13. Spieltag der Fußball-Bundesliga, SC Freiburg gegen Hertha BSC

Sonntag, 20. Dezember 2020, 15.30 Uhr *

Schwarzwald-Stadion, Freiburg *

SC Freiburg - Hertha BSC *

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

(Der erste Textteil ist wegen der Englischen Woche identisch mit dem letzten Teil des Schalke-Tagebuchs)

 

Schalke – Freiburg 0:2: ein unglaublich wichtiger Sieg in einer schwierigen Zeit, in der so vieles wichtiger ist als Fußball – aber dennoch, everybody does his job – meiner ist es, Fußball im Radio zu kommentieren und in Print und Onlineveröffentlichungen darüber zu berichten. Selbst mein im Grunde sehr privates Reportertagebuch ist übrigens ein Produkt des WZO-Verlags. Aber das nur nebenbei. Zurück zum Schalke-Spiel, das zu gewinnen – wie gesagt – unglaublich wichtig war, sportlich unglaublich wichtig, das zur Einordnung.

Der SC begann in der in ihrer Leere bedrückenden Veltins-Arena ballsicher und zielorientiert. Schon in den ersten zehn Minuten hatten die Gäste aus dem Schwarzwald zwei gute Möglichkeiten, sodass ich dachte, ich würde in der Folgezeit ein Feuerwerk erleben, was dann zunächst nicht so kam; aber zurück zur überlegen gestalteten Anfangsphase: In der 8. Minute wird Roland Sallai klug auf die Reise geschickt, dringt von der rechten Seite in den Strafraum ein und zieht aus aussichtsreicher Position ab. Schalke-Torwart Fährmann kann den Ball nur abfälschen und etwas bremsen, sodass S04-Verteidiger Salif Sané den Ball kurz vor der Linie noch mit einem langen Bein erwischt und quasi mit einem Fallrückzieher bei schlechten Haltungsnoten einen möglichen frühen Freiburger Treffer verhindert. Wenig später dringt Vincenzo Grifo von links in den Strafraum ein und hält drauf – Fährmann ist zur Stelle, hat aber durchaus Mühe mit dem Grifo-Schuss.

Danach schläft die Partie ein wenig ein. Die beiden Mannschaften neutralisieren sich zwischen den Strafräumen, sind bemüht Fehler zu vermeiden und Strafraumszenen werden zur absoluten Seltenheit. In der 27. Minute wehrt Sané einen Petersen-Schuss mit der erhobenen Hand ab – eigentlich ein klarer Elfmeter. In der Zeitlupe lässt sich aber erkennen, dass der Ball von einem anderen Körperteil des Schalkers an die Hand springt, das ist dann nicht zwingend Elfmeter – Schalke hat Glück, dass der VAR die Situation zu Gunsten des Schalkers auslegt. Kein Elfmeter. Der SC ist so etwas bekanntlich gewohnt…

In der 39. Minute folgte dann die Ausnahme von der Regel, dass die Angriffe hüben wie drüben in aller regel ohne konkrete Torgefahr so dahinplätschern: Christian Günter prescht über links nach vorne und bedient den ebenfalls aufgerückten Jonathan Schmid auf halbrechts mit einer scharfen, hohen Flanke. Schmid geht volles Risiko und haut den Ball volley drauf. Leider trifft er die Kugel mehr mit dem unteren Schienbein als mit dem Spann, sodass er seinen Schuss nicht wirklich kontrollieren kann – der Ball geht klar „drüber“ aber es war ein Weckruf in einem in dieser Phase müden Spiel. Am Ende einer wenig attraktiven ersten Halbzeit steht es 0:0.

Offenbar hat Christian Streich in der Pause die richtigen Worte gefunden, denn der SC kommt kreativ und unternehmungslustig wieder auf den Platz. Fünf Minuten nach Wiederbeginn hat mit Vincenzo einer der Besten auf dem Platz die geniale Idee zu einer Spielverlagerung auf die rechte Seite. Der lange Ball erreicht den frei stehenden Jonathan Schmid, der nicht lange fackelt, sondern gekonnt ins Sturmzentrum flankt, wo Sané dem Freiburger Ungarn-Import Roland Sallai zu viel Platz lässt: dem Nationalspieler, der schon beim Heimsieg gegen Bielefeld eine entscheidende Rolle gespielt hatte, als er zur Beginn der Schlussphase, beim Spielstand von 0:0 im Strafraum gefoult wurde, gelingt ein schulbuchmäßiger Kopfball; unhaltbar für Fährmann senkt sich der Ball zur Freiburger Führung ins Netz. In der Abwehr steht Freiburg besser als Schalke – wie durch den Treffer deutlich wird – und in der Offensive sind es solche kleinen kreativen Fingerzeige, wie zwei-, dreimal in der ersten Halbzeit und jetzt in Perfektion in der zweiten Hälfte, die die SC-Führung auch klar als verdient erscheinen lassen.

