Das Vorspiel
Der SC Freiburg leckt sich seine Wunden – Manuel Gulde fällt mit einem heftigen Muskelfaserriss im Oberschenkel mehrere Wochen aus, Christian Günter, dessen Wade in Stuttgart mit fünf Stichen genäht werden musste, war bis heute, Donnerstag, noch nicht wieder im Training, er droht ebenfalls am Samstag gegen den VfL Wolfsburg auszufallen. Dass Chef-Stratege Nicolas Höfler zu den Dauerverletzten zählt, ist darüber fast schon in Vergessenheit geraten. Immerhin: Kapitän Mike Frantz, der in Stuttgart verletzt gefehlt hatte, ist wieder im Training und auch das Comeback von Amir Abrashi rückt näher.
Mit Blick auf das Wolfsburg-Spiel wird es im Abwehrbereich personell etwas eng. Wenn der SC mit drei Innenverteidigern spielt – die Dreierkette, wie etwa in Stuttgart - und ein weiterer gelernter Innenverteidiger, wie in Stuttgart Robin Koch, im zentralen defensiven Mittelfeld gebraucht wird, wird es langsam eng im Bereich Innenverteidiger. So rückte Talent Keven Schlotterbeck, vor zwei Jahren noch mit Backnang in der Verbandsliga unterwegs, und über die U23 des SC zu den Profis aufgestiegen, in Stuttgart erstmals in einem Bundesligaspiel in den Kader und – durch die Verletzung von Manuel Gulde – nach einer guten halben Stunde sogar in die Elf, die bei den Schwaben die Kartoffeln aus dem Feuer holen sollte.
Vor dem Spiel gegen Wolfsburg bedeutet der Ausfall von Gulde auch, dass mit Heintz, Koch, Lienhart und Schlotterbeck nur vier gelernte Innenverteidiger zur Verfügung stehen; bei einer Dreierkette und Koch im defensiven Mittelfeld säße also beim Anpfiff kein „backup“ für die Innenverteidigung mehr auf der Bank. Für den Fall, dass sich einer aus der Dreierkette verletzt, könnte Christian Streich dann freilich Koch zurück in die Abwehrreihe schieben und den ex-Lautererer im defensiven Mittelfeld ersetzen.
Der über weite Strecken recht ansprechende Auftritt von Stuttgart könnte den Trainer dazu verleiten, zumindest an der Grundformation 3-4-3 nichts zu ändern. Eine andere Überlegung für die Defensive wäre die Rückkehr zur Viererkette, in der ja nur zwei Innenverteidiger gebraucht würden. Ich glaube aber, Streich bleibt gegen Wolfsburg bei 3-4-3.
Der junge Schlotterbeck in der Startelf, das wäre freilich recht mutig, weshalb mir eine Dreierkette mit Heintz, Lienhart und Koch in den Kopf gekommen ist, da ja anscheinend Mike Frantz wieder mitwirken kann und der könnte ja auch im zentralen defensiven Mittelfeld auflaufen; wenn er nicht als Günter-Ersatz auf der linken Seite gebraucht wird, wobei Christian Streich, angesprochen auf die Günter-Position, den Namen Frantz nicht in den Raum wirft, sondern – auf Nachfrage beim heutigen Pressegespräch – Chima Ocorochi und Lukas Kübler als mögliche Alternativen nennt.
Keine Alternative mehr für die Offensivpositionen ist für diese Saison der Franzose Yoric Ravet. Prädestiniert für die Position im rechten offensiven Mittelfeld war das Engagement des früheren YB-Spielers aus Bern in Freiburg nicht gerade von Glück begleitet. Immer wieder warfen Verletzungen den sympathischen Franzosen aus dem Rennen, immer dann, wenn er nach hoffnungsvollen Teilzeiteinsätzen bereit für die Startelf schien. Jetzt soll Yoric auf gutem Niveau bei GC Zürich Spielpraxis sammeln. Ravet wurde bis Saisonende an die Schweizer verliehen. Wie es dann weitergeht, entscheidet sich im Sommer. In der ersten Schweizer Liga soll und kann sich der Franzose neu für die Bundesliga und für den SC Freiburg anbieten.
