3. Spieltag der Gruppe G der UEFA Europa League, SC Freiburg gegen FC Nantes

Donnerstag, 6. Oktober 2022, 21 Uhr *

Europa-Park Stadion, Freiburg *

SC Freiburg - FC Nantes *

Das Vorspiel

Ich kommentiere seit 30 Jahren Fußballspiele im Radio und es bereitet mir noch immer viel Vergnügen – ein Traumjob sozusagen; in den ersten Jahren war es im Rahmen meiner eigenen Agentur in Bielefeld, neben anderen Aufgaben, wie zum Beispiel der Produktion von Arminias Vereins- und Stadionzeitung „almpost“, die der Tageszeitung Westfalen-Blatt in den Wochen vor den Heimspielen der Arminia beilag und die aussah wie der Donnerstags-Kicker in blau, mein Hauptjob. Dann folgte zum Jahreswechsel 1993/94 mein Wechsel nach Freiburg, als Sportchef zu Radio Freiburg FR1, dem heutigen baden.fm, und dann stand die Hörfunkberichterstattung über Fußball in der Tat im Fokus meiner beruflichen Tätigkeit. 1998 stieg ich auf zum Chefredakteur des Senders und die Fußball-Nummer wurde zum Nebenjob und blieb es bis heute, da ich inzwischen seit 16 Jahren im Hauptjob Redaktionsleiter im WZO-Verlag bin, konkret in der Südhälfte des Erscheinungsgebietes unserer Wochenzeitungen, im Verlagshaus in Bad Krozingen. Das Herzblut mit dem ich als Fußballkommentator meinen Job im Radio verrichte, ist aber nach wie vor dasselbe – vielleicht ist es sogar noch dicker geworden angesichts der sportlichen Entwicklung, die der SC genommen hat. Immerhin kommentiere ich heute Abend SC Freiburg gegen FC Nantes, ein Spiel der UEFA Europa League und nicht SC Verl, Spvgg. Erkenschwick oder VfR Sölde gegen Arminia Bielefeld in der Oberliga Westfalen. Doch, klar, ich habe das damals sehr genossen, aber was ich zurzeit machen darf, ist natürlich eine andere Nummer…

In all den 30 Jahren, in denen ich im Radio über Fußball spreche, hat mich eines stets begleitet: Ein bis zwei Mal im Jahr ein drohender oder realer Stimmverlust wegen extremer Heiserkeit beziehungsweise einer Entzündung meiner Stimmbänder oder des Kehlkopfes – irgend so etwas, das keiner braucht halt. Vielleicht ist es zu lange her und ich erinnere mich nicht, aber komplett ausgefallen bin ich als Arminia-Reporter glaube ich nie. Weder wegen Windpocken oder Magen-Darm-Infekt – dann war ich jeweils in Quarantäne in einer abgeschlossenen Box in der Sprecherkabine auf der Alm, manchmal mit Eimer neben dem Stuhl (man weiß ja nie… Benutzen musste ich ihn aber auch nie), noch wegen Stimmausfall. Ich weiß, dass ich etliche Male um meine Stimme kämpfen musste, aber irgendwie hat es bis zum Anpfiff immer gereicht.

In Freiburg musste ich in der Anfangszeit mal bei Halbzeit als Kommentator durch meinen eigenen Fieldreporter (Interviewer), Alexander von Uleniecki, ersetzt werden, weil ich einfach keinen Ton mehr herausbekam.

In der jüngeren Vergangenheit habe ich mir einen Co-Kommentator eingeladen, wenn ich bei SC-Spielen um meine Stimme fürchtete; etwa den Vorsitzenden der Achim-Stocker-Stiftung und früheren Sparkassen-Boss, Horst Kary, oder, beim letzten Mal die Bundestagsabgeordnete Diana Stöcker. Frau Stöcker war allerdings schon als Gast geladen – sie hatte sich dieses Abenteuer mal gewünscht – als sich meine Stimmprobleme am Tag vor dem Spiel erst einstellten, ich habe quasi davon profitiert, dass sie da war und mir Sprechpausen ermöglichte. Meine Stimme war in dem Spiel, es war irgendwann im Frühjahr, ziemlich lädiert. So sehr, dass mich meine Hörerin und Hausärztin hinterher anrief und zur Behandlung einbestellte. Mit den richtigen Medikamenten war das Problem zum Glück ganz schnell gelöst…