Gewonnen ist das Spiel freilich noch nicht – also legt der SC nach: In der 68. Minute erkämpft Kapitän Christian Günter mit einem Hackentrick gegen Raman den Ball und spielt ihn auf Vincenzo Grifo. Der italienische Internationale spielt nun einen Zuckerpass in den Lauf von Roland Sallai, der die Kugel im Strafraum annimmt und Torwart Fährmann mit einem kleinen Lupfer außer Gefecht setzt. 2:0 – welch eine Befreiung. Der Rest sind dann zahlreiche personelle Wechsel auf beiden Seiten und geschickte  Ergebnisverwaltung des SC Freiburg.

Es war einer der unaufgeregtesten Auswärtssiege meiner Reporterkarriere; weil keine Zuschauer im Stadion waren, der SC unstrittig die bessere Mannschaft war und der Sieg in der Folge nur logisch. Hinzu kam viel Leerlauf, vor allem in der ersten Halbzeit und letztlich  so etwas wie Spannung, weil Schalke nach dem Rückstand nie ernsthaft für einen eigenen Treffer in Frage kam.

Ich schenkte mir die Pressekonferenz, lief zu meinem Auto, schaltete das Radio ein, um die 20.30 Uhr-Spiele der Bundesliga zu verfolgen und fuhr Richtung Bielefeld. Ich wollte meine Mutter natürlich nicht nötigen allzu spät ins Bett zu kommen. Die alte Dame (89) erwartete mich dann um kurz nach 22 Uhr auch schon an der geöffneten Haustür. Yoany, meine Frau, hatte mir eine große Tafel Schokolade eingepackt und mir zudem geraten, eine gute Flasche Wein mitzunehmen, um beides mit meiner Mama zu genießen. Das taten wir dann auch – Motto: Genuss statt Verdruss. Ein Gläschen reichte ihr dann aber auch und sie verabschiedete sich ins Bett. Ich goss mir ein zweites Glas vom feinen Fritz-Waßmer-Wein ein, schaltete den Fernseher ein und verfolgte interessiert die ARD-Sportschau.

Am Donnerstag, nach einem gemeinsamen Mittagessen, zu dem auch meine Schwester und meine Schwägerin kamen, machte ich mich auf den Weg zurück in die Wahlheimat und kam pünktlich zur in Baden-Württemberg geltenden Ausgangssperre wieder in Bad Krozingen an.

Am heutigen Freitag nahm ich zunächst bei baden.fm zum SC-Spiel am Sonntag gegen Hertha  BSC Stellung. Themen waren die Freiburger Herangehensweise, die Berliner Auswärtsstärke, Bruno Labbadias schicker Mantel und das bevorstehende Wiedersehen mit Alex Schwolow. Später räumte ich ein bisschen meinen völlig verwahrlosten Schreibtisch in der privaten Büroecke auf, nahm dann an der digitalen Pressekonferenz mit Christian Streich teil und fuhr am Nachmittag, trotz Urlaubstag, in den Verlag. E-Mailbearbeitung und Tagebuch hatte ich mir auf die innere Agenda geschrieben. Beim Tagebuch sitze ich jetzt.

Mit Blick auf das Hertha-Spiel hat Christian Streich natürlich wieder hoch gepokert… Der Trainer sprach von mehreren angeschlagenen und auch einzelnen müden Spielern, die personelle Wechsel wahrscheinlich erscheinen ließen. Wenn er das so sagt, tippe ich jetzt mal, dass die gleiche Startelf „ran“ darf, wie auf Schalke. Hinten hat ja alles sehr gut funktioniert – in der Offensive waren Grifo und Sallai überragend und spielentscheidend – es würde mich wundern, ließe er einen von beiden gegen Berlin zunächst draußen. Die Position des zentralen Stürmers können sowohl Petersen als auch Höler und Demirovic bestens ausfüllen. Von meinem Bauchgefühl her könnte es so sein, dass Streich gegen die auswärtsstarken Berliner (1:4 in Bremen und 0:3 in Augsburg gewonnen, Remis in Mönchengladbach und Leverkusen) auf die besonderen Joker-Qualitäten von Nils Petersen setzt und Lucas oder Demi anspielen lässt. Abwarten.

