28. Spieltag der Fußball-Bundesliga, FSV Mainz 05 gegen SC Freiburg

Das Vorspiel

Donnerstag, 17 Uhr. Morgen eröffnet der Sport-Club in Mainz den 28. Bundesligaspieltag. In Mainz, wo er noch nie in einem Bundesligaspiel gewonnen hat. In Mainz, wo es auch schon mal in der Halbzeitpause etwas zu berichten gab – einen Elfmeter nämlich. Zwar hatten Mannschaften und auch der Schiedsrichter das Spielfeld bereits verlassen, der SC saß schon in der Kabine, und dann hatte der bis heute höchst umstrittene Videoassistent alle noch einmal auf den Platz beordert und es gab Elfer für Mainz.

Dass dabei viele Verfahrens- und Anwendungsregeln des Videobeweises gebrochen wurden und die Fußballwelt mit Erschrecken oder belustigt beobachtete, was in der Bundesliga alles möglich ist, ein Elfmeter in der Halbzeitpause, hat nie zu Sanktionen oder Konsequenzen für die Verantwortlichen geführt. Kaum zu glauben aber wahr: Die Zweitligisten haben neulich, trotz hoher Kosten, für die Einführung des VAR auch in ihrer Liga gestimmt. Ich habe es fassungslos zur Kenntnis genommen. Die mahnenden Worte von Christian Streich, „das Spiel ist anders geworden … ich möchte den Fußball lieber so, wie ich ihn in den letzten 30 Jahren erlebt habe“ sind scheinbar nicht verstanden oder überhört worden. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der VAR mehr an Reiz des Fußballs kaputt macht als er durch mutmaßlich mehr Gerechtigkeit vielleicht zum Guten beiträgt. Sei es drum… zurück zu Lück bzw. zu Mainz: Die Spiele dort hatten häufig etwas Besonderes. Immer versuchten die Platzherren den SC von der ersten Minute an zu überrennen, geradezu wegzufegen. Häufig genug gab es frühe Rückstände und kuriose Situationen; den Halbzeit-Elfmeter habe ich erwähnt, gravierende persönliche Fehler von SC-Kickern kamen dazu. Am Ende – abgesehen vom Sieg im DFB-Pokal-Viertelfinale vor einigen Jahren – kein Freiburger Erfolg in Mainz. Und trotzdem: Immer wieder hoffst du, immer wieder schöpfst du neuen Mut. Und für das Spiel morgen gilt das ganz Besonders:

Der SC spielt gut in letzter Zeit, hat von den letzten acht Spielen nur eines verloren. Anders die Mainzer: Die haben sieben der letzten acht Spiele verloren. Für die kommt „Lieblingsgegner“ Freiburg, gegen den 05 schon so viele Punkte geholt hat, nicht zuletzt auch das Hinspiel mit 1:3 gewonnen hat. Gegen den SC wollen die Mainzer wieder in die Erfolgsspur kommen. Dazu werden sie alle Kräfte bündeln und mit der ihnen eigenen energiegeladenen Art von Beginn an Vollgas geben, glaubt auch Christian Streich. „Wenn Du gegen Mainz nicht von der ersten Minute an hellwach bist und der immensen Mainzer Energie nicht die gleiche Energieleistung entgegenstellst, wirst Du überrannt“, ist der Freiburger Cheftrainer sicher.


Die in den vergangenen Wochen zu beobachtende Stabilität im eigenen Team, unabhängig von der jeweiligen personellen Besetzung, unter Beweis gestellt beim Sieg gegen Hertha, beim Remis in Mönchengladbach und auch beim 1:1 gegen Bayern München machen Mut. Dass es seine Spieler nach den anerkannt starken Leistungen und mit den 32 Punkten auf dem Konto nun gemütlich einrichten und nicht mehr bis an die Kante gehen, schließt Streich aus.


Personell hat der Freiburger Chefcoach wenig Grund, die gegen Bayern so famos performende Formation zu ändern. Ds sagt er nicht aber man kann es erahnen. Den vielseitigen und technisch beschlagenen Janik Haberer für den verletzten Nils Petersen als Taktgeber des Offensivpressings ins Zentrum zu ziehen hat sich ebenso bewährt wie die Maßnahme, ihm Lukas Höler an die Seite zu stellen. So erscheint es wahrscheinlich, dass Luca Waldschmidt und Florian Niederlechner zunächst auf der Bank auf ihre Einwechslung warten müssen. Ansonsten hätte Streich heute gut gepokert…

Ich fahre morgen Vormittag, nach dem Fußballtalk bei baden.fm, in dem ich ab sofort auch immer einen konkreten Tipp abgeben soll – vermutlich sage ich 2:2, zunächst nach Frankfurt. Dort beziehe ich ein Hotelzimmer, ruhe mich ein paar Stunden aus und fahre dann, irgendwann nach 17 Uhr, ins nahe Mainz. Pressekarte und Parkschein kamen gestern schon per Post ins Haus. Heute erhielt ich zudem telefonisch die Auskunft, dass technisch alles bereit sei, um meine Übertragung aus der Arena ins Studio im Funkhaus Freiburg zu streamen, von wo aus das Ganze dann ausgestrahlt wird. Die Vorbereitungen sind also getroffen.


