32. Spieltag der 60. Saison der Fußball-Bundesliga, 1. FC Union Berlin gegen SC Freiburg

Samstag, 13. Mai 2023, 15.30 Uhr *

Stadion an der Alten Försterei, Berlin-Köpenick *

1. FC Union Berlin - SC Freiburg *

Das Vorspiel

Berlin – Berlin, wir fahren nach Berlin! Jetzt eben nicht Anfang Juni, sondern Mitte Mai; ein Endspiel ist es gewissermaßen trotzdem. Für den Sieger der beiden punktgleichen Kontrahenten, 1. FC Union und SC Freiburg, ist nach dem Spiel die Teilnahme an der UEFA Europa League „safe“. Sehr groß wäre durch den Dreier sogar die Teilnahme an der Champions League – entweder für die Einen oder für die Anderen…

Bundesweite Sympathieträger sind beide - ein Remis würde aber nicht wirklich weiterhelfen. Wenn man unterstellt, dass Leipzig am Sonntag gegen sein Heimspiel Bremen gewinnt, würden die Sachsen ihren Vorsprung im Falle eines Remis zwischen den Verfolgern Union und Sport-Club auf drei Punkte ausbauen. Wegen des deutlich besseren Torverhältnisses bliebe Leipzig dann auch am vorletzten Spieltag vor den beiden Verfolgern, selbst wenn die „Dosen“ bei Bayern München verlieren würden. Wenn Leipzig gegen Bremen gewinnt, stehen sie mit einem Bein in der Königsklasse. Nicht garantiert als Dritter, aber mit dickem Polster vor Platz fünf. Bremen wird ein Schlüsselspiel für Leipzig, so wie das direkte Duell gegeneinander ein Schlüsselspiel für Union und den SC ist. Vorteil Berlin: Sie haben gegenüber Freiburg ein um vier Tore besseres Torverhältnis. Hinzu kommt, dass Union seit Februar 2022 kein Heimspiel mehr verloren hat. Die Herausforderung für unsere Sport-Club, der auf Bundesligaebene noch nie ein Spiel an der Alten Försterei gewinnen konnte - ein Sieg im DFB-Pokal datiert von 2004 – ist also durchaus groß, denn – sein wir ehrlich, ein Sieg in Köpenick wäre schon der Königsweg in die Königsklasse…; auch weil das Restprogramm der „Eisernen“, auswärts in Hoffenheim und daheim gegen Bremen auf den ersten Blick leichter erscheint, als das des SC mit dem Heimspiel gegen Wolfsburg und der Auswärtspartie in Frankfurt.

Andererseits hat Union Berlin zuletzt beim FC Augsburg verloren und der SC hat seine letzten beiden Auswärtsspiele in Köln und Bremen gewonnen – also: Bangemachen gilt nicht!  

Bei guter Tagesform ist dem SC durchaus ein weiterer „Dreier“ in Köpenick zuzutrauen, ganz unabhängig vom zuletzt unnötig diskutierten System beziehungsweise von der Grundformation. Im Pokalspiel gegen Leipzig hat der SC im 3-4-3 zwei Gegentreffer kassiert, genau wie nach der Umstellung auf 4-4-2 noch einmal zwei Tore für den Gegner dazu kamen. Dem üblichen 3-5-2 vom 1. FC Union ist mit einem vergleichbaren oder einem ähnlichen System – 3-4-3 oder 3-4-2-1 – am besten beizukommen. So wie beim 4:1-Sieg im Hinspiel, als der SC im 3-4-3 angetreten war. Auch der FC Augsburg schaffte seinen Sieg gegen Union mit einer variablen Dreier-/Fünferkette vor dem eigenen Tor. Je nach Personalstand, dürfte auch der SC so agieren. Offiziell sind Innenverteidiger Philipp Lienhart und Offensivkraft „Litz“ Doan Wackelkandidaten für Samstagnachmittag. Beide haben nur individuell und nicht mit der Mannschaft trainiert. Philipp nach einem Infekt, „Litz“ wegen Kapselproblemen im Knie. Einem Versprecher von Christian Streich in der heutigen PK entnehme ich den Verdacht, dass auch Lukas Kübler in den letzten Tagen gesundheitliche Probleme hatte. Wenn auch „Kübi“ wackelt, wird es langsam schwer, drei Innenverteidiger zu stellen, es sei denn der Trainer schenkt dem Top-Talent Kimberly Ezekwem das Vertrauen für einen Startelfeinsatz, oder er experimentiert mit Nicolas Höfler als zentralem Mann der Dreierkette und Yannick Keitel im Mittelfeld, oder mit Kiliann Sildillia oder Merlin Röhl als Innenverteidiger – alles denkbar, wenn nur Matthias Ginter und Manuel Gulde als gesunde und gelernte Innenverteidiger zur Verfügung stehen. Oder der SC spielt dann doch nur mit zwei Innenverteidigern und einer 4-4-2-Grundformation. Abwarten…

