2. Hauptrunde im DFB-Pokal, SC Freiburg gegen FC St. Pauli

Mittwoch, 19. Oktober 2022, 18 Uhr *

Europa-Park Stadion, Freiburg *

SC Freiburg - FC St. Pauli *

Das Vorspiel

Endlich wieder ein Heimspiel... drei Heimspiele am Stück sogar; das reduziert den Reporter-Stress, verglichen mit den drei aufeinanderfolgenden Spielen in Berlin, Nantes und München enorm. St. Pauli kommt... Ziemlich genau ein Jahr nach dem "Gala-Freundschaftsspiel" zur Eröffnung des damals nagelneuen Europa-Park Stadions kommen die Kiez-Kicker von Manager Andreas Bornemann aus Neuenburg, einem alten Weggefährten vom Sport-Club, zu einem Pflichtspiel nach Freiburg. 

So locker flockig wie beim 3:0 im damaligen Freundschaftsspiel dürfte es heute nicht werden; eher "hart umkämpft, auf Biegen und Brechen", um SC-Trainer Christian Streich zu zitieren. Es werde nach 60 Minuten noch keine Entscheidung absehbar sein, prognostizierte der Coach auf der gestrigen Pressekonferenz. Zweitligist St. Pauli habe beim 3:0 im Hamburger Stadtderby gegen den favorisierten HSV mächtig Selbstvertrauen gesammelt, vermutet Streich, der bei seinen Jungs, die beim 5:0 in München mächtig unter die Räder kamen, entschuldigende Verweise auf die anstrengende Saisonphase und den Tanz auf drei Hochzeiten nicht gelten lassen will. Dennoch bestätige er meine Frage nach bevorstehenden personellen Änderungen - hielt sich verständlicher Weise aber bedeckt; wie stark und mit wem er personell rotiert ließ Streich offen. An seinem Gesichtsausdruck, als ich beispielhaft die Namen Lukas Kübler und Yannik Keitel aufrief, die mir vor allem in Nantes positiv aufgefallen waren, ließ sich (vielleicht) erkennen, dass Lukas und Yannik erste Anwärter auf einen, bezogen auf die vergangenen Wochen für sie eher ungewohnten Startelf-Platz sein werden. Ganz sicher ist auch Wooyeong Jeong zu nennen, der sich in Nantes nach anfänglichen Problemen in eine Top-Leistung steigerte. Nils Petersen und Lukas Höler sind ebenfalls Kandidaten, die heute Abend um 18 Uhr auf, statt neben dem Platz stehen könnten. Vielleicht gönnt Streich ja auch zumindest einem seiner beiden Innenverteidiger in der dritten Englischen Woche in Serie eine Verschnaufpause - Keven Schlotterbeck hätte sicher mal eine Chance verdient... Vielleicht überrascht Streich ja auch mit noch mehr Wechselwillen - korrigierend eingreifen könnte er, angesichts von fünf möglichen Auswechslungen im Laufe des Spiels ja immer noch, wenn es irgendwo im Spiel der Mannschaft klemmen sollte. Es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, die hohe Belastung aller eingesetzter Spieler geschickt zu steuern, denn drei weitere Englische Wochen stehen noch bevor. Dass die Bundesliga, bei aller Begeisterung für DFB-Pokal und Europa League immer die erste Geige spiele, ließ Streich auch wissen, was meine Rotation-Erwartung für heute Abend noch einmal bestätigte. Es werden neue Namen in der Startelf auftauchen; nicht weil der Gegner St. Pauli heißt und aus der 2. Liga kommt, sondern, weil es einfach an der Zeit ist und gewisse Defizite in der geistigen und körperlichen Frische mutmaßlich auch beim 5:0 in München schon eine Rolle gespielt haben. Umso erfreulicher ist es, dass der Kader des SC Freiburg in der Saison 22/23 qualitativ hoch stehend breit aufgestellt ist. Und - nicht zu vergessen - schon am Samstag kommt Werder Bremen zum Bundesligaduell nach Freiburg... Da sieht der SC auf Platz drei stehend zwar richtig gut aus - der Vorsprung vor dem aktuellen Tabellkenelften Mainz 05 beträgt aber lediglich drei Punkte - da geht es sehr eng zu.

