17. Spieltag der Fußball-Bundesliga, SC Freiburg gegen Bayer 04 Leverkusen

Sonntag, 19. Dezember 2021, 15.30 Uhr *

Europa-Park Stadion, Freiburg *

SC Freiburg - Bayer 04 Leverkusen *

Das Vorspiel

In einer Englischen Woche bleibt wenig Zeit für das Internet-Tagebuch. Deshalb entsteht das Kapitel „Jahresfinale gegen Leverkusen“ in der Retrospektive, einfacher ausgedrückt als Nacherzählung. Am Donnerstag war ich am Vormittag per Flieger aus Berlin zurückgekehrt und direkt vom EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg in den WZO-Verlag gefahren, um die ReblandKurier-Ausgabe für KW 50 nachzubereiten, also Honorare freizugeben, Online-Veröffentlichungen zu realisieren und solche Dinge, die ich eigentlich mittwochs erledige – aber da war ich ja in Berlin. Außerdem begann natürlich die Vorbereitung unserer Weihnachtsausgabe vom 22. Dezember. So hatte ich einen Vor-Ort-Termin auf dem hier in der Region recht bekannten Bohrerhof, wo gerade ein ganz besonderes Hotel entsteht, das kürzlich Richtfest feierte und ich kontaktierte die „Impfengel“ der Region, also impfende Ärzte, die eine Hauptrolle bei der Bekämpfung der Pandemie spielen und in unserer Zeitung unmittelbar vor Weihnachten entsprechend gewürdigt werden sollen. Mit anderen Worten: Ganz normaler Redaktionsalltag, aber durchaus komprimiert. Am Freitag ging das gerade so weiter, sodass ich ganz froh war, zusammen mit einem Freund und Kollegen am Freitagabend Gast bei einer exklusiven Weinprobe im Schlossgut Ebringen zu sein. Eingeladen hatte Professor Dr. Valentin Weislämle, ein Ur-Ebringer, Hochschullehrer und Vorstandsvorsitzender im Schlossgut, das unter anderem versucht, dem Ebringer Wein die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen und ihn zu vermarkten. Im beeindruckenden Schlosskeller genossen wir einige richtig gute Tropfen. Am Samstag konnte ich mich dann weitgehend erholen. Mit einer Ausnahme: Zwischen 13.30 Uhr und 16 Uhr kommentierte ich, auf Basis von gestreamten Fernsehbildern, das Spiel der U23 des SC Freiburg in Wiesbaden bei baden.fm. Üblicher Weise melde ich mich dann, der Übertragungslizenz und der Bedeutung des Sportevents entsprechend,  vier Mal pro Spiel im Programm; es sei denn, es ist ein besonderes Spiel, wie neulich in Osnabrück. Da war ich dann im Stadion an der Bremer Brücke und wir habe – das erlaubt die DFB-Lizenz drei Mal im Jahr – weit ausführlicher über das Spiel berichtet. Da hatten wir in Osnabrück den richtigen Riecher, denn der SC-Nachwuchs gewann gegen den gefühlten Zweitligisten VfL mit 0:1. Das war richtig toll. Am Samstag waren die Jungs nicht so erfolgreich, sondern verloren, trotz des besseren Fußballs, den sie boten, mit 2:0. Wiesbaden war schlicht effizienter vor dem Tor. Als das Spiel vorbei war, baute ich mein Wohnzimmer wieder von einem Sendestudio in ein normales Wohnzimmer um, legte mich aufs Sofa und verfolgte bis in den Abend die Bundesliga im Pay-TV, sprich bei Sky. Riesen-Freude dabei über den Sieg meiner alten fußballerischen Herzensdame Arminia in Leipzig. Das war ein Coup, den wohl kaum einer den Bielefeldern zugetraut hatte. Ich fand die drei Punkte aus Sachsen auch deshalb gut, weil dann der SC-Sieg am 8. Januar im „Rischmüller-Derby“, wenn meine beiden Fußball-Lieben aufeinander prallen, nicht so sehr schmerzt. Natürlich kenne ich an diesem Tag nur einen Herzensclub, dem ich die Daumen drücke und das ist der SC, den ich seit 28 Jahren als Livereporter begleite. Unvergessen bleibt aber, dass die Basis für all das, was ich an der Seite des SC Freiburg erleben durfte und darf, bei Radio Bielefeld und an der Seite des DSC Arminia gelegt wurde.