So viel zum Peronal, abschließend mit meinem Tipp für die Startelf:
Schwolow – Lienhart, Koch, Heintz – Kübler, Haberer, Frantz, Günter (Okorochi) – Höler, Petersen, Grifo.
Ansonsten hat mich heute gerade ein sehr kritischer – übrigens anonymer – Brief eines Zeitungslesers aus Denzlingen erreicht. Der Mann – ich vermute mal es ist ein Mann – bezeichnet die Kollegen der BZ und mich als die „SC-Märchenerzähler“, mäkelt an sechs Siegen aus 20 Spielen herum und ist offenbar der Meinung, man müsse beim SC mal so richtig dazwischenhauen.
Nun bin ich durchaus kritikfähig, kann aber angesichts des Standortes Freiburg und der hier zur Verfügung stehenden Mittel, an den 22 Punkten nach 20 Spieltagen und an Platz 13 in der Zwischenblianz, nicht wirklich herummäkeln. Das passt schon. Mehr hatte ich vor der Saison nicht erwartet; vielleicht erhofft, aber nicht erwartet.
Ich finde ja tatsächlich großartig, wie hier alle Jahre wieder die Quadratur des Kreises gelingt und der Sport-Club (meistens) seinen Platz in der Bundesliga verteidigt. Und ich weiß mich da mit sehr vielen, auch namhafteren Kollegen als ich es bin, aus der ganzen Republik einig.
In diesem Jahr hege ich eigentlich keinen Zweifel am erneuten Klassenerhalt. Es kann immer etwas schiefgehen und allzu viele Verletzte steckt der SC auch nicht einfach schadlos weg, aber im Grunde mach ich mir keine Sorgen. Die Jungs werden das wieder wuppen…
Ich freue mich diese Woche, dass ein Heimspiel auf dem Programm steht. Kein Reisestress, viel Zusammensein mit der Familie, gemütliche Stunden auf dem Sofa. Klar, Fußball gibt’s rund um die Uhr auf dem Bildschirm, aber das kann ja auch entspannen.
In der zweiten Liga geht es morgen schon los mit Regensburg gegen Arminia (TV) und dem Spitzenknaller Köln gegen St.Pauli (Tablet). Mainz gegen Leverkusen schwänze ich dann, das ist nicht ganz so aufregend, da Mainz mit 27 Punkten dem Abstiegskampf fast schon etwas enteilt scheint. Spannender sind da schon die Samstagspiele mit unserem Kick gegen Wolfsburg, wo ein Sieg natürlich Gold wert wäre, mit dem Aufeinandertreffen von Schlusslicht und dem Vorletzten, Hannover gegen Nürnberg, wo ein Remis doch toll wäre…; Bremen gegen Augsburg ist auch sehr interessant (Werder!) und dann am Sonntag natürlich Düsseldorf gegen Stuttgart, wo ich eine Präferenz für Düsseldorf empfinde.
Freiburg gegen Wolfsburg steht natürlich besonders im Fokus. Das Hinspiel war so großartig – 1:3, der erste absolute Höhepunkt dieser Saison. Damals machte erstmals der ungarische Nationalstürmer Roland Sallai nachhaltig beim Sport-Club auf sich aufmerksam, der nun schon so viele Wochen verletzt ist. Nur gut, dass der SC in der Winterpause Grifo aus Hoffenheim auf Leihbasis zurückgeholt hat, der in seinen ersten beiden Einsätzen in Frankfurt und in Stuttgart bereits gezeigt hat, wie prägend er für das Angriffsspiel des SC sein kann, welche Akzente er setzt.
Jetzt warte ich gespannt auf Samstagnachmittag…
Ich übertrage das Bundesligaspiel SC Freiburg gegen VfL Wolfsburg am Samstag ab 15 Uhr in der baden.fm-Bundesligashow.