Heute findet freilich ein anderer Wettbewerb statt: DFB-Pokal... Da werden Träume wach; das Finale in Berlin war fraglos in 30 Jahren als Reporter an der Seite des SC Freiburg der absolute Höhepunkt. Wer so etwas einmal hautnah erlebt hat, als Trainer, Spieler, Fan oder Reporter, der will es noch einmal erleben. Deshalb hat der Wettbewerb in meiner Wahrnehmung deutlich an Bedeutung gewonnen. Ich werde heute Abend im Europa-Park Stadion als Livekommentator von baden.fm total fokussiert sein und sehr emotional. Wenn ich das Aquarell-Poster vom Olympiastadion beim Finale mit dem SC und seinen Fans sehe, das ich in zweifacher Ausführung gekauft habe, bekomme ich noch heute eine Gänsehaut. Das erste der beiden Poster bekommt mein Sohn Ben, der ja in Berlin dabei war, gerahmt als Erinnerung an sein und des SC's erstes Pokalfinale zu seinem 14. Geburtstag geschenkt. Der ist am 30. Oktober - deshalb unbedingt pssssssst!!!! Nichts sagen! Ich hoffe, das Bild und die Erinnerung rühren ihn ähnlich an wie meine Freunde und mich. (Da Ben gerade zum Schüleraustausch in Frankreich ist, glaube ich nicht, dass er das Tagebuch vom Alten liest...)

Mein Countdown heute sieht wie folgt aus: Am frühen Morgen war ich bereits mit einem kleinen Vorbericht bei baden.fm zu hören. Seit 8.30 Uhr sitze ich im WZO-Verlagshaus in der ReblandKurier-Redaktion. Als deren Leiter habe ich die heutige Ausgabe unserer Zeitung, die wir gestern fertiggestellt haben, nachbereitet. Nachbereitung heißt: Die Honorare für die freien Mitarbeiter prüfen und freigeben, Ein paar Statistiken führen, vornehmlich über redaktionelle Kosten und so, dann von jeder Ausgabe ein oder zwei wichtige Artikel für die Homepage www.wzo.de aufbereiten und exemplarisch einen Beitrag auf die Facebookseite vom ReblandKurier stellen. Als das alles erledigt war, konnte ich mich dem Reporter-Tagebuch für das St. Pauli - Spiel widmen; mein Internettagebuch ist übrigens auch eine Verlagsprodukt von WZO. Wenn ich mit dem "Vorspiel" gleich fertig bin, gehe ich zum mittwöchlichen Mittagsmeeting des Rotary Clubs Bad Krozingen, um Freunde zu treffen, zu netzwerken, einem meistens spannenden Vortrag zu lauschen und dann schön in Gemeinschaft zu speisen. 

Um 14.30 Uhr ist dann die digitale Pressekonferenz zum am Freitag bevorstehenden Drittligaspiel der U23 in Zwickau. Ich kommentiere das Match am Freitag ab 19 Uhr auf Bildschirmbasis in drei bis vier Kurzeinblendungen - da muss ich ja über alle Hintergründe auf dem Laufenden sein. Und dann nähert sich auch schon die Abfahrtzeit zum Stadion; spätestens um 16 Uhr gehts los, habe ich angekündigt, denn ich fahre heute nicht alleine: Meine kleine Tochter Amelie (10) und ihre beste Freundin und Klassenkameradin vom Kreisgymnasium, Vivien, fahren mit. Ich habe Sitzplatzkarten für die beiden im Familienblock besorgt - ohne Ben ist der Stadionbesuch für Amelie eine Premiere. Aus Kindern werden halt Leute... ;-)

Um 17 Uhr beginnt die Pokal-Sondersendung bei baden.fm; dann muss ich auf meinem Stammplatz, Reihe 14, Platz 14, auf der Pressetribüne sitzen - voller Hoffnung, dass unser SC gegen Pauli, auch wenn die mir durchaus sympathisch sind, das Achtelfinale im DFB-Pokal erreicht; die nächste Hürde nimmt auf dem Weg, zurück nach Berlin. Mach's noch einmal, Sport-Club!

Ich kommentiere das DFB-Pokalspiel SC Freiburg gegen FC St. Pauli heute Abend ab 17 in der baden.fm-Pokalshow.