Ein dritter Sieg in Folge wäre grandios; dann hätte der SC erstmals in der Bundesliga alle drei Spiele einer Englischen Woche gewonnen. Ich drücke die Daumen und würde ein solches Erfolgserlebnis am Sonntag nur zu gerne reportieren…

Ich übertrage das Bundesligaspiel SC Freiburg gegen Hertha BSC am Sonntag ab 15 Uhr in der baden.fm-Bundesligashow.

 

Das Fußballspiel

(Mein 994. SC-Livespiel am Radiomikrofon)

 

Ein Wort, etliehen von Fußballphilosoph Lukas Podolski: Überragend!

Der SC Freiburg hat Hertha BSC mit sage und schreibe 4:1 geschlagen und damit beim "Big-City-Club" eine veritable  Krise ausgelöst, selbst Bruno Labbadia, bsi gestern immerhin seit vier Spielen ungeschlagen, scheint in Berlin icht mehr  unantastbar. Aber erstmal zum Spiel: Für große Unzufriedenheit bei Bruno Labbadia und im Berliner Lager insgesamt sorgte neben dem Endergebnis vor allem die erste Halbzeit: Der SC war klar überlegen, ging durch einen Flugkopfball mit diskutablen Haltungsnoten von dem wie aufgedreht spielenden Vincenzo Grifo in der 7. Minute bereits mit 1:0 in Führung und ließ im weiteren Verlauf der erstebn Halbzeit keine einzige erwähnenswerte Hertha-Chance zu.Freiburg kontrollierte das Spiel und ließ die Berliner vergeblich anrennen. Eigene Chancen waren nach der frühen Führung zwar auch höchst seltenm dennoch stellte sich niemandem die Frage, wer Chef im Ring war: der Sport-Club.

In der 45. Minute bediente Ermedin Demirovic, der diesmal in der Startelf stand, auf ähnliche Weise wie er gegen Arminia Bielefeld Wooyeong Jeong auf seinen Sololauf geschickt hatte (der zum 2:0 Endstand geführt hatte) Vincenzo Grifo. Der Deutsch-Italiener aus Pforzheim lief nun mit dem Ball am Fuß über den halben Platz, quasi alleine, aufs Tor und den ex-Freiburger Alexander Schwolow zu. Kurz vor dem vermeintlichen und verdienten 2:0 stach Grifo aber scheinbar der Hafer - übermütig versuchte er, analog zu Jeong, dem das gegen Arminia gelungen war, den Torwart mit einem Lupfer zu düpieren, was aber misslang. Schwolow blieb ganz cool und fing den Ball ab. So stand es zur Pause nur 1:0.

Nach dem Wechsel spielte Hertha wie ausgewechselt - vor allem der für das exzentrische und am Sonntag schwache brasilianische Talent Cunha eingewechselte niederländische Flügelflitzer Delrosun bereitete der Freiburger Abwehr Kopfzerbrechen, war kaum zu bremsen. Überhaupt kam die Hertha jetzt betont über die Flügel aktiv und wurde deutlich dominant. Die Folge waren Torchancen, die es in sich hatten: Zunächst traf Stark in der 51. Minute nach einer Ecke per Kopf die Querlatte - doppeltes Glück für den SC, denn in der Entstehung war der Ball zunächst von Piatek an Guldes leicht ausgestreckten Arm geköpft worden, was von Schiri Reichel und dem VAR aber offensichtlich nicht als elfmeterwürdig betrachtet worden war. Nur eine Minute später  ist Hertha schon wieder vor dem SC Tor: Dilrosun hat sich links durchgesetzt und flankt auf die andere Seite, wo Lukebakio alleine auf weiter Flur steht und den Ball aus kurzer Distanz ins Netz pfefferte. In dieser Phase des Spiels, gleich nach der Pause, wurde mir angst und bange um den SC, der plötzlich mächtig "wackelte" und von Hertha BSC von einer Verlegenheit in die nächste gejagt wurde. 