Warum erzähle ich das alles? Natürlich, um meiner Doc. Elena auf diesem Wege nochmal Dank zu sagen, aber auch aus aktuellem Anlass: Am Dienstag dieser Europa League Woche mit dem heutigen Spiel gegen den FC Nantes, gefolgt vom Sonntagskick bei Hertha BSC, meldete sich nämlich wieder mal meine altbekannte Problematik im Hals an. Diesmal wartete ich nicht ab, bis das Kind in den Brunnen gefallen war, sondern grätschte die Bakterien mit ärztlicher Hilfe gleich zu Beginn weg. Konnte ich am Mittwochmorgen kaum einen Satz sprechen, ohne zumindest zu „jodeln“, wenn Ihr versteht, was ich meine, wäre Radio also zu dem Zeitpunkt unmöglich gewesen, ging es nach der entsprechenden Behandlung und Medikamentierung schnell besser: So konnte ich am Nachmittag bereits ein Radio-Interview mit „Chico“ Höfler führen und den Vorbericht für die heutige Morningshow produzieren. Der Kampf geht weiter, aber ich habe absolut keine Sorgen mehr, heute Abend nicht bei Stimme zu sein. Alles wird gut… Ich brauche nicht einmal einen Co-Kommentator…

Danke, Elena (auch für die über 30 Kilo Gewichtsabnahme, die Du mir ermöglicht hast…)!!!

Der Sport-Club gegen Nantes; das dritte Spiel in der Europa League Gruppenphase - gibt es auch den dritten Sieg?

Anders gefragt: Performen die Jungs auch ohne ihren Cheftrainer Christian Streich als Taktgeber am Spielfeldrand? Der Coach hatte gestern in der Frühe einen positiven Corona-Test; die Krankheitswelle mit der Omicron-Variante schlägt gerade mächtig zu und macht auch vor dem SC Freiburg nicht halt. Mutmaßlich heute Abend auf der Bank: Patrick Baier – übrigens mit UEFA-Lizenz – und Verbindungstrainer Julian Schuster. Vielleicht konnte sich auch Streich-Assistent Lars Vossler heute Morgen freitesten, weil er schon länger mit einer Corona-Infektion aus dem Rennen war. „Chico“ Höfler meinte auf meine Frage, was das Fehlen von Christian Streich für eine Bedeutung habe, das nun die Mannschaft noch mehr in der Verantwortung stehe. Bleibt zu hoffen, dass bis heute Abend nicht auch noch coronabedingt Spieler ausfallen… Wenn alle fit sind, wird zu 80 Prozent wieder dieselbe Startelf auf dem Platz stehen, wie in den letzten vier Spielen. Müdigkeit dürfte zu Beginn des Fußballmarathons noch nicht das Thema sein; auch „Chico“ meinte, dass die Kraft in den ersten die Wochen noch nicht fehlen werde, selbst wenn zum Start immer dieselben kicken.

Wenn ich Trainer wäre, würde ich etwas ändern? Vielleicht nicht unbedingt in der Startelf – oder vielleicht doch – in jedem Fall würde ich mit Keven Schade einem der schnellsten Spieler der Bundesliga mehr Spielzeit einräumen. Ich habe den FC Nantes beim 1:4 in Monaco beobachtet und hatte den Eindruck, dass dieser Mannschaft mit Tempo beizukommen ist. Wachheit und Schnelligkeit sind gegen die in der Defensive etwas behäbig wirkenden Franzosen aus meiner Sicht die richtigen Mittel.

Der FC Nantes spielt bislang eine „gebrauchte“ Saison. Trainer Antoine Kombouré ist zwar von der Qualität seiner Spieler überzeugt, räumt aber ein, dass es bisher noch nicht läuft beim Pokalsieger der  Vorsaison. Sieglos in der Liga auf Platz 16 (von 20) und in der Europa League ging, nach dem Hoffnungsschimmer durch den Last-Minute-Heimsieg gegen Piräus, der Auswärtskick in Baku gegen Qarabag mit 3:0 verloren. Das Ligaspiel am Sonntag in Monaco soll, so die Kollegen aus Nantes, leistungsmäßig ein Tiefpunkt gewesen sein – kein Maßstab, wie sie mir versicherten. Einige der Kollegen prognostizierten sogar ein offensives 4-3-3 für heute Abend, weil die Mannschaft so ihre Qualitäten am besten auf den Platz bringen könne. Der Trainer betonte jedoch, dass die zuletzt praktizierte Fünferkette – in Monaco spielte Nantes faktisch mit einer 5-4-1-Formation – unabhängig von den jüngsten Erlebnissen in Monaco, den Spielern in der Defensive Sicherheit verleihe.