Das Fußballspiel
(Mein 931. SC-Livespiel im Radio)
Die erste Halbzeit gegen spielstarke Wolfsburger Gäste war insgesamt etwas fad. Weil die Defensive des SC in der elften Minute Zweikämpfe verweigerte, konnte sich der Gast fast unbehelligt durch die Freiburger Hälfte und bis in den Strafraum kombinieren und der beste Gästespieler an diesem Tag, Außenverteidiger Jérôme Roussillon konnte, umringt von Freiburger Abwehrspielern aus halblinker Position einschießen.
Doch auch die Wolfsburger machten Fehler. So vertändelte John Antony Brooks in der 27. Minute gegen clever pressende Freiburger einen Ball gegen Niederlechner. Dieser bediente mit Vincenzo Grifo Freiburgs Besten an diesem Tag und „Vince“ ließ sich die Chance aus Mittelstürmerposition und 14 Metern Torentfernung nicht entgehen. Das 1:1 bedeutete den Halbzeitstand – ansonsten war vor den Toren nicht viel passiert.
Nach dem Wechsel wurde die Partie intensiver und das Publikum wurde durch eine Achterbahn der Emotionen geführt. Der manchmal zur Theatralik neigende aber stets präsente niederländische Mittelstürmer des VfL, Wout Weghorst, wurde nach einer guten Stunde Spielzeit von Robin Koch im Strafraum zu Boden gerissen. Den fälligen Elfmeter verwandelte der lange Schlacks unhaltbar für Alexander Schwolow zum 1:2 (63.). Sieben Minuten später konnte der SC erneut ausgleichen: Vincenzo Grifos Ecke von links wurde von Nils Petersens Kopf unter die Latte und ins Netz befördert – ein bestechend guter Standard in Ausführung und Umwandlung. Das 2:2 war aber noch lange nicht das Ende des Fußballkrimis vor 23.600 Zuschauern im Schwarzwald-Stadion, in dem lediglich einige Plätze im Gästeblock freigeblieben waren.
Nach einem feinen Hackentrick von Wout Weghorst kam der flinke ex-Basler Renato Steffen frei zum Schuss und brachte die Wolfsburger wieder in Front. Der eingewechselte Luca Waldschmidt besorgte zwei Minuten vor Ende der regulären Spielzeit das 3:3 – ein toller Schuss aus der Drehung ins Dreieck – vorangegangen war ein bisschen „Strafraum-Billard“ mit sehr präsenten und Energie versprühenden Freiburgern. Der Schlusspunkt war das allerdings noch nicht. In der vierten Minute der Nachspielzeit gab es wieder einmal Eckball für den SC – inzwischen bekanntlich eine „Waffe“. Von rechts schlägt Christian Günter den Ball in die Mitte – Philipp Lienhart köpft kraftvoll und unhaltbar für Koen Casteels, der am kurzen Eck steht, ins lange Eck.
Das Stadion steht Kopf, ich überschlage mich förmlich am Mikrofon. Was folgt ist der Stimmungskiller Videobeweis. Nach Ansicht der Sequenz auf dem Bildschirm am Spielfeldrand entscheidet Schiedsrichter Dr. Felix Brych auf Freistoß für Wolfsburg – Dominique Heintz soll strafbar im Abseits gestanden haben.
Unter anderem diese umstrittene Szene habe ich ausführlich in meiner aktuellen Zeitungskolumne „SC INTEAM“ analysiert, die ich deshalb an den Anfang meines „Nachspiels“ stelle.
Das Nachspiel, beginnend mit SC INTEAM
SC INTEAM
Freitag, 16. März 2018, Schwarzwald-Stadion; der SC Freiburg verliert sein Bundesligaheimspiel gegen den VfB Stuttgart mit 1:2. Strittig ist der womöglich spielentscheidende Treffer zum frühen 0:1 für die Gäste – ärgerlich, weil objektiv irregulär. Die Stuttgarter Spieler Gentner und Tommy stehen bei Aogos Freistoßflanke im Abseits. Als sie dann aktiv die Laufwege der Freiburger Abwehrspieler blocken und Gomez so ungehindert sein Tor erzielen kann, ist das ein aktives Eingreifen ins Spielgeschehen, was aus der vorherigen passiven Abseitsstellung ein zu sanktionierendes aktives Abseits macht. Der Videoassistent im Kölner Keller übersieht das strafbare Abseits; Videoassistent war damals ein gewisser Dr. Felix Brych.