Nach dem Kick fahre ich zurück ins Hotel nach Frankfurt, übernachte dort und besuche am Samstagvormittag meine Tochter Caroline und ihren Lebensgefährten Fabian. Die beiden wohnen in Frankfurt und haben gerade eine neue Wohnung bezogen, die ich natürlich begutachten möchte. Gerne hätte ich am Samstagmorgen die „Golden Boys“ vom FC Bad Krozingen im Heimspiel gegen Eschbach gesehen aber die U11 kickt bereits um 10 Uhr. Wenn ich um 7 Uhr starte würde ich es – staufrei – schaffen aber der Plan war ja schon beim Gladbach-Spiel gründlich schiefgegangen und ich kam trotz sehr frühen Aufstehens, wegen eines langen Staus bei Lahr, erst nach dem Abpfiff des Jugendspiels an. Außerdem ist die Gelegenheit ja auch perfekt, um mal bei einem meiner beiden erwachsenen Kinder vorbei zu schauen. Ich denke zur Übertragung der Samstagsspiele bei Sky bin ich dann wieder zu Hause. Hoffentlich mit drei Punkten mehr auf dem Konto des SC – oder einem Punkt mehr. Meine Hoffnung ist 1:2, mein Tipp lautet 2:2. Aber bitte nicht zum Aufbaugegner für Mainz werden, Jungs, okay!?


Ich übertrage das Bundesligaspiel SSV Mainz 05 gegen SC Freiburg am Freitagabend in der baden.fm-Bundesligashow ab 20 Uhr.


Das Fußballspiel
(Mein 938. SC-Livespiel)

 

Es war schlimm.
Die ersten 20 Minuten waren wie ein verführerischer Traum – aber dann begann der Horror.
Der SC, mit der gleichen Startelf wie gegen die Bayern, aber anders aufgeteilt, mit der Dreierkette Heintz – Frantz – Schlotterbeck angetreten, dominierte die ersten 20 Minuten nach Belieben. Dann unterlief dem in diesem Jahr so bestechend starken Schwolow der Totalaussetzer, als er links im Strafraum stehend, völlig unbedrängt den Ball flach auf den 35 Meter vor dem leeren Tor zentral stehenden Niederländer Boetius spielte, der die Kugel direkt verwandelte. Ich konnte es nicht fassen. Die Mainzer hatten so grottenschlecht gekickt, hatten die Bälle statt zum Mitspieler ins Seitenaus oder zu Freiburger Gegenspielern gekickt – alles, wirklich alles sah nach einem souveränen Freiburger Sieg aus. Und dann dieser Fehler und die Führung der Gastgeber, die aus dem Nichts kam.
Ärgerlicher Weise bekamen die Mainzer durch die Führung etwas Rückenwind und wirkten nicht mehr ganz so daneben wie zuvor. Jetzt war der SC vorübergehend aus dem Tritt, quasi unter Schock und produzierte viele Fehler; vor allem Abwehrfehler. In der 25. Minute das 2:0, ein paar Minuten später gar das 3:0, beide Treffer vermeidbar, beide durch den Franzosen Mateta. 3:0 zur Pause, ich war fassungslos.
Der Sport-Club begann die zweite Hälfte ähnlich dominant wie die erste. „Ein frühes Anschlusstor und alles ist möglich“, teilte ich den Hörern der baden.fm-Bundesligashow mit. Die Chance war da: In der 50. Minute kam Stenzel, vielleicht sechs oder sieben Meter vor dem Tor, völlig frei zum Kopfball, doch köpft der Außenverteidiger den Ball zu zentral, köpft Torwart Florian Müller an. Nachdem der SC schon vor der Pause die eine oder andere gute Chance hatte liegen lassen, ahnte ich nach dieser vergebenen Großchance heimlich, still und leise, dass es nichts mehr werden würde mit der Aufholjagd, auch wenn Christian Streich zur Pause mit Waldschmidt und Niederlechner gleich zwei neue offensive Hoffnungsträger ins Rennen geschickt hatte. Beide bekamen ihre Chancen, keiner nutze sie. Torwart Müller wuchs zudem über sich hinaus. Es folgte das 4:0 durch den Mainzer Joker Onisiwo in der 73. Minute und kurz danach sogar das 5:0 durch den dritten persönlichen Treffer von Mateta. Wieder stand die komplette SC-Defensive Pate; es war beinahe schon Slapstick.
Es gibt solche Tage im Fußball. Mainz war für mich als Reporter ein fürchterliches Erlebnis. Dennoch war ich ganz froh, nicht in der Haut von „Schwoli“ zu stecken und den vermutlich das Spiel entscheidenden unerklärlichen Aussetzer an den Mikrophonen – auch an meinem, erklären zu müssen…