Unter dem Strich habe ich den Eindruck, dass der SC heute Abend um 21 Uhr, wie schon vor ein paar Wochen in Piräus, auf einen verunsicherten Gegner treffen wird, der in den Wochen zuvor keine Ergebnisse geliefert hat. Die Gründe lagen bei Olympiacos Piräus unter anderem an der Unruhe im Club und den vielen Transfers. Sicher gab es auch einige Wechsel bei den Franzosen. Da fehlt noch die fußballerische Harmonie zwischen verbliebenen Stars und den zahlreichen Neuzugängen. Einer der promientesten Neuen ist Mittelfeldas Moussa Sissoko, der die letzten Jahre in der englischen Premier League verbracht hat, zuletzt aber mit dem FC Watford abgestiegen ist und dann nach Nantes in die Ligue 1 wechselte. Von ihm hat man sich rund um das Stadion "La Beaujoire" mehr versprochen als der ehemalige Nationalspieler bislang zu Wege brachte. Nun hat er die 35 Millionen Euro, die Tottenham 2016 für den damals 27-jährigen Topstar an Newcastle United überwies als mittlerweile 33-Jähriger auch nicht mehr gekostet – zwei Millionen soll Nantes an Watford überwiesen haben; auch kein Pappenstiel aber die Differenz macht  schon deutlich, dass mit dem Wertverlust des 71-fachen französischen Nationalspielers früherer Jahre auch ein Qualitätsverlust einhergehen könnte…Hinzu kommt, dass das Spielverständnis mit seinem Nebenmann, dem 25-jährigen Spanier Pedro Chirivella, nicht wirklich harmonisch ist, wie dieser einräumt: „Wir haben halt noch nicht so oft miteinander gespielt.“

Einer der Leistungsträger ist der jüngst erstmals für die französische Nationalmannschaft nominierte  Torwart Alban Lafont, Kapitän des FC Nantes. Nicolas Pallois ist der imposanteste der Innenverteidiger der West-Franzosen. Seit 2017 im Club wirkt der 35-Jährige bei aller Robustheit allerdings nicht unbedingt wendig und schnell. Auch deshalb meine Idee mit Schade. Andererseits... "Litz" Doan könnte den Routinier ja erstmal müde machen...

Den höchsten Marktwert aller Innenverteidiger des FC Nantes hat – mit fünf Millionen Euro – der Brasilianer Andrei Girotto.

Nach der Verletzung von Jean-Charles Castelletto in Monaco bleibt abzuwarten, wer, bei gleicher Grundformation, den dritten Innenverteidiger gibt. Vielleicht Sébastien Corchia, der in Monaco eingewechselt wurde, aber eigentlich als rechter Verteidiger gilt. Hier hat freilich Dennis Appiah seine Stammposition im FCN-Team.

Teuerster Abwehrspieler des FC Nantes ist mit sieben Millionen Euro Linksverteidiger Quentin Merlin – wie sein Kollege Christian Günter auf Freiburger Seite – ein Eigengewächs des Vereins.

Auf der Doppelsechs mit Sissoko und Chirivella hakt es noch etwas, wie bereits beschrieben. Im offensiven linken Mittelfeld bietet Nantes mit Moses Simon einen aktuellen nigerianischen Nationalspieler (Marktwert: 10 Millionen Euro) auf. Rechts den 21-jährigen Evann Guessand, einem gelernten Mittelstürmer, dessen eigentliche Position aber von Ignatius Ganago, einen Nationalstürmer aus Kamerun, eingenommen wird. Der Angreifer kam erst im September vom RC Lens nach Nantes. Beim misslungenen Ligaspiel in Monaco agierte er als einzige echte Spitze.