 

Das Fußballspiel

(Mein 1.070. SC-Livespiel am Radio-Mikrofon)

Als hätte ich es zumindest ein bisschen geahnt: Große Rotation beim SC – sieben Veränderungen in der Startelf im Vergleich zum 0:5 bei den Bayern: Im Tor vertrat Noah Atubolu Stammkeeper Mark Flekken. In der Viererkette durften Lukas Kübler (für Kiliann Sildillia) und Keven Schlotterbeck (für Philipp Lienhart) ran, im Mittelfeld begannen Yannik Keitel (für Nicolas Höfler) und Noah Weißhaupt (für Vincenzo Grifo) und im Angriff versuchten Wooyeong Jeong (für Kevin Schade) und Nils Petersen (für Michael Gregoritsch) ihr Glück. Das Ergebnis war zunächst mäßig, der SC fand gegen engagierte und mutige Pauli-Profis nicht gut ins Spiel. Torgefahr zu produzieren gelang, abgesehen von einem Distanzschuss von Außenverteidiger Christian Günter (30. Minute) gar nicht und hinten schlichen sich kleine Fehler ein. So kam St.Pauli in der 37.Minute,  nach einer klugen Kombination, zu einem Abschluss, der eigentlich die Führung bedeuten musste, allerdings bewies Noah Atubolu seine Extraklasse im Kampf "Mann gegen Mann" und wehrte ab. Fünf Minuten später war der Torhüter der deutschen U21-Auswahl und etatmäßige Keeper der U23 des SC in der Dritten Liga,   machtlos. Keven Schlotterbeck hatte einen verunglückten, da viel zu kurzen, Rückpass gespielt, der zur Steilvorlage für Daschner mutierte. Alleine vor Atubolu lupfte der Paulianer den Ball über den Torhüter hinweg zum 0:1 ins Netz (42. Minute). Das war der Halbzeitstand.

Ich nannte es bei baden.fm eine „Faxen-dicke-Reaktion“, Christian Streich moderierte später – sein ungewöhnlicher Viererwechsel in der Halbzeitpause habe sich nicht gegen die vier ausgewechselten Spieler gerichtet, sondern sei dem Gefühl geschuldet gewesen, der SC brauche eine neue Energie auf dem Platz. Mit Philipp Lienhart (für den Unglücksraben Keven Schlotterbeck), Nicolas Höfler (für Maximilian Eggestein), Daniel Kofi Kyereh (für Wooyeong Jeong) und Michael Gregoritsch (für Nils Petersen) kamen jedenfalls vier Stammspieler der erfolgreichen vergangenen Wochen auf das Spielfeld. Das Spiel änderte sich zwar nicht revolutionär, zu beobachten war aber ein höheres Tempo, mehr Körperlichkeit und mehr Zug zum gegnerischen Tor. Mit zunehmender Spielzeit erhöhte sich der Druck permanent und es stellten sich auch – in der Frequenz zunehmend – Torchancen ein. Der Ausgleich lag mehrfach in der Luft, fiel aber erst in der dritten von fünf Minuten Nachspielzeit. Yannik Keitel flankte mit dem schwächeren linken Fuß auf den nach vorne geeilten Matthias Ginter und der „Heimkehrer“ wuchtete den Ball per Kopf zum 1:1 ins Netz, rettete sein Team so in die Verlängerung. Besondere Anmerkung: „Gindes“ Ginter war seit der 50. Minute lädiert, hatte in einer Spielertraube den Arm von Lukas Kübler ins Gesicht bekommen und eine stark blutende Wunde über der Nase davongetragen. Die Wunde musste getackert werden und „Gindes“ musste mehrfach raus, um die Blutung zu stoppen. Trotzdem war er, durch das Tackern fast ein wenig entstellt, in der Nachspielzeit zur Stelle und erzielte ein blitzsauberes Kopfballtor.

Es gab Verlängerung, in der sich der Torschütze zum 1:1 im eigenen Strafraum bei einer Abwehraktion den Fuß verdrehte. Wieder stand Ginter vor der Auswechselung… Allerdings war mit Vincenzo Grifo (für Noah Weißhaupt) in der 76. Minute bereits ein fünfter neuer Spieler für den SC ins Spiel gekommen – „Gindes“, der kaum noch laufen konnte, hätte also nicht ersetzt werden können. Also blieb der Marcher Weltmeister von 2014 (wenn auch ohne Einsatzminute in Brasilien) auf dem Platz und wurde als Mittelstürmer in der Angriffsspitze „geparkt“. Es roch schon nach Elfmeterschießen, als der in derf 76. Minute eingewechselte Vincenzo Grifo in der 119. Minute einen Eckball vor das Pauli-Tor zirkelte. „Gindes“ Ginter stieg hoch, verlängerte per Kopf auf Michael Gregoritsch und „Gregerl“ köpfte ein zum Sieg. Das Europa-Park Stadion glich einem Tollhaus...

