft mit mehr Ballbesitz und Spielanteilen, trotzdem resultierte der Führungstreffer in der 10. Minute aus exzellent gelungenem schnellen Umschaltspiel – für die behäbig wirkenden Hoffenheimer, die zwar um spielerische Linie bemüht waren, aber bei weitem nicht so „wach“ wirkten, wie die Freiburger, ging das einfach viel zu schnell: Nach dem Ballgewinn am eigenen Strafraum wurde der enorm motiviert wirkende Vincenzo Grifo im Mittelfeld angespielt und dribbelte in hohem Tempo Richtung Hoffenheimer Strafraum. Es folgte der Pass auf den blendend aufgelegten Lucas Höler und ein verzögerter Doppelpass, der Grifo erneut in Szene setzte. Der Deutsch-Italiener aus Pforzheim tanzte im Sechzehner den Hoffenheimer Akpoguma aus und verlud dann den Bad Krozinger Oliver Baumann im Hoffe-Tor mit einem scharf geschossenen Schlenzer ins lange Eck.

In der 23. Minute habe ich den zweiten Torschrei schon auf den Lippen. Ein gefühlvoller Flankenball von Kapitän Christian Günter findet Lucas Höler, der geschickt in den freien Raum gestartet war und nun aus sechs Metern volley draufhalten kann – knapp geht der zurecht mit vollem Risiko gespielte, überaus anspruchsvolle Ball über die Querlatte hinweg. Ich merke auf der Pressetribüne des weitgehend leeren Stadions sitzend, dass hier etwas gehen würde… nicht musste aber konnte. Das Spiel machte mir Spaß!

In der 36. Minute erhält der SC, nach einem hässlichen Foul von Richards (sieht zurecht Gelb) an Kevin Schade  im rechten Halbfeld einen Freistoß. In der einstudierten Standardsituation flankt Vincenzo Grifo hoch und weit, diagonal auf den aufgerückten Nico Schlotterbeck. Der U21- Nationalspieler flankt hart ins Zentrum und trifft den vom Körper abgespreizten Arm von Bebou – Schiedsrichter Schröder aus Hannover zögert keine Sekunde und zeigt auf den Punkt – Handelfmeter, keine Diskussion, auch wenn die Hoffenheimer lamentieren. Vincenzo Grifo, auffälligster Spieler auf dem Platz und Schütze des 0:1, lässt Baumann keine Chance. Im Bundesligaheimspiel gegen Hoffenheim (1:2) hatte der italienische Nationalspieler einen Strafstoß verschossen, jetzt wollte er es wissen und knallte das Ding „eiskalt wie eine Kugel Stracciatella“, wie ich bei baden.fm formulierte, ins Netz. 0:2 - von nun an überließ der SC den Platzherren die Initiative und lauerte endgültig auf Konter. Hoffenheim konnte aber zunächst kein Kapital aus den höheren Spielanteilen ziehen. Die Platzherren blieben in der ersten Halbzeit ohne Torchance.

Zur zweiten Hälfte wechselte Trainer Sebastian Hoeness mit Dabbur und Kramaric zwei frische Offensivkräfte ein und machte von Wiederbeginn an mächtig Druck. Kramaric spielt den Ball halb Schuss/halb Flanke von links aufs Tor, Flekken ist geschlagen, doch bevor die Kugel komplett die Linie überschreitet oder von Rutter erreicht wird, rauscht Nico Schlotterbeck heran und versucht den mit viel Drall gespielten Ball wegzuschlagen. Das misslingt, die Kugel rauscht ins eigene Netz (53. Minute). Der heroische Rettungsversuch mutiert zum Eigentor… dabei wäre die Kugel ohnehin reingegangen oder Rutter hätte sein Füßchen dranbekommen. Kein Vorwurf an Nico!

Würde die Geschichte des Spiels neu geschrieben? Hoffenheim war in der zweiten Halbzeit nicht wiederzuerkennen und spielte stark…

Viel Aufregung am Ende des direkten Gegenzugs, in der 55. Minute. Ermedin Demirovic wird angespielt, leitet weiter auf den flinken Kevin Schade und das Freiburger Top-Talent trifft mit einem Schrägschuss aus halbrechter Position. Im Augenwinkel sehe ich, wie die Fahne des Linienrichters nach oben geht. Demirovic soll als er den Ball zugespielt bekam, im Abseits gestanden haben. Auf einem Bildschirm ganz nahe an meinem Arbeitsplatz sehe ich die Szene und erzähle Moderator Benny Resetz im Freiburger Studio, während im Programm die 22-Uhr-Weltnachrichten laufen, dass der VAR die Szene prüft und nach meiner Einschätzung kein Abseits vorliegt. „Okay, ich bereite das Torjingle vor, dann steigen wir damit in die nächste Sendestunde ein. Sag Bescheid!“ meint Benny. Doch die Prüfung durch den VAR zieht sich. Dann bekommt Schiri Schröder das Signal und mein Eindruck wird bestätigt. Das Tor zählt. Auf dem Bildschirm wird jetzt die kalibrierte Linie eingeblendet – es war gleiche Höhe. Eine extrem enge Kiste, aber der Knackpunkt des Spiels. Noch bevor es mit Anspiel von Hoffenheim weitergeht, wird der Torschütze nach einem starken Auftritt ausgewechselt. Im Radio laufen noch immer die Nachrichten. Just als Kevin Schade vor der Pressetribüne vorbeiläuft, sind die News beendet und Benny Resetz spielt das Torjingle ein. Ich setze an zu einem inbrünstigen Torschrei. Schade grinst, ob es wegen mir ist, weiß ich nicht…