Die französischen Journalisten rechnen losgelöst von der vorgestellten Elf, in Freiburg mit einem Startelfeinsatz des 24-jährigen Ludovic Blas, einem klassischen Zehner, der seinen Marktwert zuletzt auf 16 Millionen Euro hochschraubte. Meine Kollegen wollen ihre „Kanarienvögel“, so nennt man die Fußball aus Nantes in Frankreich wegen ihrer knallgelben Trikots, gerne offensiver agieren sehen; mit Blas als zusätzlichem Offensiven und dafür einer Vierer-, statt einer Fünferkette. In der Pressekonferenz hat ihnen der Trainer aber wenig Hoffnungen gemacht…

Mein persönlicher Vorlauf zum Europa League Spiel hat mit den Pressekonferenzen und dem Höfler-Interview gestern, der kurzen Vorschau im Radio heute Morgen und dem Vorspiel meines Tagebuchs begonnen. Ich habe einen ganz normalen Tag in der WZO-Redaktion und brenne auf das Spiel.

Ich kommentiere das Spiel der UEFA Europa League zwischen dem SC Freiburg und dem FC Nantes (Anstoß: 20 Uhr) ab 21 Uhr bei baden.fm.

 

Das Fußballspiel

(Mein 1.066. SC-Livespiel am Radiomikrofon)

 

Im dritten Europa League Spiel der laufenden Saison hat der SC Freiburg seinen dritten Sieg gelandet: Starker Auftritt beim verdienten 2:0 vor 33.200 Zuschauern im Europa-Park Stadion gegen den FC Nantes. Über 80 Minuten lang glänzte der SC gegen die Franzosen, die zwar deutlich besser agierten als zuletzt in Monaco aber erkennbar nur die zweite Geige spielten. Schon in der torlosen ersten Halbzeit diktierte der SC, zum fünften Mal in Folge mit derselben Startaufstellung, das Geschehen. Allein beim letzten Pass blieben die Platzherren einige Male stecken. So sahen die Zuschauer schöne Ballpassagen aber nicht wirklich viele zündende Abschlüsse. Torjäger Michael Gregoritsch verletzte sich nach knapp 20 Minuten an der Hüfte – eine klare Diagnose steht noch aus – für den Österreicher kam Nils Petersen auf den Platz. Die beste Chance hatte der SC in der 32. Minute, durch den fußballerisch mehrfach positiv auffälligen Daniel Kofi Kyereh: Sein Schuss aus etwa 20 Metern wird vom vollbärtigen Kahlkopf der Gästeabwehr, dem 35-jährigen Pallois noch abgefälscht, was den Kapitän der Gäste, Torhüter Lafont, zu einer Glanztat zwingt. Der jüngst erstmals für die französische Nationalmannschaft nominierte Keeper reist während des Sprungs ins andere Eck den Arm hoch und lenkt den Ball mit einer Hand gerade noch um den Pfosten;  0:0 zur Pause.

Die zweite Hälfte begann mit einem Paukenschlag: In der 48. Minute funktionierte das Gegenpressing von „Litz“ Doan nach einem abgefangenen Freiburger Angriff ideal, der Spanier Chirivella im knallgelben Trikot der Gäste kommt wegen der von ihm wohl nicht erwarteten Störattacke des Japaners im eigenen Strafraum ins Straucheln, Doan schnappt sich daraufhin den Ball und bedient Daniel Kofi Kyereh, der schon vor der Pause auffälligster Freiburger war, und der ghanaische Nationalspieler, im Sommer vom FC St. Pauli nach Freiburg transferiert, hat wenig Mühe den Ball zur umjubelten Führung des SC einzunetzen.

In der 64. Minute zeigt einmal mehr Torwart Lafont sein Können, als er einen aussichtsreichen Schuss von Christian Günter pariert. Dann wird gewechselt: Nantes bringt unter anderem im zentralen Mittelfeld Sissoko für Chirivella; Streich-Vertreter Patrick Baier bringt im selben Mannschaftsteil ebenfalls einen frischen Mann: Yannik Keitel kommt für Maximilian Eggestein. Kurz nach den Personalrochaden darf Freiburg wieder jubeln. Vincenzo Grifo wird mit einem  feinen Diagonalpass von Kiliann Sildillia bedient, täuscht ein Zusammenspiel mit Christian Günter an, dribbelt aber allein in Richtung Strafraum und wird von der zaudernden Abwehr der Franzosen nicht attackiert. Also setzt der Italiener aus Pforzheim zu einem platzierten Flachschuss aus 15 Metern, halblinke Position, ins rechte untere Eck an und trifft; Lafont streckt sich vergeblich… 2:0 – die Vorentscheidung; Glückseligkeit im Europa-Park Stadion.