Der DFB stärkte dem Videoassistenten damals den Rücken, schaffte alternative Fakten, indem er das aktive Wegsperren der Freiburger durch im Abseits stehende Stuttgarter schlicht ignorierte.
Ein knappes Jahr später, am Samstag, 9. Februar 2019, ist Dr. Brych Schiedsrichter des Spiels SC Freiburg gegen VfL Wolfsburg. Beim Spielstand von 3:3 hat Freiburg in der vierten Minute der Nachspielzeit Eckball. Günter flankt, Lienhart köpft ins lange Eck, das Stadion tobt. Jetzt meldet sich Videoassistent Günter Perl aus Köln und Brych, der die Entscheidungshoheit hat, sieht sich die Szene auf dem Bildschirm am Spielfeldrand noch einmal an. Wenige Sekunden später annulliert er das Kopfballtor und entscheidet auf eine strafbare Abseitsstellung des Freiburgers Heintz. Dieser hatte, fern des Balles, quasi auf der Torlinie gestanden. Hinter ihm stand Knoche, der ihn mit beiden Armen umklammerte und festhielt, vor ihm Torhüter Casteels. Als sich Heintz, während der Ball in den Strafraum flog und von Lienharts Kopf unhaltbar im Tor untergebracht wurde, von Knoches Klammergriff befreien will, kommt es zu einer leichten Berührung des Torhüters. Dies, so argumentiert Brych nach dem Spiel, habe aus der passiven, eine strafbare aktive Abseitsstellung gemacht.
Auch wenn das Geschehen am rechten Pfosten mit der Flugbahn des Balles und dessen Einschlag am linken Pfosten eigentlich nichts zu tun hat, kann man das so sehen. Dann aber bitte schön immer und dann kann es passives Abseits bei Torabschlüssen eigentlich kaum mehr geben. Beim eingangs erinnerten Gomez-Tor fand kein leichtes Berühren, sondern aus dem Abseits heraus, aktives Eingreifen und Sperren ohne Ball statt und blieb ohne Sanktion. Besonders ärgerlich ist, wenn Schlüsselpersonen, Entscheider, so wie hier Dr. Brych, in beiden Fällen mit grotesk unterschiedlicher Auslegung, identisch sind.
Diese Kolumne ist ein Appell gegen den Videobeweis und seine willkürliche Handhabung in der Bundesliga. (Zitatende)
Die Pressekonferenz nach dem Spiel SC gegen Wolfsburg fand mehr als eine Stunde nach dem Abpfiff statt. Ungewöhnlich und extrem spät. Vermutlich musste der eine oder andere Beteiligte erst seine Emotionen einfangen… Der Sieg wurde dem SC praktisch weggepfiffen. Total geerdet und geradezu fußball-philosophisch äußerte sich Christian Streich später zu der strittigen Szene. Zuvor hatten die beiden befreundeten Trainer, Streich und Labbadia, gemeinsam das Spiel und den jeweiligen Gegner über den grünen Klee gelobt. Es wirkte insgesamt ein bisschen inszeniert, vielleicht um Streich nicht zu Aussagen zu verführen, für die ich als ständiger Begleiter des SCF sicher Verständnis gehabt hätte, die hohen Herren bei DFB und DFL aber vermutlich nicht.
Es war ein denkwürdiges Spiel – eine denkwürdige Entscheidung – es war aber auch ein Punkt, der den Abstand zum Relegationsplatz von sieben auf acht Zähler anwachsen ließ.
Sportlich, das sei der Fairness halber auch noch gesagt, wäre ein SC-Sieg gegen Wolfsburg sehr schmeichelhaft gewesen. Das Remis ging sportlich in Ordnung.
