10. Spieltag der Fußball-Bundesliga, SC Freiburg gegen Borussia Mönchengladbach

Samstag, 5. Dezember 2020, 15.30 Uhr *

Schwarzwald-Stadion, Freiburg *

SC Freiburg - VfL Borussia Mönchengladbach *

Das Vorspiel

Fans, wir müssen reden. Mit diesem Spruch machte vor einiger Zeit Jörg Wontorra auf einen Fußballtalk bei Sky aufmerksam. Ich meine es ernst: Fans, wir müssen reden - und zwar nicht über den Nikolaus (trotzdem schon mal alles Gute)...

Hier ein Ausschnitt aus einem Zeitungsartikel:

Zitat: Fanforscher Harald Lange prophezeit dem Fußball einen enormen Anhängerrückgang. Der Sportwissenschaftler der Universität Würzburg begründete dies im "MDR" mit der Coronavirus-Pandemie sowie dem Verhalten der Verantwortlichen. Das "negative Image der großen Lenker im Fußball greift um sich", sagte der 52-Jährige und schlussfolgerte: "So merken die Anhänger quer über alle Tribünenbereiche hinweg, dass eine große Differenz zwischen ihrer Lebenswirklichkeit und dem abgehobenen Profifußball liegt. Sie werden ihre Leidenschaft zurückfahren und sich abwenden - und das millionenfach." (Zitatende)

Ich bin kein Fanforscher. Ich bin Fan. Und ich bin Journalist und seit 30 Jahren beruflich in der Fußballszene unterwegs. Viele Entwicklungen sind mir als Fan und Journalist ein Dorn im Auge. Ich denke an die überbordende Kommerzialisierung, an die Entfremdung der Protagonisten und ihres Publikums, an goldene Steaks und an das Tempo und die Art und Weise, in dem und in der sich zum Beispiel auch die Arbeitsbedingungen für uns Fußball-Journalisten verändert haben. Alles ist geregelt, kanalisiert, chemisch gereinigt und Fernsehen regiert die Welt. Auch den Spielplan. Ich denke an Überfrachtung mit Fußball, an Wettbewerbe, die keiner braucht, an täglichen Fernsehfußball, dem ich immer häufiger den Krimi oder die Musikshow auf dem anderen Programm vorziehe.

Ich erwische mich aber auch dabei, dass dann trotzdem, auf dem Smartphone, das ich nebenbei im Auge haben kann, der Kick läuft. Nicht wenn Leipzig oder Hoffenheim spielt – aber wenn Dortmund, Bayern oder sonstwer kickt; ich habe sogar bei Magenta-Sport ein Abo, um die Spiele der dritten Liga zu verfolgen. Weil ich Fußball liebe, spannend finde, wie sich der Dorfclub Verl aus meiner ostwestfälischen Heimat schlägt, weil ich Kaiserslautern schaue und die Daumen halte, weil ich den Trainer okay finde (ex-Arminia-Coach Jeff Saibene), weil ich mich freuen würde, wenn ein Traditionsclub wie Saarbrücken wieder in die zweite Liga zurückfände. Rostock finde ich auch noch ganz spannend, die Münchner Löwen (wegen dieses unsäglichen Investors aber weniger) und und und. Hauptsache Fußball halt. Wenn ich auch die Auswüchse im Spitzenfußball kritisiere und auf Korrekturen hoffe, ahne ich, dass das von dem Fanforscher prognostizierte Abwenden der Fans vom Fußball nach der Corona-Krise nicht stattfinden wird. Ich glaube, der Fanforscher erkennt zwar korrekt viele Fehlentwicklungen im Fußball, zieht aber die falschen Schlüsse. Ich glaube, er unterschätzt den Zauber und die Faszination, die vom puren Fußballspiel ausgeht, losgelöst von dem ganzen Klimbim um diesen wunderbaren Sport herum.

Gut möglich, dass sich Menschen vom Profifußball abwenden – dann werden, so meine These, Zuschauergruppen aber lediglich ausgetauscht. Von der VIP-Tribüne bis zu den Stehplätzen dürfen – nach Corona - solche Fußballzuschauer dem „Event“ gerne fernbleiben, die nicht die Liebe zum Fußball ins Stadion treibt; ich nenne sie Trittbrettfahrer. Jene, die die Bühne Bundesliga nutzen, um ihr eigenes Süppchen zu kochen. Ich bin aber sicher, wenn die künftig wegbleiben,  werden sie von anderen abgelöst.