In der 81. Minute hätte Nils Petersen, nach toller Vorarbeit von „Litz“ Doan beinahe noch einen dritten Treffer hinzugefügt, Lafont im Kasten der Gäste zeigt aber einmal mehr seine Extraklasse und kratzt den Ball um den Pfosten.

Zahlreiche Wechsel auf beiden Seiten sorgen in den Schlussminuten für etwas Unordnung auf dem Platz. Wie aus dem Nichts kommt so der FC Nantes zu zwei beinahe einhundertprozentigen Abschlusschancen: Guessand kommt plötzlich im Freiburger 16er frei zum Schuss, knallt den Ball aber unter das Tribünendach, statt ins Tor (84.) und in der 88. Minute kommt Moutossamy nach einer Ecke und einer Kopfballverlängerung drei Meter vor dem Tor frei zum Kopfball, doch auch der Lockenkopf verfehlt den Freiburger Kasten, obwohl Mark Flekken schon aus dem Rennen war.

Über diese beiden, für den Spielverlauf bis dahin völlig untypischen, Großchancen der Gäste wird in der Aufarbeitung des Spiels zu reden sein. Das hätte nach einer insgesamt ausgezeichneten Leistung, kurz vor Schluss, fast noch ins Auge gehen können.

 

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Natürlich überwiegt der Jubel am Ende der Partie. Auch mir ist erst daheim, bei Sichtung der Fernsehbilder, klar geworden, wie fahrlässig der SC ganz am Schluss mit seiner 2:0-Führung umgegangen ist.

Zunächst war aber eitel Freude angesagt – drittes Spiel, dritter Sieg in der Europa League. Das war so ganz sicher nicht zu erwarten. „Wir müssen das genießen, denn es ist außergewöhnlich“, denke ich mir und werde es am nächsten Morgen bei baden.fm sagen. Vermutlich wird man sich noch Jahrzehnte an diese Wochen im Herbst 2022 erinnern, als der SC Europa aufmischt und in der Bundesliga um die Tabellenführung spielt.

Vor dem Eingang zur Mixedzone  herrscht Aufregung. Der UEFA-Beauftragte, Typ „chef de gare“, wie die Franzosen sagen, frei übersetzt „Bahnhofsaufseher“, hat die Kollegen von Presse und Hörfunk zunächstmal ausgesperrt um die sogenannten „Rightholder“ also die Sender mit den Fernsehrechten Priorität zu geben. Die französischen Kollegen flippen fast aus, fürchten, ihre enttäuschten Spieler könnten sich ohne Statements abzugeben, verdrücken, weil keiner kommt und fragt. Eine solche Regel mit der Bevorzugung der Rechteinhaber aus dem Fernsehbereich gäbe es weder in Nantes noch in Baku versichern mir die Kollegen und drohen einen Skandal heraufzubeschwören. Ich verweise auf das Hausrecht der UEFA an dem Abend und auf den „Bahnhofsvorsteher“ im Sacko mit UEFA-Emblem, der wie ein Dirigent in der Mixedzone steht. Florian, ein Kollege vom staatlichen Regionalsender „France Bleue Loire-Atlantique“ fordert ein Gespräch mit dem UEFA-Mann und spricht in englischer Sprache auf ihn ein. Schließlich werden die französischen Kollegen eingelassen und ich gehe einfach mit hinein. Freiburgs Jungs kommen gerade erst vom Jubelsturm an der Südtribüne und der Ehrenrunde in die Mixedzone. Ich rufe und winke „Chico“ Höfler heran, zeichne ein schnelles Interview auf und schicke es ins Funkhaus, bevor Benny Resetz, Moderator unserer gemeinsamen Europa League Show, in den Feierabend geht. Benny hat inzwischen seinen Bericht fürs Internet geschrieben und veröffentlicht ihn auf www.baden.fm gemeinsam mit dem Höfler-Audiointerview.