„Bonustrack“
Vortrag von mir im Rotary Club Bad Krozingen am Mittwoch, 13. Februar 2019 (aus rechtlichen Gründen unwesentlich gekürzt)
Titel:
Die Hörfunk-Livereportage im Wandel der Zeit
Als das junge Medium Hörfunk in Deutschland zwei Jahre alt war, geschah am 1. November 1925 etwas Besonderes. Immer größer war der Wunsch der ersten Radiomacher geworden, nicht nur aus dem Studio heraus mit dem Mikrofon zu berichten, sondern sich mitten aus dem Leben vor Ort zu melden.
Der 26-jährige promovierte Journalist Bernhard Ernst setzte am 1. November 1925 einen Meilenstein. Drei Jahre nach seiner Promotion zum Thema „Sportpresse und Sportberichterstattung“ übertrug er zum ersten Mal ein Fußballspiel live.
Es war an diesem denkwürdigen Tag vor 93 Jahren übrigens der 5:0-Auswärtssieg von Arminia Bielefeld bei Preußen Münster. Es war eine Partie der Gauliga. Der Arbeitgeber von Bernhard Ernst hieß „Westdeutsche Funkstunde“, ein Vorläufer des späteren Westdeutschen Rundfunks.
Als das Spiel anfing, war die Stimme des Reporters anfangs nicht zu hören. Der Grund war banal: Die extra für das Spiel über mehrere Kilometer gelegte Leitung vom Studio zum Stadion war von einem darüber nicht informierten Techniker der Post schlicht gekappt worden.
Die Verzweiflung im Münsteraner Stadion war groß; nicht nur weil Preußen gegen Arminia unterging; vor allem bei den Technikern vom Radio und bei Reporter Dr. Bernhard Ernst, denn das groß angekündigte Ereignis der ersten Hörfunkübertragung eines Fußballspiels drohte zu einem Desaster zu werden – es herrschte Stille auf dem Äther.
Ein findiger Techniker der „Westdeutschen Funkstunde“ hatte dann eine zündende Idee und Dr. Bernhard Ernst sprach seinen fachkundigen Kommentar statt in ein Mikrofon in ein Telefon.
Nichtsdestotrotz erwies sich die Übertragung als wegweisend. Bei den Hörern erntete die Sendung viel Beifall. Schnell gehörten Fußballreportagen zum festen Bestandteil der Programme. Und das ist vielfach noch heute so.
Anders als in Amerika, wo schon 1920 erste private Radiostationen auf Sendung gegangen waren, etablierte sich der werbefinanzierte private Hörfunk mit deutschsprachigem Programm in Deutschland erst in den späten 80er Jahren:
In meiner Heimat Nordrhein-Westfalen kam der private Hörfunk sogar erst Anfang der 90er Jahre auf die Beine. Am 1. Juni 1991 nahm zum Beispiel Radio Bielefeld den Sendebetrieb auf. Ich war dabei und darf aus heutiger Sicht sagen, ich war sozusagen ein Pionier der Fußball-Liveberichterstattung im privaten Hörfunk.
Wie der geschätzte Kollege Dr. Bernhard Ernst 66 Jahre zuvor, hatte ich als Premieren-Aufgabe, auch ein Spiel von Arminia Bielefeld zu kommentieren. Genau wie 66 Jahre zuvor war es kein großes bedeutendes Spiel, sondern – weil es radiotechnisch um ein Experiment ging, um einen ersten Versuch – ein eher unwichtiger Kick von allenfalls lokaler Bedeutung.
Arminia Bielefeld spielte bei SV Heepen, einem Club aus einem Bielefelder Stadtteil; wenn ich es recht erinnere war es ein reines Saisonvorbereitungsspiel. Aber es war unsere Premiere für Fußball live im Privatradio.
Wir hatten übrigens das gleiche Problem wie die „Westdeutsche Funkstunde“ 1925, wir hatten keine Leitung. Nicht weil einer von der Post, die inzwischen für diesen Geschäftszweig Telekom hieß, sie etwa gekappt hätte, sondern weil es – schon aus Kostengründen - selbstverständlich keine Übertragungsleitung gab. Das Prinzip lautete: „Reporter, - in diesem Fall Frank - mach mal irgendwie!“
Für solche und ähnliche Sportübertragungen schickte der Nachfolger der „Westdeutschen Funkstunde“, der Westdeutsche Rundfunk, kurz WDR, übrigens längst sogenannte Ü-Wagen (also Übertragungswagen) mit mindestens zwei Mann Besatzung plus Reporter raus. Das ist übrigens noch heute so. Ich als Privatfunker war 1991 auf mich alleine gestellt und sollte mal machen. Und das ist mehr oder weniger auch noch heute so.