Trotzdem tun Veränderungen in der Organisation der Wettbewerbe Not, sind lange überfällig. Vielleicht wird die Chance ja genutzt - vielleicht auch nicht.

Die Faszination des puren Spiels wird bleiben; zumindest für jene, die sie seit jeher spüren. Ich gehe jede Wette ein, dass – nach dem Ende der Pandemie – das neue Stadion in Freiburg (35.000 Plätze) gefühlt schon wieder zu klein sein wird und – ligaunabhängig – alle Dauerkarten ausverkauft sein werden; auf Jahre. For sure! Trotzdem mein Appell an die „Macher“: Beendet den Wahnsinn und fahrt das Ding nicht (noch mehr) an die Wand!

Zum Sportlichen:

Gladbach kommt. Dann Bielefeld. Zwei Heimspiele am Stück  - mit acht sieglosen Spielen im Rücken. Der SC ist gefordert, keine Frage. Einen Sieg gegen die „Fohlen“ zu erwarten wäre allerdings vermessen. Gladbach gehört zu der „Top 5“ der vergangenen Jahre, ist CL-Teilnehmer und einfach irre gut besetzt. Trotzdem gibt es auch Argumente für einen Freiburger Erfolg:

Zunächst mal beim SC selbst. Die Jungs haben ihren Aussetzer vom Katastrophen-Spiel gegen Mainz offenbar gut überwunden. Insbesondere die Defensivarbeit der gesamten Mannschaft hat – in neuer Formation und mit einigen personellen Änderungen – in Augsburg gut funktioniert. In der Effizienz gibt es noch Nachholbedarf – das ist, wie die Erfahrung lehrt ein Auf und Ab und häufig von Zufällen abhängig. Bloß nicht verkrampfen! Und irgendwann sollte sich die allgemeine Pechsträhne, die die Mannschaft seit Wochen begleitet, in eine Glückssträhne verwandeln. Die Zeit ist reif…

Gladbach könnte der richtige Gegner dafür sein, denn – gefühlt – wurde Borussia Mönchengladbach in den vergangenen Jahren, völlig unabhängig von der jeweils aktuellen Situation des SC, immer, wirklich immer, besiegt. Ein „Gesetz der Serie“ will ich nicht bemühen, nur vielleicht den Hinweis auf die mentale Situation der Spieler, die schon länger mit dabei sind. Was Nürnberg seit Jahrzehnten in Auswärtsspielen für Freiburg darstellt, gilt in Heimspielen für Mönchengladbach: In aller Regel gewinnt der SC Freiburg. Diese gefühlte Regel hält dem Faktencheck übrigens Stand: Der letzte und einzige Gladbacher Erstligasieg in Freiburg gelang der „Fohlenelf“ vor mehr als 18 Jahren, am 23. März 2002. Torschütze beim 0:1 war Arie van Lendt und der SC kickte mit Reus, Diarra, Hermel, Müller, Benjamin Kruse, Coulibaly, Kobiashvili, Willi, Zandi, Zeyer und Iashvili. Doch wirklich, so lange ist das schon her. Vorher und nachher gab es in Heimspielen gegen Gladbach immer Punkte, meistens drei (nach heutiger Zählung). Die jüngsten Erfolge sind mir noch sehr präsent: 2016 trafen Maximilian Philipp (2) und Nils Petersen zum 3:1-Sieg. 2017 genügte ein Treffer von Nils Petersen zum 1:0-Erfolg. Einmal mehr 3:1 hieß es 2018, als Nils Petersen, Luca Waldschmidt und Lucas Höler für den SC trafen. Das letzte Aufeinandertreffen im Schwarzwald-Stadion liegt noch gar nicht so lange zurück: Am 5. Juni dieses Jahres, ein Geisterspiel wie am kommenden Samstag, machte Nils Petersen seinem Ruf als Deutschlands gefährlichster Joker der Bundesligageschichte alle Ehre und traf Sekunden nach seiner Einwechslung zum einzigen Treffer, dem Siegestor gegen Mönchengladbach.