Union gegen Freiburg – vielleicht das spannendste Bundesligaspiel des 32. Spieltags…

Mein persönlicher Anlauf sieht wie folgte aus: Schon heue habe ich, nach der Pressekonferenz mit Christian Streich und direkt im Anschluss der digitalen PK mit Thomas Stamm von der U23 habe ich am Funkhaus Freiburg die Fahrzeuge getauscht, also den privaten Ford Kuga abgestellt und den baden.fm-Toyota Corolla übernommen.

Für den morgigen Freitag habe ich mir im WZO-Verlag einen Urlaubstag genommen, um gegen 14 Uhr, wenn meine Frau Yoany von der Arbeit kommt, ausgeruht und frisch für die lange Autofahrt zu sein. Die erste Etappe führt uns beide zusammen dann von Bad Krozingen nach Bielefeld. Dort werde ich Yoany aber nur absetzen, damit sie, mit meiner aus Mexiko angereisten Schwester Elke, den Haushalt meiner Mutter in unserem verkauften Elternhaus auflöst – eine Art Entrümpelung also. Vor allem geht es darum, eventuelle Erinnerungsstücke für meine Mutter, die inzwischen stark dement im Pflegeheim in Bad Krozingen wohnt, oder auch für uns herauszufischen, eventuelle Wertsachen für meine Mutter zu verkaufen und solche Dinge. Das machen die Frauen dann am Samstag. Wenn wir morgen gut durchkommen – was ich an einem Freitagnachmittag in Frage stelle – reicht es vielleicht für einen gemeinsamen Restaurantbesuch im „Kreta“ – in jedem Fall muss ich, nach einem kurzen Aufenthalt weiterfahren Richtung Berlin. Schon lange bevor ich von dem Schlenker – das ist fast kein Umweg – über Bielefeld wusste, hatte ich von Freitag bis Sonntag ein Zimmer in Hannover gebucht, in meiner dortigen Stammherberge, dem Hotel Königshof am Funkturm in der Oststadt. Von Bielefeld aus sind das dann nochmal 100 km. Von Hannover bis Berlin-Köpenick sind es am Samstagvormittag dann noch einmal 297 km – etwa drei Stunden Autofahrt. Um 12.30 Uhr sollte ich auf dem Presseparkplatz 4 der Alten Försterei ankommen.

Ganz aktuell, also zwischen dem letzten Satz und diesem hier, befinde ich mich im Austausch mit der Presseabteilung des 1. FC Union, da ich ja immer der „frühe Vogel“ sein will. Zwischen 14 Uhr und 15 Uhr werde ich – auf Bildschirmbasis – das Drittliga-Spitzenspiel zwischen der U23 des SC und Tabellenführer SV Elversberg kommentieren; von meinem Platz auf der Pressetribüne in Berlin-Köpenick aus. Zwecks Vorbereitung, hier wiederhole ich mich vermutlich, habe ich immer ganz gerne eine Stunde, sprich, um 13 Uhr wäre ich super gerne auf meinem Arbeitsplatz. Offizieller Öffnungstermin des Stadions ist aber erst um 13.30 Uhr. Jetzt geht es also darum, dass ich quasi eine Extrawurst gebraten kriege und schon eine halbe Stunde früher in das Stadion darf. Da ich mal unterstelle, dass die TV-Kollegen dann auch längst vor Ort sind, hoffe ich, dass das eine Formsache ist. Das wird in diesen Minuten gerade von dem Kollegen der Union-Pressestelle gecheckt.