Für mich geht es derweil in der Mixedzone weiter. Der beste Freiburger an diesem Abend, Kofi Kyereh kommt vom TV-Interview und ich bitte ihn auch zu mir ans Mikrofon. Gewohnt sachlich aber auch mit einer hörbaren Zufriedenheit gibt der Schütze des wichtigen 1:0 Auskunft. Zwei Spielerinterviews – das reicht mir. Ich verziehe mich aus der engen Mixedzone in den Pressekonferenzraum, wo wenig später die PK mit dem Gästetrainer beginnt. In Frankreich ist es scheinbar nicht üblich, dass der Coach erstmal ein Statement abgibt – die Kollegen müssen ihn von Beginn an mit Fragen bombadieren. Die Aussage, dass Freiburg die bessere Mannschaft war und verdient gewonnen hat, fällt nicht. Der Ballverlust vor dem 1:0 habe dem Spiel seine Richtung gegeben, beim 2:0 hätte seine Abwehr den Fehler gemacht, nicht anzugreifen, wohl um keinen Elfmeter zu riskieren, wenn der Angreifer getroffen worden wäre, aber entscheidend für all das was folgte sei das 1:0 gewesen, gibt Antoine Kombouaré zu Protokoll. Er sei enttäuscht, wegen des Ergebnisses, freue sich aber auf den Dialog mit seinen Spielern, da er auch gute Ansätze und am Ende zwei Großchancen für Nantes gehen hätte. Jetzt wolle man am Sonntag, beim Derby in Rennes, endlich auch ein gutes Ergebnis einfahren. Dann geht der groß0 gewachsene Coach und frühere Spieler des FC Nantes mit einem freundlichen Gruß an alle Anwesenden seiner Wege.

Wenig später kommt Pressesprecher Sascha Glunk mit Interims-Chefcoach Patrick Baier um die Ecke. Der sympathische Inhaber einer UEFA-Trainerlizenz bedankt sich bei allen, denn es sei ein Sieg aller gewesen, die an einem Strang gezogen hätten. Baier entschuldigt sich bei den Spielern, denen er keinen Einsatz hat ermöglichen können. Dann steht Baier mir in einem Interview Rede und Antwort. Als ich ihn Frage, ob er Spaß an der Rolle gefunden habe und sich auf Sonntag in Berlin freue, wenn er mutmaßlich erneut die Chefrolle übernehmen muss, kontert er mit den Worten „guter Versuch“ – er lässt erkennen, dass es stressig ist, in der Verantwortung am Spielfeldrand zu sitzen oder zu stehen. Glückwunsch, Patrick Baier! Er hat jetzt ein Europa League Spiel gecoacht und gewonnen. Sollte auch der Chef noch anrufen und gratulieren, möge er ihm beste Genesungswünsche übermitteln, bitte ich den Interimscoach – er verspricht es. Ich verschicke auch dieses Interview an die üblichen Adressaten und schlendere gelassen und zufrieden zurück an meinen Kommentatorenplatz – in der Europa League eine Reihe tiefer als sonst, auch wenn mein eigentlicher Arbeitsplatz von RTL + oder jemand anderes nicht wirklich gebraucht wurde. Egal, ich hatte beste Sicht, funktionierende Technik und der SC hat gewonnen.

Nächste Station: Das Berliner Olympiastadion. Ich packe mein Köfferchen und ziehe es zum Presseparkplatz. Wie schon vor dem Spiel, als ein Fanmarsch der rund 2.000 Schlachtenbummler aus Nantes die Anreise erschwerte und etwa um eine Stunde verzögerte, müssen wir – ich hatte meinen Sohn Ben noch mit im Auto – auch jetzt warten. Als wir irgendwann spät nach Mitternacht zu Hause sind, bin ich noch immer voller Adrenalin. Ich mixe mir einen Cuba-Libre und schaue mir bei RTL+ (hatte für meine Restfamilie ein kostenloses einmonatiges Probeabo abgeschlossen) die Highlights der Partie an. Die beiden Großchancen für Nantes, ganz zum Schluss, ärgern mich. Dann zeichne ich meinen Nachbericht für den baden.fm-Früstücksclub auf, verschicke ihn per E-Mal ans Funkhaus, genehmige mir einen zweiten Cuba Libre und eine Folge mit jungen Paaren, die sich getrennt in zwei verschiedenen Villen mit Verführerinnen und Verführern einem Treuetest unterziehen. Ganz sicher gescriptet und letztlich belanglos, aber mit netten Bikinimädchen, vorteilhaft ins Bild gesetzt. Vielleicht das Richtige, um runterzukommen, nach diesem aufregenden Europa-League-Spiel.