Vielleicht ist es ja jemandem aufgefallen aber ich musste im letzten Abschnitt sehr häufig den Namen Nils Petersen niederschreiben; der SC-Stürmer hat wirklich in all diesen Spielen getroffen, egal ob Startelf-Spieler oder Joker. Mal schauen, was am Samstag passiert…

Von der positiven Erwartung her ist der SC also in jedem Fall im Vorteil, wenn die Gladbacher am Samstag kommen – körperlich und mental auch? Wie fühlt man sich als Gladbach-Profi, wenn man gerade in der Champions League in einem höchst intensiven Spiel gegen Inter Mailand verloren hat und in drei Tagen bei Real Madrid ums Überleben in der Königsklasse kämpfen muss? Welche Herausforderung stellt dann ein Bundesligaspiel in Freiburg dar, so ein ekeliges bei denen, die immer so viel laufen? Greift Marco Rose zur großen Rotationsmaschine, um bessere Chancen im Madrider „Finale ums Achtelfinale“ der Champions League zu haben?

Viele offene Fragen - aber egal, wer bei den Gästen spielt, Madrid wird in den Köpfen sein; nicht Freiburg. Ist das die Chance zur Fortsetzung der Erfolgsserie gegen BMG?

Der SC Freiburg selbst hat in Augsburg überzeugt; in einer 3-4-3-Formation mit einem bärenstarken Schlotterbeck, zentral in der Dreierkette. Gegen die Borussen vom Niederrhein haben die Jungs von Christian Streich in den erfolgreichen Heimspielen aber in der Regel mit Viererkette agiert. Was plant Streich am Samstag? Eine der Fragen, die man ihm heute Mittag bei der digitalen Pressekonferenz stellen und die er nicht beantworten wird. Wetten, dass!?

Warum sollte er es auch Kollege Rose so leicht machen? Egal oder zwei oder drei Innenverteidiger – wer aus dem Quartett mit Manuel Gulde, Dominique Heintz, Philipp Lienhart und Keven Schlotterbeck  - meine Reihenfolge ist alphabetisch – hat die Nase vorne? Wer spielt derzeit die letzte Geige? Der Samstag wird die Antwort bringen.

Wieder unumstritten dürfte Nicolas Höfler im zentralen Mittelfeld sein. Nicht nur die Ordnung, die er nach seiner Einwechslung im Mainz-Spiel zurück ins Freiburger Spiel brachte, auch die Defensivleistung in Augsburg und die fantastische Vorbereitung des Führungstores in Augsburg sollten seine Berücksichtigung diktieren. Vorne wird die Personalauswahl spannend: Roland Sallai dürfte wieder fit sein, Ermedin Demirovic hat es in Augsburg ganz gut gemacht und könnte erneut Berücksichtigung finden. In einem 4-4-2 könnten beide stürmen, sofern Nils Petersen wieder die Joker-Rolle zukäme.

Ich spekuliere also mal: Müller – Schmid, Lienhart, Gulde, Günter – Grifo, Höfler, Santamaria, Sallai – Höler Demirovic. So könnte die Startelf aussehen.

Ich drücke den Jungs die Daumen und übertrage das Bundesligaspiel SC Freiburg gegen Borussia Mönchengladbach am Samstag ab 15 Uhr live in der baden.fm-Bundesligashow.

 

Das Fußballspiel

(Mein 991. SC-Livespiel am Radio-Mikrofon)

 