Vier Minuten nach dem Ausgleich tanzt Teufelskerl Dilrosun den Freiburger Keven Schlotterbeck am rechten Strafraumeck in der Nähe der Grundlinie mustergültig aus, dringt in den 16er ein und ... trifft den Außenpfosten. 60 Sekunden später ist Hertha tatsächlich drauf und dran, das Spiel zu drehen: Der in dieser Phase überragende Dilrosun schickt Darida, der passt quer auf Piatek - der polnische Mittelstürmer kommt vielleichjt sieben, acht Meter vor dem Tor zum Schuss; zum Glück für den Sport-Club ist er beim Pass schon einen halben Schritt zu weit vorne, muss abbremsen und den Ball mit einer etwas unortodoxen Schussweise quasi von hinten holen - so geht der Schuss knapp am Tor vorbei und Freiburgs Alarmglocken läuten immer lauter. 

Völlig gegen den Lauf des Spiels opassiert zwei Minuten später, wir schreiben also die 59. Spielminute, folgendes: Philipp Lienhart prescht über die rechte Seite nach vorne und spielt einen scharfen Steilpass, den Berlins Innenverteidiger Torunarigha aus Hertha-Sicht unglücklich abfälscht. So kommt der Ball zu Ermedin Demirovic, der eine extrem schnelle Auffassungsgabe demonstriert und aus "keiner" Chance durch eine platzierte Direktabnahme aus 15 Metern unten rechts in Schwolows Tor trifft. 2:1 für den SC - ein Treffer, der Hertha offenbar ins Mark trifft, denn genauso schnell, wie die Berliner Leistungsexplosion nach Wiederbeginn aufgekommen war, fällt sie wieder in sich zusammen. Das Spiel läuft nun wieder in ruhigeren Bahnen. Jetzt greift auch der SC wieder mehr an und hat die eine oder andere Halbchance. Dann die Entscheidung in der 67. Minute: Standardspezialist Vincenzo Grifo, gefeierter Schütze des 1:0 in der 7. Minute, flankt einen Eckball von der linken Seite ins Zentrum, wo der aufgerückte Innenverteidiger Manuel Gulde noch vor dem ersten Pfosten steht und den Ball per Kopf ins lange Eck verlängert. 3:1, Hertha ist geschlagen.

In der 80.Minute erlöste Nils Petersen den abgekämpften Freund und Mannschaftskameraden Vincenzo Grifo. In der vierten Minute der Nachspielzeit darf Nils dann jubeln: Nachdem der ebenfalls eingewechselte Lucas Höler im Strafraum zu Fall gebracht wurde, verwandelt Petersen den fälligen Strafstoß zum 4:1-Endstand.

 

Das Nachspiel

Erstmals in seiner Bundesligageschichte hat der SC Freiburg eine Englische Woche mit drei Siegen optimal erfolgreich gestaltet und  "binnen acht Tagen mehr Punkte geholt als in den drei Monaten zuvor", freut sich Christian Streich in der Pressekonferenz. Streich und ich sind uns einig, dass das 4:1 natürlich nicht wirklich die Kräfteverhältnisse auf dem Rasen korrekt wiedergibt - ich frage ihn also, was denn ein korrektes Ergebnis gewesen wäre: "2:1 hätte auch gereicht" findet der Coach "aber verdient!" fügt er noch an und hat selbstverständlich Recht.

Gut gelaunt, gelöst, geradezu befreit fahre ich nach Hause. Der SC hat in der letzten Phase der Bundesliga des Jahres 2020 das Tabellenbild korrigiert, ist jetzt Zehnter; das ist in Ordnung. Das Spielglück ist zurück, das dem Club in so vielen Spielen abspenstig geworden war - es gab zwei, drei Unentschieden, die mit Siegen hätten belohnt werden müssen; am Schluss gab es dann drei verdiente Siege am Stück. Ende gut - alles gut; wobei die Kür ja noch folgt: Wenige Stunden vor Heiligabend spielt der SC im DFB-Pokal beim schwäbischen Rivalen VfB Stuttgart; am Mittwoch, 23. Dezember, um 20.45 Uhr. Ich bin natürlich am baden.fm-Mikrofon live dabei. Danach ist dann Weihnachten.