Das Nachspiel
Mit der Analyse tat ich mich etwas schwer. Gut gefallen hatte mir nur Haberer, dem ich eine 2-3 erteilte. Schwolow, wegen des mutmaßlich spielentscheidenden und schweren Fehlers sowie Höler, der in der ersten Halbzeit nicht stattgefunden hatte, bekamen eine 5. Alle anderen lagen dazwischen. Schlotterbeck hatte Welpenschutz und deshalb eine gnädige 3 bekommen. Vermutlich war es ein Vierer-Schnitt für die gesamte Mannschaft. Das tat mir ob der herausragenden Phasen, etwa in den ersten 20 Minuten, richtig weh, aber das Endergebnis von 5:0 für Mainz sprach eine deutliche Sprache.
Weiter ging es in die Mixedzone, wo ich ganz froh war mit Stenzel und Schwolow noch zwei Jungs ans Mikrophon zu bekommen, die an entscheidenden Szenen beteiligt waren und diese nun erklären konnten und mussten. Sie machten es entwaffnend ehrlich und mit offenem Visier. Das sind halt gute Freiburger Jungs.
In der PK hatte ich den Eindruck, Streich nahm die Ereignisse trotz allen Ärgers auch ein bisschen mit Humor. Was blieb ihm am Ende eines so kurisosen Fußballabends auch anderes übrig?
Erst jetzt räumte ich meinen Kram zusammen, lief zum Parkhaus der benachbarten Hochschule und stieg in meinen privaten Ford Kuga, mit dem ich nach Mainz gekommen war. Eine gute halbe Stunde später parkte ich – mit etwas Sorgen um die Karosserie meines noch nicht einmal ein Jahr alten Autos - mitten im nachts ganz schön heiklen Frankfurter Bahnhofsviertel, lief an allen Nachtclub-Kobern vorbei, direkt zum Münchner Hof, dem Drei-Sterne-Hotel, in dem ich diesmal übernachten wollte. Das Zimmer hatte ich schon am frühen Nachmittag bezogen. Bock auf einen Absacker in irgendeiner Spelunke hatte ich nicht. Ich war bedient für diesen Abend, für dieses Wochenende.
Am nächsten Morgen besuchte ich meine Tochter Caroline und ihren Freund Fabian in ihrer neu bezogenen Wohnung. Wir frühstückten gemeinsam und blinzelten vom Balkon in die Sonne und auf die Frankfurter Skyline, bevor ich wieder die Autobahn unter die Räder nahm. Der „Ticker“ der Eltern-„Whatsapp-Gruppe“ berichtete vom 8:2 der Golden Boys gegen Eschbach. Aber irgendwas stimmte nicht, das merkte ich, ohne es einordnen zu können. Als ich unterwegs war bekam ich die Nachricht, dass Ben zum Röntgen in der Beckerklinik war. Ich rief meine Frau an – keine Antwort. Ich rief den Trainer an, der seine Befürchtung zum Ausdruck brachte, es könne etwas Schlimmeres sein. Bein sei am Schienbein, oberhalb des Schoners von den Stollen eines Gegenspielers getroffen worden und habe sehr laut geschrien und dann sofort in die Klinik gebracht worden. Da Yoani wegen Handyverbots in der Klinik nicht antwortete, rief ich Jörg Becker, Chef(arzt) der gleichnamigen Klinik an und bat ihn, doch etwas über meinen Sohn in Erfahrung zu bringen. Jörg Becker und ich kennen uns über meine berufliche Tätigkeit im WZO-Verlag und sind seit einigen Monaten auch Freunde im Rotary Club Bad Krozingen. Er versprach sofort zu helfen. Zehn Minuten später war ich im Thema. Der Knochen war heile geblieben, aber ein sehr heftiger Muskelschmerz läge vor, ein schwerer Bluterguss würde wohl folgen. Trotzdem war ich etwas beruhigt und fuhr, meinen Hörbuch-Krimi hörend halbwegs entspannt heim.
Via TV verfolgte ich mit dem verletzten Sohnemann auf dem Sofa die Spiele der SC-Konkurrenz. Vom deutschen Classico sah ich – planmäßig – nur die erste halbe Stunde, danach waren wir bei Freunden zum Essen eingeladen. Da Bayern da bereits klar führte, reichte für den Rest der Ticker in der Hosentasche.