Abgesehen von der Abwesenheit der Zuschauer und vom suboptimalen Ergebnis von 2:2 (1:1) war das Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach am 10. Bundesligaspieltag eine sehr erfreuliche Angelegenheit. Der Sport-Club trat in genau derselben Grundformation und mit der identischen Personalauswahl an wie in Augsburg; nur auf der Bank hatte es einen Wechsel gegeben, den Platz, den Talent Carlo Boukhalfa räumen musste, nahm der genesene Roland Sallai ein. Es wurde offensichtlich, dass der Auftritt seiner Jungs in Augsburg, dem Trainer imponiert hatte. Gegen die Gladbacher lief es noch besser: Neben einer gewissen neuen Stabilität in der Defensive – Keven Schlotterbeck (zentral), Phlipp Lienhart (Mitte/rechts) und Manuel Gulde (Mitte/links) harmonieren prächtig, setzte der SC jetzt auch (mehr) Akzente im Spiel nach vorne; Freiburg kickte kreativ und hatte Chancen, so etwa in der 15. Minute – der SC glänzt durch schnelles Umschaltspiel, über Baptiste Santamaria kommt der Ball zu Lucas Höler, der schneller ist als die Verteidiger und mit dem Ball am Fuß alleine Richtung Gladbacher Tor sprintet. Sein Flachschuss klatscht (leider) nur gegen den Pfosten, prallt nach Sekundenbruchteilen wieder an Hölers Oberschenkel und fliegt dann über das leere Tor. Die Reaktionszeit war einfach zu kurz; erst Pfosten und dann dieser Abpraller – die Pechsträhne, die den SC seit dem zweiten Spieltag konsequent begleitet, ist noch nicht zu Ende, denke ich, der das Glück hatte, die besagte Szene mit der Großchance live kommentieren zu dürfen. Viel Aufregung, ein Beinahe-Torschrei aber weiter 0:0. Acht Minuten später gilt im Schwarzwald-Stadion eine „verkehrte Welt“. Die hoffnungsvoll auftrumpfenden Freiburger liegen nach dem ersten veritablen Angriff der Gäste 0:1 in Rückstand. Eine flinke Kombination durchs Mittelfeld, im Anschluss ein schöner Doppelpass zwischen Embolo und Stindl – richtig guter, sehenswerter Fußball also – hebeln die Freiburger Abwehr aus. Embolos abschließender Flachschuss aus halblinker Position scheint mir nicht wirklich unhaltbar, aber Florian Müller bleibt fast regungslos. Direkt neben dem jungen Torwarttalent aus Mainz schlägt der Ball ein (23.).   Zwei Minuten später sieht Keven Schlotterbeck eine strenge Gelbe Karte, die ihm mein „Lieblingsschiedsrichter“ Tobias Stieler aus Hamburg unter die Nase hält. Langsam könnten sich Zweifel in die Köpfe der Jungs bewegen, fürchte ich, doch die kicken weiter sehenswert. Überragend das Teamwork beim verdienten Ausgleichstreffer in der 32. Minute: Vincenzo Grifos Ecke wird von Baptiste Santamaria artistisch angenommen und weiterverarbeitet: Per Fallrückzieher findet der Ball den Weg auf die Stirn des aufgerückten Philipp Lienhart und ins Tor – 1:1, eine Wahnsinnstor! Zwei Minuten später sorgt ein Kopfball von Keven Schlotterbeck beinahe für die Führung des SC, der Ball verfehlt das Tor aber extrem knapp. Der SC ist die aktivere Mannschaft, hat deutlich mehr Abschlüsse als die favorisierten Gäste – eine SC-Führung wäre nur gerecht; zur Pause heißt es aber 1:1.

Die zweite Halbzeit ist kaum angepfiffen, da startet Nicolas Höfler am Gästestrafraum ein Solo auf engem Raum, lässt zwei, drei Gladbacher mit seiner engen Ballführung alt aussehen und wird schließlich im 16er durch Lainer von den Beinen geholt – Elfmeter, keine Diskussion! Vincenzo Grifo nimmt sich ein Herz und knallt den Ball zur SC-Führung in die Maschen. Das Spiel ist gedreht!

Die Antwort der Mönchengladbacher Fohlen lässt aber nicht lange auf sich warten: Im Gegenzug knallt Plea aus 20 Metern aufs Tor und trifft genau ins rechte obere Dreieck – ein Sonntagsschuss, ein Traumtor, je nach Betrachtungsweise. Wären Zuschauer im Stadion, sie würden mit den Zungen schnalzen vor Begeisterung über die Leistungen beider Mannschaften.