Dann folgen ganz bedeutende zweieinhalb Stunden – die baden.fm-Bundesligashow mit dem vorweggenommenen „Endspiel“ um die Champions League Teilnahme. Freudige Erregung und eine gewisse Besorgnis halten sich bei mir die Waage. Besorgnis, weil ich in Köpenick schon häufig enttäuscht wurde; von den eigenen Fans und ihrem Pyro-Wahn, der unserem Club richtig viel Geld kostet, von den Umständen, etwa einem ausgebrannten Waggon im Freiburger Fan-Sonderzug, aber auch vom sportlichen Geschehen. Besonders anschaulich waren die Spiele bei den „Eisernen“ nie; die letzten beiden Auswärtsspiele dort endeten Remis; das wäre sicher okay, aber, mit Blick auf die Konstellation im oberen Tabellendrittel letztlich keine gute Lösung. Ein Sieg wäre geil. So einfach ist das…

Morgen früh, um 6.45 und 8.15 Uhr läuft jeweils ein kompakter Vorbericht von mir in der Morningshow „Frühstücksclub“ von baden.fm. Was ich noch nie gemacht habe: Ich texte den Vorbericht zum Auswärtsspiel bei Union Berlin jetzt mal hier und „live“ im Reporter-Tagebuch:

Guten Morgen! Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin – zwar nicht zum Pokalfinale, aber zum mutmaßlichen Endspiel um die Teilnahme an der lukrativen UEFA Champions League. Union Berlin oder der SC Freiburg, mindestens einer von beiden wird die Königsklasse erstmals erreichen; im Zweifelsfall der Sieger des morgigen Spitzenspiels. Eine große Herausforderung für den SC, der zuletzt vor 19 Jahren ein Auswärtsspiel bei den „Eisernen“ in Köpenick gewinnen konnte. Nach den Siegen in Bremen und Köln wäre ein dritter Auswärtserfolg in Serie nicht völlig unerwartet, vielleicht irgendwie folgerichtig und wohl auch die Krönung einer spektakulären Saison. Der Einsatz von Lienhart und Doan ist unsicher, Sallai steht wieder im Kader. Spielsystem und Aufstellung sind aber – wie immer – geheime Kommandosache. Alles Weitere in der baden.fm-Bundesligashow, morgen ab 15 Uhr. Frank Rischmüller, baden.fm.

…Es ist ein klassischer Einminüter (viel länger dar ich auch nicht werden) geworden, den ich dann auch gleich produziert, also eingesprochen und als Sound-File ans Radio geschickt habe. Erledigt ist erledigt…

Während der Produktion hat auch der Pressekollege von Union zurückgerufen – alles in Butter! Ich komme früher als üblich, um 13 Uhr, ins Stadion. Union war und ist irgendwie sympathisch.

Erste Halbzeit U23, dann das vermeintliche Endspiel um die CL, die Spielerinterviews, die PK, der Talk mit Christian Streich, dann wird es auf 18.30 Uhr zugehen und ich werde ziemlich geplättet sein. Euphorisiert durch ein Erfolgserlebnis oder mit gemischten Gefühlen, wenn es sportlich suboptimal läuft, werde ich dann nochmal drei bis vier Stunden im baden.fm-Toyota verbringen, vielleicht irgendwo unterwegs etwas essen und dann am späteren Abend in Hannover ankommen. Die Auswahl der Aktivitäten nach der Ankunft – Abendgastronomie oder TV im Hotelzimmer ist, wie die Getränkeauswahl ergebnisabhängig.  So richtig spät und wild darf es aber nicht werden, denn für 9 Uhr, spätestens 10 Uhr, bin ich in meinem Elternhaus angemeldet um selbst in gewisser Weise Abschied zu nehmen, Objekte zu sichten, gegebenenfalls ins Auto zu räumen und dann mit nach Südbaden zu nehmen. Es wird das letzte Mal sein, dass ich in dem Haus bin – am 1. Juni ist der Eigentumsübergang auf die Käufer. Es wird ein emotionaler Moment sein, wenn wir dann am Sonntag das Haus verlassen und die Heimreise antreten. Ich war zwar schon selbstständig mit eigener Wohnung, als meine Eltern sich das schöne Haus am Ortsrand von Bielefeld-Jöllenbeck gekauft haben, war aber natürlich extrem häufig zu Besuch da, habe unzählige Familienfeste dort gefeiert und Weihnachtsabende dort verbracht. Aber alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei…

So, Freunde, ab sofort läuft der Countdown für Berlin!