Die Ergebnisse im Tabellenkeller waren auch am Sonntag okay. Augsburgs 0:4 zu Hause gegen Hoffenheim – es gibt also Schlimmeres als ein 0:5 auswärts, redete ich mir ein. Die Tabelle war am Ende trotz des Debakels vom Freitag in Ordnung.
Am Montag verfasste ich – wie immer – als Erstes meine SC-Kolumne für die Wochenzeitungen. Hier ist sie:
SC IMTEAM
Mit einem Wort: Es war grotesk. Der 5:0-Sieg des FSV Mainz 05 gegen den SC Freiburg reiht sich problemlos ein in das Kuriositätenkabinett der Freiburger Auswärtsspiele in Mainz ein. Das Match vom 28. Bundesligaspieltag der Saison 2018/2019 liegt nun im Kopf-an-Kopf-Rennen um das verrückteste aller dieser Spiele mit jenem aus dem Vorjahr, als die Freiburger aus der Kabine zurückgerufen wurden, um mitten in der Halbzeitpause einen Elfmeter für Mainz mitzuerleben. Das Groteske am Spiel vom vergangenen Freitag war vor allem der Umstand, dass der Gast aus Freiburg in allen messbaren Bereichen – Ballbesitz, Zweikampfstatistik, Eckbälle, Torschüsse, Laufleistung und und und – deutlich besser war als Mainz, das Ergebnis aber 5:0 für die Platzherren lautete. Und das kam so: Der Mainzer Trainer Sandro Schwarz hatte beschlossen, die Initiative und damit den Großteil des Ballbesitzes den Freiburger Gästen zu überlassen. Dies, um selbst, durch schnelles Umschaltspiel, die eigene  Stärke in die Waagschale zu werfen. Die Freiburger kombinierten allerdings so ballsicher und dominant, dass die verunsichert wirkenden Mainzer in den ersten 20 Minuten kein Bein an den Boden bekamen. Bei Ballgewinn spielten sie die Kugel mehrfach ungewollt ins Seitenaus oder zum Gegner. Freiburg sah in dieser Phase wie der sichere spätere Sieger aus. Ein Aussetzer von SC-Torhüter Alexander Schwolow leitete dann das 1:0 ein, das den Spielverlauf auf den Kopf stellte. In der Folgezeit blieb der SC Freiburg zwar die überlegene Mannschaft, von den fünf Mainzer Schüssen, die bis zum Abpfiff noch auf das Freiburger Tor abgegeben wurden, landeten allerdings vier im Netz. Moralisch aufgebaut durch die glückliche Führung, hatte  sich Mainz 05 ein wenig  gesteigert und dabei eine herausragende Effektivität unter Beweis gestellt. Genau diese ging den Gästen aus dem Schwarzwald an diesem Tag ab. Das grundsätzlich überlegene Spiel wurde trotz großartiger Chancen (Stenzel, Waldschmidt, Niederlechner) nicht in Tore umgemünzt. Zudem fehlte es zuweilen an der nötigen Absicherung bei Mainzer Kontern. Zusammen mit Schwolows  Ausnahmefehler vor dem 1:0 wird das eigentlich  unerklärliche Endresultat von 5:0  so zumindest ansatzweise erklärbar. Das große Zittern um den Klassenerhalt muss nun trotzdem nicht einsetzen; keine einzige Mannschaft, die in der Tabelle hinter dem SC Freiburg steht, konnte am Wochenende ein Spiel gewinnen. Alle kickten so schlecht, wie es ihre Tabellensituation erahnen lässt.  Das Punktepolster des Sport-Clubs ist nach wie vor sehr üppig. Auch das schwere Programm der nächsten Wochen – in Bremen, gegen Dortmund und in Leipzig – muss niemanden nervös werden lassen. (Zitatende)

Es gibt zurzeit Probleme im „backend“ meines SC-Tagebuches. Deshalb ist die Schriftgröße kleiner als gewohnt und vor allem verzögert sich das Veröffentlichen meiner Spieltagserinnerungen. Ich bitte vorübergehend um Verständnis und verspreche: Wir arbeiten daran…