Ich glaube, es war viertel nach zwei als ich im Bett lande.

Heute ist Freitag und das Bundesligawochenende beginnt bereits. Der SC kickt am Sonntag um 17.30 Uhr bei Hertha BSC. Mein Reiseplan sieht wie folgt aus: Am Sonntag um 6.50 Uhr geht der direkte ICE von Freiburg Hbf bis Berlin Hbf. Planmäßig bin ich um 13.27 Uhr in der Hauptstadt, beziehe mein Zimmer im IntercityHotel und verfolge das Spiel der U23 gegen Rot-Weiß Essen via iPad. In kurzen nachrichtlichen  „Aufsagern“ informiere ich die Radio-Hörer von baden.fm über das Wohl und Wehe der Jungs gegen RWE. Kaum ist das Spiel zu Ende, geht es mit einem Uber oder einem klassischen Taxi (Uber wäre billiger) zum Olympiastadion; die erste Rückkehr nach dem emotional so unvergesslichen Pokalfinal-Erlebnis im Mai.

Und dann spielt unser SC um die Tabellenführung der Bundesliga; Im Siegesfall sind die Jungs zumindest für zwei Stunden Spitzenreiter. Danach kommt es darauf an, wie Union Berlin in Stuttgart spielt.

Ein Sieg bei Hertha ist aber auch nicht einfach so programmiert. Drei Tage nach dem Europa League Heimspiel gegen Qarabag gab es zwar gegen Mönchengladbach ein gutes Spiel vom SC – aber keinen Sieg. 0:0 ging es 1m 11. September aus. Und drei Tage nach dem tollen Sieg in Piräus gabe es ebenfalls ein torloses Remis; diesmal, am 18. September, in Hoffenheim. Gutes Spiel, willkommener Auswärtspunkt, aber eben kein Sieg. Warum also auf einen Sieg in Berlin spekulieren? Ganz ehrlich: Ich könnte auch mit meinem Remis gut leben…

Hertha spielt unter dem neuen Trainer Sandro Schwarz ganz ansehnlichen Fußball, unabhängig von den Turbulenzen im Umfeld. Andererseits hat Hertha noch kein Heimspiel gewonnen in dieser Saison; der einzige Dreier resultiert aus einem 0:2-Auswärtserfolg in Augsburg. Die Spiele im Olympiastadion: 1:1 gegen Frankfurt, 0:1 gegen Dortmund, 2:2 gegen Leverkusen und 1:1 gegen Hoffenheim. Natürlich setzt Hertha gegen Freiburg auf den ersten Heimsieg, weil die Blau-Weißen ausgeruht sind, sich eine Woche auf den SC vorbereiten konnten und zumindest spielerisch auf einem besseren Weg zu sein scheinen als in den Monaten zuvor.

Beim Sport-Club gibt es zunächst mal viele Fragezeichen: Spielt die Mannschaft zum sechsten Mal in derselben Startformation? Wohl kaum! Die Verletzung von Michael Gregoritsch schien nicht so ganz kurzfristig zu beheben sein. Wenn es gut läuft, kommt der Österreicher für das Rückspiel in Nantes wieder in Frage. Also Nils Petersen von Beginn an? Möglich aber nicht sicher… Auch Lucas Höler stand gegen Nantes erstmals wieder im Kader, könnte eine Alternative sein; oder eine Doppelspitze mit Kofi Kyereh und Kevin Schade – auch gut vorstellbar. Wahrscheinlich kickt aber Nils Petersen von Beginn an für „Gregerl“ – der Rest könnte erstmal so bleiben, wie zuletzt. Das sah doch alles ganz gut aus; wenn Corona dem SC kein Schnippchen schlägt. Man muss in diesen Tagen mit allem rechnen... Übrigens: Die Tabellenführung sollte nicht die Hauptrolle in den Köpfen spielen – es geht mehr um eine gewisse Stabilität und darum, weiter Punkte zu sammeln, um ein Polster für schlechtere Zeiten aufzubauen; denn irgendwann fordert die Dreifachbelastung vermutlich Tribut.

Tabellenführung ist auch das Thema der C1 der SG Markgräflerland, mit der ich am Samstag zum Landesligaspiel in Rastatt fahre. Danach schaue ich den „German Classico“ im TV und bereite mich geistig-seelisch auf die lange Bahnfahrt vor.