Sonntagvormittag wollte ich eigentlich in den Verlag fahren und ein bisschen Zeitungsarbeit verrichten beziehungsweise auch dieses Vorspiel fürs Leverkusen-Tagebuch verfassen. Ich war dann aber irgendwie zu träge und blieb daheim. Ich verfolgte den Sport1-Doppelpass, in dem Leverkusen, Hoffenheim, Frankfurt und Union Berlin sehr gelobt wurden. „Ihr Experten“, dachte ich mit einem gewissen Fatalismus, denn der SC wurde natürlich mit keinem Wort erwähnt. Ich wusste, wenn der SC am Nachmittag gegen Bayer Leverkusen gewinnt, lässt er all diese hochgelobten Clubs hinter sich, die – bis auf Union – alle mit deutlich mehr Kohle im Profizirkus unterwegs sind als Freiburg. Ich hoffte total auf diesen Erfolg, wusste aber auch, dass der SC die letzten beiden Heimspiele gegen Leverkusen und auch die letzten beiden Heimspiele im Europa-Park Stadion überhaupt verloren hatte. Es müsste also schon ein richtiger Bock umgestoßen werden, um meinen Traum wahr werden zu lassen. Aufgrund der sehr stabielen Leistungskurve des SC im Verlauf der Hinrunde, traute ich der Mannschaft das aber zu. So hatte ich mich auch am Freitagmorgen in der baden.fm-Morningshow geäußert; auch, weil Bayer 04 Leverkusen zwar an guten Tagen jeden Gegner in der Bundesliga schwindelig spielen kann, aber eben nicht die Stabilität hat, etwas launisch wirkt, wie eine Diva.

Ich freute mich jedenfalls auf meinen Reportereinsatz, denn ich durfte das Bundesligaspiel SC Freiburg gegen Bayer 04 Leverkusen live in der baden.fm-Bundesligashow übertragen.

 

Das Fußballspiel

(Mein 1.033 SC-Livespiel am Radio-Mikrofon)

 

Der SC begann vor pandemiebedingt zugelassenen 750 Zuschauern – etwa die Hälfte VIPs, die andere Hälfte ausgeloste Fans – wie die Feuerwehr. Angetreten im klassischen 4-4-2, mit Janik Haberer für Maximilian Eggestein im zentralen Mittelfeld. Den systembedingt wegfallenden Defensivplatz von Keven Schlotterbeck nahm in der Startelf der offensive Roland Sallai ein. Nico Schlotterbeck, der einmal mehr eine überragende Leistung bringen sollte, hatte schon in der 1. Minute eine große Abschlusschance, als er aus spitzem Winkel und kurzer Distanz von links draufhalten konnte. Torwart Hradecky kann gerade noch abwehren und lenkt den Ball über die Torauslinie – es gibt Eckball. Der verpufft aber die Freiburger Startoffensive geht weiter. In der 3. Minute gelingt eine tolle Kombination über die linke Seite, Vincenzo Grifo bedient Kapitän Christian Günter mit einem „Zuckerpass“, der leitet weiter auf Lucas Höler und der „Aufsteiger der Saison“ hält drauf; wieder kann Hradecky abwehren – aber „Hut ab“, das war mal eine rasante Startphase. Ich spüre einfach, dass der SC energiegeladen und gut drauf ist. „Die wollen heute was reißen“, denke ich bei mir und kommentiere entsprechend bei baden.fm. Bis zur nächsten guten Torchance dauert es bis zur 25. Minute: Christian Günter hält drauf, verfehlt das Tor aber knapp. Keine Frage, der SC ist bislang die bessere Mannschaft. „Hoffentlich rächt sich das Verpassen der zwei, drei guten Möglichkeiten nicht irgendwann“ stelle ich gewisse Bedenken in den Raum. In der 30.Minute sieht Nico Schlotterbeck die Gelbe Karte und ich weiß am heutigen Montagmorgen noch nicht, wofür eigentlich. Das war ein völlig harmloses Foul beim Kampf um den Ball im Mittelfeld. Aus dem Freistoß entwickelt sich so etwas wie eine Halbchance für Bayer, die jedoch mit vereinten Kräften irgendwie vereitelt wird. Höler haut am Ende den Ball weg.

Dann ist wieder der SC an der Reihe: Wooyeong Jeong kommt im 16er zum Abschluss, der kleine, wendige Niederländer Frimpong wehrt den Ball mit dem ausgestreckten Arm ab, sieht „Gelb“ und es gibt selbstverständlich Elfmeter; keine Diskussion. Ich sehe, dass Vincenzo Grifo sich den Ball schnappt, „Vince“, der gegen Hoffenheim an Baumann gescheitert war, beweist „Eier“, will es wissen und scheut kein Risiko. Grifo läuft an, sieht wie Hradecki in sein rechtes Eck hechtet und lupft den Ball gerade in die Mitte des Tores. Obercool bis frech… 1:0 für den SC – die verdiente Führung.