Die verbleibenden 40 Minuten sind geprägt von einem offenen Schlagabtausch und zahlreichen Abschlüssen hüben wie drüben. Der Personalpoker beginnt: Gladbach-Trainer Rose bringt in der 65. Minute die bislang für das Spiel am Mittwoch bei Real Madrid geschonten Thuram und Lazaro. Zehn Minuten später reagiert Christian Streich mit zwei neuen Offensiven: Nils Petersen und Roland Sallai kommen für Lucas Höler und Ermedin Demirovic, die ihre Sache gut gemacht hatten, jetzt aber völlig ausgelaugt vom Platz schleichen. Im leeren Stadion herrscht Hochspannung. In der 78. Minute scheint der glückliche Moment gekommen – der Siegtreffer für den SC… Vincenzo Grifo kann nach einem Pass von Günter aus halblinker Position ungedeckt abziehen – er tut das auch mit einem satten Spannschuss, der ins… nein, doch kein Tor – zum zweiten Mal klatscht der Ball gegen den Pfosten. Wie war das mit der Pechsträhne?

Die 84. Minute: Der eingewechselte Herrmann taucht frei vor Florian Müller auf, doch Freiburgs junger Leih-Keeper bietet sein ganzes Können auf und wehrt den Schrägschuss mit einer Reflexbewegung ab. „Der Fehler vom 0:1 ist wieder gutgemacht“, denke ich. Im Gegenzug kommt Nils Petersen, der bei den vergangenen vier Heimsiegen des SC gegen Gladbach immer getroffen hatte, aus kurzer Distanz zum Abschluss – der Ball geht drüber; das war ein Hochkaräter… ganz untypisch für Nils am Vorabend seines 32. Geburtstags, diesen Ball nicht zu versenken. Es ist wahnsinnig spannend… In der 89. Minute hat der SC sogar eine Dreifachchance: Yann Sommer im Tor wächst über sich hinaus, als er gegen Roland Sallai, Manuel Gulde und noch einmal Roland Sallai abwehren kann. Nur der letzten Aktion, dem Nachschuss von Roland Sallai, gilt die Abseitsfahne des Assistenten. Es war eine weitere Mega-Chance des SC.

Dann die 90. Minute; beim Abwehrversuch verspringt Nicolas Höfler der Ball, Herrmann nimmt auf und kann ins lange Eck zirkeln – Florian Müller ist geschlagen – nur um Zentimeter rutscht der Flachschuss am linken Pfosten vorbei.

War das der Moment dieser Saisonphase, in dem das Glück zum Sport-Club zurückkam?

Dann geht es in die Nachspielzeit. Chancen gibt es keine mehr – nur einen kleinen Hinweis, dass das Verhältnis zwischen Schiri Stieler und dem SC Freiburg weiter als zerrüttet gelten darf: In der 94. Minute zeigt Stieler Christian Streich wegen Reklamierens die Gelbe Karte und pfeift zehn Sekunden später ab. Welch ein kleiner Mensch…

 

Das Nachspiel

Mitten während der spannenden Schlussphase erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht von Sina Ojo aus der Presseabteilung des SC: Ich könne mich nach dem Spiel bis zur- und während der Pressekonferenz in eine der leeren Kabinen setzen, um der Kälte im leeren Schwarzwald-Stadion zu entgehen. Ein netter Zug dachte ich und blieb diesmal zur PK im Stadion. Beim letzten Mal hatte ich bereits am Staßenrand in Schallstadt im Auto gesessen und für die PK meinen Heimweg unterbrochen. Die beiden Trainer sahen das Spiel ähnlich wie ich, weshalb ich auf persönliche Fragen verzichtete. Dann fuhr ich heim, wohl wissend, dass mehr für den SC drin gewesen wäre aber doch zufrieden mit einer starken Leistung und dem ersten Punkt im vierten Versuch gegen eine der die Liga seit Jahren dominierenden fünf Top-Teams.