Ich kommentiere das Bundesligaspiel des 32. Spieltags zwischen Union Berlin und unserem SC Freiburg am Samstag ab 15 Uhr in der baden.fm-Bundesligashow.

 

Das Fußballspiel

(Mein 1.099 SC-Livespiel am Radio-Mikrofon)

Wer die 4:2-Auswärtsniederlage des SC im ausverkauften Stadion an der Alten Försterei in Berlin-Köpenick beobachtet hat, wird sich ein wenig an die Halbfinalniederlage gegen Leipzig erinnert haben. Deshalb geriet die von Trainer Christian Streich gewählte Grundformation – 3-4-3 bzw. 5-2-3 statt 4-4-2 – zum Beispiel in den Netzwerken stark in die Kritik. Dabei ist das System, das die Grundformation der „Eisernen“ aus Berlin ein Stück weit spiegelt, wie Beispiele zeigen – etwa der 4:1-Sieg im Hinspiel oder der jüngste 1:0-Erfolg von Augsburg gegen die Berliner – die ideale Voraussetzung, um dem Union-Spiel zu begegnen. Dass die erste Halbzeit der Freiburger beim Union-Spiel so misslang, hatte andere Gründe. Einen davon nannte Christian Streich im Nachhinein beim Namen und übernahm die Verantwortung. Lukas Kübler hatte in der Woche vor dem Spiel Probleme; ich erinnere an den Versprecher von Streich in der Spieltags-PK, aus dem ich gewisse Schlüsse gezogen hatte (siehe „Das Vorspiel“). „Kübi“ hatte also einen Infekt gehabt, schien aber rechtzeitig genesen. Streich hatte sich dafür entschieden, „Kübi“ in der Startelf einzusetzen, zumal mit Philipp Lienhart ein Innenverteidiger der Extraklasse ausfiel. Somit bildeten Lukas Kübler, Matthias Ginter und Manuel Gulde in Köpenick die Dreierkette, die bei gegnerischem Ballbesitz von Kiliann Sildillia und und Christian Günter auf den Außenpositionen zu einer Fünferkette ergänzt wurde. Im zentralen Mittelfeld waren Nicolas Höfler und Yannik Keitel unterwegs, für die Offensive standen mit „Litz“ Doan, Lucas Höler und Vincenzo Grifo nur drei Kreative auf dem Platz; die sieben eher defensiv ausgerichteten Positionen waren auch mit vornehmlich in der Defensive ausgebildeten Spielern besetzt. Damit blieb – diese Kritik am 3-4-3 greift natürlich – die Kreativität auf der Strecke.

Viel entscheidender waren aber Fehlleistungen im Defensivbereich: Lukas Kübler war eben noch nicht wieder fit, stand neben sich und musste nach einer halben Stunde mit Kreislaufproblemen ausgewechselt werden. Roland Sallai kam, übernahm die Position auf der rechten Schiene, Kiliann Sildillia rückte in die Dreierkette. Der junge Franzose, im Laufe der zu Ende gehende Saison Shooting-Star in der SC-Defensive, an dem Medienberichten zufolge sogar Clubs aus der Premier League interessiert sind, erlebt gerade das, was Talente nach dem ersten positiven „Aufploppen“ auf höchstem Niveau und so viel Rummel um die eigene Person oft erleben, eine Formkrise – ein Leistungstief. Das wurde bei seinen letzten Einsätzen deutlich und leider auch in Berlin-Köpenick. Pech kam auch noch hinzu, als er im Vorfeld des Berliner Führungstreffers in der 5. Minute, beim späteren Torschützen Behrends stehend, kurz wegrutschte, wodurch der Union-Stürmer relativ leichtes Spiel hatte. Aber auch sonst hatte Sildillia, dem man eine solche Phase in der noch jungen Karriere selbstverständlich zugestehen muss, nur wenige gelungene Szenen. Er war ein Unsicherheitsfaktor. Ähnliches gilt für Manuel Gulde, der an guten Tagen ein durchschnittlicher Bundesligaspieler ist, den in dieser Saison grandios aufspielenden Philipp Lienhart aber nicht gleichwertig ersetzen kann. Beim Union-Spiel hatte Manuel Gulde keinen guten Tag, sah in den Zweikämpfen, vor allem gegen den wie aufgedreht spielenden Niederländer Becker meist „alt“ aus. Kübler, Sildillia, Gulde – drei unter Normalform spielende Defensivspieler, dazu Christian Günter, dem im 45 Pflichtspiel die Körner auszugehen schienen, weil einfach die sonst übliche Power fehlte, das konnte in Summe nicht gut gehen. Unions Irrwisch Sheraldo Becker gelang nach einer halben Stunde ein Doppelpack – ein Doppelschlag für den SC, bei dessen Fans die Hoffnung auf ein Erfolgserlebnis bei den heimstarken „Eisernen“ nun auf den Nullpunkt sank.