Das Nachspiel

Der Reporter ballte die Faust… Wie geil war das denn!? Bei baden.fm verteilte ich die Noten – Bestnoten für Matthias Ginter und Nicolas Höfler; „Gindes“ als „man oft the match“ und „Chico“, weil er die spürbar größere Entschlossenheit der Mannschaft in der zweiten Halbzeit durch konkrete Aktionen und Körpersprache sozusagen personifizierte.

Dann ging es in die Mixedzone. An der Stelle, wo ich sonst immer stehe, um die Interviews zu führen, hatte sich jetzt der SWR-Hörfunk einen gebrandeten Standplatz zuweisen lassen. Da die Spieler aber hinter einer Stellwand zur Kabine laufen und den Journalisten nicht mehr (wie früher) konkret zugeführt werden, muss man sie  heranrufen. Das wusste ich und hatte mit meiner Taktik auch jenseits der Pole-Position für Interviews Reporter-Glück: Ich bekam Yannik Keitel, der die Flanke vor dem 1:1 geschlagen hatte und Noah Weißhaupt, der 76 Minuten lang seine Startelf-Feuertaufe in einem Pflichtspiel erlebt hatte, ans Mikrofon. Matthias Ginter, den ich auch gerufen hatte, der aber zunächst am lädierten Sprunggelenk getapet werden musste, kam dann auch noch zum Reporterpulk, allerdings während ich mit einem der anderen Jungs sprach. So gab „Gindes“ erst den Kollegen der schreibenden Zunft Auskunft. Also wartete ich brav. Ein SWR-Kollege, der nun seine Pole-Position verlassen hatte und – deutlich später ­ zu unserer Gruppe gestoßen war, drängelte sich dann vor und hielt „Gindes“ mit den üblicher Weise sehr wortreichen und langen öffentlich-rechtlichen Tiraden auf. So kam es mir zumindest vor, denn ich war ganz schön sauer auf den Vordrängler. Dann wollte „Gindes“ sich verabschieden, doch ich bat ihn noch zu warten und mir ein sogenanntes 1:1-Interview zu geben. „Anderthalb Minuten“ versprach ich, „länger nicht“. „Gindes“ grinste und nahm mich wegen der Zeiteingrenzung etwas aufs Korn, stand aber gerne für das Interview zur Verfügung. Einerseits sicher ein Ergebnis der offiziellen Medienpartnerschaft zwischen meinem Auftraggeber baden.fm und dem SC, andererseits war diese Bereitschaft vermutlich auch ein Ergebnis jahrelanger Zusammenarbeit – ich hatte Matthias schon vor seinen Jahren in Dortmund und Mönchengladbach, sogar als U19-Spieler, oft in Freiburg und bei Auswärtsspielen interviewt ­– und eben basierend auf Vertrauen. Als ich auch das Ginter-Interview, es dauerte übrigens 2.55 Minuten, im Kasten hatte, war ich zufrieden und ging in den Pressekonferenzraum, wo ich erstmal durchatmete und während ich auf die Trainer wartete die Spielerinterviews an die verschiedenen Abnehmer im Funkhaus und beim SC versendete.  

Dann war PK und Christian Streich stand mir im Anschluss Rede und Antwort. Auch den Talk mit dem Trainer verschickte ich und dann war tutti; Feierabend; der SC steht im Achtelfinale (Auslosung am Sonntag, Spieltermin zum Monatswechsel Januar/Februar 2023) und ich war zufrieden mit mir und meiner Fußballwelt.

Im Auto warteten schon Amelie und Vivien, die ganz schön aufgekratzt waren. Das Pauli-Tor hätten sie auf einem Monitor am Wurststand gesehen („mit Wiederholung und allem“), wo sie in der 42. Minuute schon waren, um die Halbzeitschlange zu vermeiden. Die SC-Tore hätten sie natürlich von der Tribüne (Familienblock) aus gesehen und sie hätten mächtig gefeiert, erzählten mir die beiden „Mäuse“. Wir fuhren aufgeregt plappernd heim - zur Beruhigung und eigenen Überprüfung spielte ich die Interviews auf der Fahrt ab. Auch die Mädels lauschten interessiert. Ein gutes Zeichen!

Heute ist Donnerstag – ich genieße den knappen Pokalerfolg, der mich an die ähnlich dünnen Siege in Osnabrück und Bochum in der Vorsaison erinnerte, und vielleicht ja wieder in Berlin mündet. Es wäre ein Traum…

Noch drei Wochen Vollstress für Mannschaft und mich, den Reporter, dann ist (für die nicht-WM-Fahrer) Ausruhen angesagt. Noch drei Englische Wochen – das schaffen wir; irgendwie.