Leverkusen bleibt vieles schuldig, profitiert aber kurz vor der Pause von einem kleinen Wackler in der SC-Abwehr, den Nicolas Höfler bereinigt, indem den Ball mit Wucht über die Torauslinie tritt. Es gibt Eckball für Leverkusen. Wirtz tritt an, flankt Richtung zweiter Pfosten. Im Rückraum kommt Tah zu einem Fallrückzieher, der den Ball ins Zentrum bringt, wo Aranguiz, im Fünfmeterraum stehend, den Kopf in die Flugbahn des Balles hält. So fällt in der letzten Sekunde der ersten Halbzeit der Ausgleich, der sich mit nichts angekündigt hatte. Bayer 04 im Glück…

Die zweite Halbzeit verläuft zunächst weniger energetisch aufgeladen und spektakulär wie die erste. Ab und an plätschert die Partie jetzt nur dahin. Beim SC verrichtet die Defensive weiter gute Arbeit, lässt praktisch nichts zu, nach vorne aber geht auch nicht mehr viel, von einem Schlenzer von Vincenzo Grifo mal abgesehen, der aus 20 Metern abgefeuert wird und knapp über das rechte obere Tordreieck hinwegfliegt (66.) Seit zehn Minuten ist zu diesem Zeitpunkt bereits Kevin Schade auf dem Platz, der den willigen aber etwas glücklosen Roland Sallai abgelöst hat. Zehn Minuten vor dem Ende wechselt Christian Streich Ermedin Demirovic für Vincenzo Grifo und Maximilian Eggestein für Janik Haberer ein. Das Spiel scheint einem 1:1 entgegenzugehen. Auch wenn Kevin Schade in der 82. Minute mit seiner Schnelligkeit eine Gelbe Karte gegen Leverkusens Abwehrspieler Kossounou provoziert. Vermutlich wäre der 20-Jährige aus der Freiburger Fußballschule auf und davon gewesen, hätte der Abwehrrecke von der Elfenbeinküste den Irrwisch nicht zu Fall gebracht. Zwei Minuten später explodiert dann das Europa-Park Stadion, trotz der spärlichen Besetzung auf den Rängen: Der eingewechselte Maximilian Eggestein passt auf den eingewechselten Ermedin Demirovic. Der in Hamburg geborene bosnische Nationalspieler flankt Richtung erster Pfosten, wo der ebenfalls eingewechselte Kevin Schade seinen Häschern entwischt und den Ball, bevor der verdutzte Hradecky ihn erreichen und abfangen kann, mit der Picke über die Linie spitzelt; 2:1 – und sowas von verdient… In den Schlussminuten brennt nichts mehr an. Der SC schlägt Bayer 04 mit 2:1 und schiebt sich an den hochgelobten Teams, Leverkusen, Frankfurt, Hoffenheim und Union, von Platz 7 aus startend, auf Platz 3; ein Champions League Platz zur Winterpause. Das gab es noch nie… Ich muss am Mikrofon mit meinen Gefühlen kämpfen. Welch ein Triumph für alle, die mit dem SC Freiburg fühlen. Einfach nur großartig!

 

Das Nachspiel

Wie früher vor der Nordtribüne im Dreisamstadion oder jetzt, bei vollem Stadion, vor der Südtribüne im Europa-Park Stadion feiert die Mannschaft jetzt, Hand in Hand mit La Ola vor den 750 Männlein auf der Haupttribüne. Dennoch: Die Begeisterung ist spürbar. Auch ich kann mich kaum bremsen. Über den Kopfhörer kommt aus dem Sendestudio „SC Freiburg vor, immer wieder vor…“ – ich tanze wie entfesselt, reiße den Arm hoch, der nicht das Mikrofon halten muss und winke den Jungs zu, die auf dem Rasen feiern. Von dem Freund und Kollegen, der schon mit mir auf der Weinprobe war, werde ich dabei von hinten fotografiert – ein Bild, das sich später mit dem Dank an die Jungs bei Facebook und Instagram posten werde und das Rekord-Likes erhält. Die Begeisterung reißt alle mit. Fußball-Freiburg trotzt dem Corona-Verdruss und freut sich einfach nur über den SC – sein wunderbares Spiel gegen Leverkusen, seine geniale erste Halbserie, das sportlich beeindruckende Fußballjahr 2021. Entsprechend emotional fällt meine letzte Liveschalte in der letzten baden.fm-Bundesligashow das Jahres 2021 aus. Am Schluss steht der Dank an die Mitstreiter, etwa Benny Resetz, den Moderator der Show, vor allem aber an die treuen Fans, die uns einschalten. Ich wünsche „frohe Feiertage“ und verabrede mich mit allen für den 8. Januar, zum „Rischmüller-Derby“. SC gegen Arminia. Dann war mein Radio-Jahr (fast) um. Klar, Montagmorgen noch mal in der Morningshow ein Talk mit Felix Berz, aber dann ist diesbezüglich Winterpause.

Ich packe meine Sachen, gehe in den Pressekonferenzraum und warte auf die Trainer. Per Facebook-Messenger erhalte ich eine Video von den Jubelszenen mit Streich und einem Betreuer. Kollege Oliver Forster, der für Sport1 eine Zusammenfassung erstellt, will wissen, wer der Betreuer ist. Ich ziehe andere SCler zu Rate und keiner weiß es, im Zeitalter von Masken. Das teile ich Oli mit. Später wird sich herausstellen, es war der Physio Markus Behrens. Dann ist PK, gefolgt von einem sehr launigen Interview mit Christian Streich. Und dann ist Feierabend.

Ich wünsche allen Tagebuchkonsumenten frohe Feiertage, einen guten Rutsch und – vor allem – Gesundheit. Auf ein Neues in 2022!