Ich kam auf eine ähnliche Idee, wie die Jungs 1925: Das Telefon sollte mich retten. Mobilfunk steckte anno 91 allerdings noch tief in den Kinderschuhen. Ich brachte also in Erfahrung, dass sich in der Stadiongaststätte neben dem Sportplatz, eine sogenannte TAE-Dose befand, die ich nutzen durfte. Ich brachte also von zu Hause mein damals recht revolutionäres Drahtlos-Telefon mit, stöpselte den Stecker vom Basisteil in die TAE-Dose ein und stellte mich mit dem mobilen Hörer zwischen das Publikum und kommentierte das Spiel. Es gelang technisch, wie inhaltlich richtig gut – es war ein Träumchen.
In der Tat war über viele Jahre, wenn nicht sogar über zwei Jahrzehnte, die ganz normale Telefonleitung der Übertragungsweg Nr. 1 im privaten Hörfunk.
Im eigenen Stadion hatte der Sender seinen eigenen festen Telefonanschluss (oder eine Übertragungsleitung) und bei Auswärtsspielen bestellten die Sender überall dahin, wo sie es brauchten, einen sogenannten Telefon-Zeitanschluss. Die Telekom als Monopolist hatte die Verpflichtung einen solchen dort einzurichten, wo man ihn als Kunde hinbestellt, und wenn es über Stock und Stein ging, was durchaus vorkam – am Spielfeldrand musste das Ende eines Kabels mit einer TAE-Dose sein, an die ich mein Endgerät anschließen konnte.
Das hat auch (fast) immer geklappt.
Natürlich war das mit gewissen Kosten verbunden, allerdings im überschaubaren Bereich.
Die Arminia-Übertragungen bei Radio Bielefeld sind jetzt nur ein Beispiel für das, was bei ganz vielen lokalen Sendern in NRW und in ganz Deutschland üblich war.
Wenn also Arminia Bielefeld irgendwo auswärts spielte und – selbstverständlich - bei Radio Bielefeld live übertragen wurde, dann waren die Kosten für einen Telefonzeitanschluss zur Übertragung immer im Budget enthalten.
Schließlich gab es Presenting-Sponsoren, die ihr Firmenimage durch die Präsentation der Liveübertragung aufzupuschen gedachten und dafür stattliche Preise bezahlten. Außerdem gab es viele Werbekunden, die ihre Spots speziell während der Fußball-Liveübertragungen buchten – das war halt etwas Spezielles, etwas Neues obendrein. Fußball live mit lokaler Note und emotionaler Parteinahme.
Da die Lokalsender wie Radio Bielefeld zumindest in den ersten Jahren nicht nur die Arminia-Spiele als Highlights übertrug, sondern auch unbedeutendere Fußballspiele aus der Verbandsliga, Landesliga oder auch Bezirksliga in kurzen Ausschnitten übertrugen – Lokalfunk at its best! - mussten wir findig sein und hatten alsbald eine mächtige Kabeltrommel, die wir Reporter mit zu den Einsätzen nahmen.
Das Besondere war, dass das unendlich lange Kabel auf der Trommel eben kein Stromkabel, sondern ein Telefonkabel war, dessen Stecker am Ende des Kabels in irgendeine TAE-Dose auf dem Sportgelände eingestöpselt wurde. Die Kabeltrommel wurde dann abgerollt und zum „Tatort“ – zum Reporterplatz - gebracht. An der Kabeltrommel selbst befand sich ebenfalls eine TAE-Dose, um dort dann das Endgerät einzustöpseln. Und der Käse war gegessen.
Apropos Endgerät: Das war in diesen Jahren der Telefonschalten nicht etwa ein normales Telefon, sondern ein sogenanntes Reportophon.