Nach einem Sonntag auf dem Sofa widmete ich mich am Montagmorgen wie immer als erstes meiner Zeitungskolumne „SC INTEAM“. Sie erscheint am morgigen Mittwoch in den Wochenzeitungen ReblandKurier und Wochenblatt, in einer Auflage von etwas mehr als 180.000 Zeitungen. Hier ist sie:

SC INTEAM

In der sportlichen Führung des SC Freiburg wurde in den vergangenen Wochen Großartiges geleistet: Nach dem völlig misslungenen Heimspiel gegen Mainz 05 (1:3) hat Trainer Christian Streich vielleicht nicht sämtliche Register gezogen – aber an wirklich vielen Stellschrauben gedreht: Er hat –  sogar öffentlich – Kritik an der Haltung seiner Spieler auf dem Platz geübt, hat das taktische Korsett, die Grundformation, geändert – aus dem klassischen 4-4-2 wurde ein modernes  3-4-3 – und der Trainer hat beim Spiel in Augsburg, dem ersten Kick nach der Enttäuschung gegen Mainz, vier Spieler ausgetauscht.  Für Freiburger Verhältnisse ist das alles zusammengenommen ein kleines Erdbeben. Die Maßnahmen trugen Früchte: In Augsburg stand die neu formierte Defensive stabil und bei dem insgesamt leistungsgerechten Remis hatte der SC sogar ein leichtes Chancenplus. Ein eventueller Sieger hätte eigentlich nur SC Freiburg heißen können. Ähnlich war es am vergangenen Samstag gegen ein Top-Team der Liga, den VfL Borussia Mönchengladbach. Besonders erfreulich war, dass die Freiburger, die mit der tupfengleichen Grundformation und personellen Besetzung wie in Augsburg angetreten sind, neben der defensiven Stabilität jetzt auch im Spiel mit dem Ball Fortschritte verzeichnen konnten und eine Vielzahl von guten Tormöglichkeiten kreierten. Neben den beiden Treffern durch Philipp Lienhart und Vincenzo Grifo wird dieser Umstand durch Pfostentreffer von Lucas Höler und Vincenzo Grifo ebenso belegt wie durch zahlreiche Abschlüsse, die von Gladbach-Torwart Yann Sommer zunichte gemacht wurden und knapp verpasste Großchancen der in der Schlussphase eingewechselten Nils Petersen und Roland Sallai. Der Sport-Club, so das Zwischenfazit nach zehn Spielen, scheint auf einem guten Weg. Mit Aufsteiger Arminia Bielefeld am kommenden Samstag, 12. Dezember, um 15.30 Uhr  und Schlusslicht FC Schalke 04 am Mittwoch, 16. Dezember, um 18.30 Uhr (beide Spiele live bei Sky und baden.fm) warten nun Gegner auf den SC, die anteilig mutmaßlich deutlich weniger Ballbesitz haben werden als der Sport-Club, die den SC quasi zur Kreation zwingen, während sie, gerade so wie unlängst Mainz 05, auf Konter lauern. Mit der Organisation und  Haltung der letzten beiden Spiele sowie der Lust auf kreatives Offensivspiel wie gegen Mönchengladbach, könnte es aber gelingen auch diese Prüfungen zu überstehen und endlich den zweiten, vielleicht sogar den dritten Saisonsieg gleich hinterher einzufahren. Es wäre Balsam auf die Seelen aller, die in langen  Wochen mit verhältnismäßig wenig Punkten auf der einen- und viel Pech auf der anderen Seite leiden mussten. Es ist Abstiegskampf, klar; aber durchaus mit der verlockenden Chance, sich durch Erfolge von dieser begleitenden Last zu befreien. (Zitatende)

Jetzt ist gerade Dienstagabend, 18.30 Uhr. Die Wochenzeitungsproduktion ist in trockenen Tüchern und ich bin jetzt schon fickerig mit Blick auf den elften Spieltag, wenn der „mein“ SC Freiburg auf „meine“ Arminia aus Bielefeld trifft. Scheiß Corona, sonst hätten wir ein Fest gemacht.

Vielleicht setze ich mich schon morgen, am Mittwoch, ans Tagebuch für den nächsten Kick. Die Begegnung mit meiner Vergangenheit, meiner alten Fußball-Liebe, lässt mich nicht ruhen. Natürlich soll – und wird vermutlich – der SC gewinnen und das ist/wäre gut so. Aber fest steht auch: Ohne Arminia wäre ich nie Fußballreporter im Radio geworden. Auf der Alm habe ich sozusagen das Laufen gelernt. Mehr dazu, demnächst…