Umso anerkennenswerter ist es, dass die Spieler des SC nicht aufgaben, sondern in der zweiten Halbzeit, mit neuer, frischer Energie zurückschlugen. Diese vor der Pause so schmerzlich vermisste Energie und Kreativität brachten die eingewechselten Spieler mit ins SC-Spiel. Roland Sallai, der schon nach einer halben Stunde für Lukas Kübler gekommen war, Noah Weißhaupt, der ab Minute 46 für Christian Günter auf der linken Schiene unterwegs war und seine Aufgabe deutlich offensiver interpretierte, sich zudem mit seinem Trickreichtum in Eins-gegen-Eins-Situationen durchzusetzen verstand, aber auch mit Kenneth Schmidt, der ab der 53. Minute für Kiliann Sildillia verteidigte und seine Sache gut machte oder Michael Gregoritsch, der ebenfalls in der 53. Minute kam und Yannik Keitel ersetzte, der in Berlin nach vorne kaum Akzente setzen konnte. Jetzt zog sich Lucas Höler für Keitel in die Mittelfeldzentrale zurück und überließ die Rolle des Mittelstürmers dem Österreicher Michael Gregoritsch. Die Folge: In der zweiten Hälfte erwies sich der SC als den Berlinern ebenbürtig, ja sogar als besser. Der neue Offensivgeist und die eigene Standardstärke halfen dabei. In der 56. Minute gab es (erst) den zweiten Eckball für den SC. Vincenzo Grifo flankte von rechts, im Zentrum sind die Laufwege bekanntlich einstudiert, sodass Manuel Gulde frei zum Kopfball kam – nur noch 3:1. Aus Berliner Sicht vielleicht nur ein kleiner Schönheitsfehler – aber der SC machte weiter Druck. In der 68. Minute stürmt Roland Sallai in den Strafraum, Gegenspieler Doekhi will den Ball wegspitzeln, trifft aber mehr Sallai als Ball und Schiedsrichter Marco Fritz zeigt sofort auf den Punkt. Vincenzo Grifo macht es dann schlitzohrig, wie vor Jahr und Tag auf Schalke, mit einem Chip-Ball ins Zentrum. Torwart Rönnow war schon in eine Richtung gesprungen, hechtete dann aber zurück und wäre fast noch an den Ball gekommen. Final zappelt dieser aber im Netz und plötzlich sind noch 20 Minuten zu spielen und der nun überlegen agierende SC hat noch 20 Minuten Zeiten, um den Ausgleich zu erzielen oder das Spiel vielleicht sogar zu drehen. „Das funktioniert vielleicht nicht nur bei Schnee in Köln“ erinnere ich am Mikrofon laut an die legendäre Aufholjagd vom Dezember 2017, als der SC eine 3:0 Führung der Kölner noch in einen 3:4-Sieg gedreht hatte. Und ich glaubte einen Moment lang selber daran – so zwingend trat der SC plötzlich auf, übrigens immer noch im 3-4-3…