Ein Reportophon war ein kleiner Metallkasten, ein Mini-Mischpult mit Telefon-Tastatur. Auf der Rückseite konnte man ein Telefonkabel und ein Stromkabel anschließen – vorne ein Mikrofon und einen Kopfhörer. Außerdem gab es Lautstärkeregler für Ein- und Ausgangslautstärke.
Das robuste Gerät war über Jahre mein Begleiter. Bei Einsätzen im Amateurbereich, meistens zusammen mit der einzigartigen Kabeltrommel.
Bei Einsätzen mit Sponsoren dahinter, also wenn Arminia spielte oder wenn irgendwelche anderen Spiele zum Event hochgepusht wurden und zahlende Werbepartner hatten, wurde in einen Telefonzeitanschluss oder gar eine Übertragungsleitung investiert. Ansonsten wurde halt improvisiert.
Nur einmal ging fast gar nichts mehr: Der Telefon-Zeitanschluss war nicht früh genug gestellt worden, weit und breit gab es keine TAE-Dose, die ich mit Unterstützung der Kabeltrommel hätte nutzen können oder dürfen und Arminia spielte bei Borussia Dortmund.
Erklärend muss ich anfügen, da Arminia Bielefeld damals nur drittklassig war und die heute eingleisige nationale dritte Liga damals von mehreren Ligen, nämlich den jeweils regionalen Oberligen, abgebildet wurde, fand dieses Spiel der Bielefelder Arminia in der Oberliga Westfalen nur gegen die „Zweite“, also gegen die Amateurmannschaft von Borussia Dortmund statt. Und da BVB II in Dortmund nun nicht wirklich einen hohen Stellenwert hatte – ganz anders als Arminia in Bielefeld – spielten die Borussia-Amateure auf einem Sportplatz in einem weitläufigen Park.
Das haben die Dortmunder gegen Arminia Bielefeld dann auch nie wieder gemacht, denn Arminia wurde als ehemaliger Erst- und Zweitligist zu allen Auswärtsspielen von rund 5.000 Schlachtenbummlern begleitet, die jetzt in den Park strömten - aber das ist ein anderes Thema. Mein Thema war: Wie kriege ich dieses Spiel übertragen?
Im Grunde gab es keine Chance.
Ich hatte allerdings seit ein paar Wochen etwas ganz Neues aus der sich rasant entwickelnden Welt der Kommunikation – ein Funktelefon. C-Netz…
Es gab damals zwei Größen: Ein ganzer Koffer, den sich der Sender bald für solche Einsätze zulegen sollte und eben ein – wenn man so will – handliches Gerät, wie ich es als freier Journalist und Kommunikationsfreak bereits besaß.
Wobei… handlich ist relativ… (Größe andeuten)
Unsere einzige Chance für die Übertragung aus dem Dortmunder Park war also, dass ich einen Ort fand, von dem aus ich das Spielfeld einsehen konnte und an dem es genug Balken im Display, also Feldstärke, gab, um halbwegs vernünftig telefonieren zu können.
Es gab in dem Dortmunder Park und auf dem Sportgelände nur einen einzigen Ort, wo das gegeben war: In der Kurve, hinter einer der Eckfahnen. Ich parkte also mein Auto, damals ein schmuckes Cabrio, auf der Laufbahn hinter der Eckfahne, zog Strom aus dem Zigarettenanzünder, und kommentierte via C-Netz-Telefon das Spiel.
Jetzt muss man wissen – lokaler Hörfunk war damals noch recht unbekannt, auch meine Rolle als Radioreporter war vielen Leuten noch nicht geläufig. Die Stadionbesucher sahen also nur einen jungen Mann, der die Unverschämtheit hatte, sein Angeberauto fast im Strafraum zu parken und der ständig meinte, mit seinem ach so wichtigtuerischen Autotelefon mit irgendwem telefonieren zu müssen;
Es dauerte nach diesem Missverständnis sehr lange, um den Ruf des unverschämten und plumpen Aufschneiders wieder loszuwerden.
Ich hatte doch eigentlich nur meinen Job gemacht…