Mit dem 3:1 ist der SC wieder auf der Siegerstraße und zeigt auch keine Unsicherheiten mehr. Hoffenheim macht zwar weiter Druck, hat auch die eine oder andere Torchance, der SC zeigt aber weiter sehr starkes Konterspiel. So auch in der 68. Minute als sich Lukas Kübler an einem der Konter beteiligt und auf Lucas Höler passt. Jetzt streiten sich die Geister, ob dem ein Torschuss misslingt (Bild / BZ) oder der Pass auf den völlig freistehenden Ermedin Demirovic gewollt und irgendwie genial war (ARD / Baden. FM). In jedem Fall steht der in Hamburg geborene Bosnier, der das 1:3 durch Schade vorbereitet hatte, so frei, dass ihm das 1:4 irgendwie mühelos zu gelingen scheint. Wieder war der SC für die Hoffenheimer einfach zu schnell und zu effizient. 1:4 – ich kann es kaum fassen. Es war ein großartiger Fußballabend à la SC Freiburg. Die letzten 20 Minuten sind Ergebnisverwaltung auf hohem Niveau. Hoffenheim hat keine echte Chance mehr – erzielt zwar nach der zehnten Ecke ein Tor durch Bebou, doch der Stürmer stand ganz klar und deutlich im Abseits. Freiburg hätte durch den eingewechselten Nils Petersen fast noch den fünften Treffer erzielt – Außennetz. Dann ist Abpfiff  

 

Das Nachspiel

Selig räume ich meinen Kram in den schwarzen Rollkoffer. Das war mal ein gelungener Pokalabend. Acht Mannschaften stehen im Viertelfinale – vier davon sind Zweitligisten. Das Schlimmste, was bei der Auslosung am 30. Oktober passieren könnte wäre ein Auswärtsspiel in Leipzig – aber auch da wäre dieser SC Freiburg nicht chancenlos. Nach dem 1:4 von Hoffenheim träume ich – als Höhepunkt meines Reporterlebens – vom Finale in Berlin, mit den Jungs vom SC Freiburg…

Zu meiner Überraschung findet die Pressekonferenz nach dem Spiel in Präsenz statt. So kann ich mir auch Trainer Christian Streich zum Interview „schnappen“. Danach fahre ich binnen zehn Minuten zu meiner Unterkunft. Das Hotel „Zum Prinzen“ hat mich upgegradet und mir zum Preis des Einzelzimmers eine komplette Wohnung überlassen. Während Sinsheim offenbar tief schläft – Fuchs und Hase sagen sich hier offenbar „gute Nacht“ – köpfe ich im Wohnzimmer meiner Wohnung eine Flasche Sauvignon Blanc „S“ vom Schlossgut Ebringen und genieße den guten Tropfen im mitgebrachten Weinglas. Als hätte ich geahnt, dass es in Hoffenheim etwas zu feiern gibt. Zunächst versorge ich noch baden.fm mit meinen Statements zum Spiel für das Frühprogramm, dann zappe ich auf dem TV.  Auf dem großen Flatscreen-Fernseher entdecke ich die Möglichkeit, die diversen Mediatheken anzuklicken und ziehe mir den Sportschau-Bericht des gewonnenen Pokalspiels noch einmal rein. Meine Begeisterung über das 1:4 wird neu angestachelt. Später schaue ich noch ein paar Spielfilme, aber jeweils nur im Ansatz – ich merke, dass mir dafür die innere Ruhe fehlt. Und es ist spät. Als die Flache Sauvignon Blanc leer ist, schieße ich noch zwei Fotos, die leere Flasche und den jubelnden Reporter, poste beides bei Facebook mit dem Hinweis „Flasche leer… aber: Viertelfinale!!!“ und gehe schlafen.

Um acht Uhr bin ich wieder auf den Beinen. Fünf, sechs Stunden Schlaf, das muss heute reichen. Im Hotel bekomme ich ein gutes Frühstück mit Toast, Wurst, Rührei, O-Saft und ein paar Tassen Kaffee, dann bin ich gestärkt und fit für die zweistündige Heimfahrt. So liebe ich Dienstreisen in Sachen Fußball. Das A und O ist freilich das Ergebnis…