 Allerdings musste der Sport-Club für seine druckvolle offensive Spielwiese ein hohes Risiko eingehen, lud die Berliner, weiol es halt nicht anders ging, zu dem von ihnen präferierten Konterfußball geradezu ein. Genau dieses Entblößen der eigenen Abwehr beim Versuch, einen hohen Rückstand aufzuholen, wurde dann zum Knackpunkt. Ein langer Ball auf Sheraldo Becker, der beim Pass gerade noch in der eigenen Hälfte war, ansonsten wohl in Abseitsstellung gewesen wäre, leitete in der 80. Minute den entscheidenden Konter ein. Becker stürmt auf halbrechts davon und bedient den kurz zuvor eingewechselten Laidouni, der keine Mühe hatte, erfolgreich abzuschließen. Freiburgs Talente Weißhaupt und Schmidt waren auf sich alleine gestellt und konnten das Unheil nicht verhindern. 4:2, das war – gefühlt – die Entscheidung.

Der SC gab trotzdem nicht auf und hätte seinen Rückstand in der 84. Minute fast noch einmal verkürzt: Ein von „Litz“ Doan getretener Eckball von der linken Seite – die Eckball-Spezialisten Vincenzo Grifo und Christian Günter wirkten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit – findet die Fußspitze von Matthias Ginter, der Pech hat und nur die Latte des Berliner Tores trifft. Mit einem Seitfallzieher versucht er es im Nachschuss erneut, doch ein Union-Verteidiger steht im Weg und klärt kurz vor der Torlinie.

Dann pfeift Schiedsrichter Marco Fritz ab und die Enttäuschung im Freiburger Lager ist riesengroß. Sie ist berechtigt – wegen des Ergebnisses und der schwachen Leistung im ersten Durchgang.

 

Das Nachspiel

In der Nachspielzeit auf dem Platz gab es, nach einem Ellbogencheck beim Kopfball von Michael Gregoritsch gegen Leite, eine längere Behandlungsunterbrechung. Ich war live auf Sendung und nutzte die Phase, in der der Ball nicht rollte schon einmal zu einer Analyse – auf eine nochmalige zusammenfassende Betrachtung nach dem Schlusspfiff und einem Musiktitel im Radioprogramm von baden.fm konnte ich so getrost verzichten. Der Schiri pfiff ab, ich verabschiedete mich mit Hinweis auf unsere Übertragungen vom DFB-Pokalfinale der Frauen am Donnerstag, 18. Mai, aus Köln und vom Heimspiel der Jungs am Tag danach, Freitag, 19. Mai, (ebenfalls) gegen den VfL Wolfsburg.

Ich lief in die Mixedzone und kam noch rechtzeitig, um gleich das erste Spielerinterview einzufangen. Yannik Keitel stand Rede und Antwort, genauso wie, gleich danach, Kapitän Christian Günter. So flott hatte ich Spielerinterinterviews selten im Kasten. Ich sendete sie per Mail an die üblichen Abnehmer beim Sport-Club und im Funkhaus Freiburg und wartete dann auf die Pressekonferenz, was sich nun ganz schön lange hinzog. Zum einen, weil ich so früh mit den Spielern fertig war, zum anderen, weil Christian Streich noch länger mit seiner Mannschaft reden wollte, wie uns Journalisten mitgeteilt wurde. Nur weil es so lange dauerte, also eher zufällig, schaute ich kontrollierend in den Ordner „gesendete Mails“ und stellte fest, dass die Spielerinterviews nicht rausgegangen waren... Ich erinnerte mich nun an den Hinweis eines Union-Mitarbeiters, dass das Presse-W-LAN manchmal „spinne“, schaltete also das W-LAN ab und versendete die Interviews noch einmal - jetzt auf 5G-Basis. Das funktionierte.

Dann kamen die Trainer. Christian Streich sah wirklich mürrisch und enttäuscht aus. Die Niederlage hatte Nerven gekostet. Dennoch stand er mir nach der PK Rede und Antwort.  Als Letztes hatte ich ihn augenzwinkernd sinngemäß gebeten, doch zu verhindern, dass wir alle beim Pokalfinale für Leipzig die Daumen drücken müssten (damit auch der Sechste der Bundesliga in die Europa League einrückt), weil das doch schwerfallen könnte. Manchmal fresse derTeufel Fliegen, orakelte der Trainer am Schluss seiner Ausführungen - natürlich in der Hoffnung, dass es so weit nicht kommen wird. Auch den Talk mit dem Trainer sendete ich an baden.fm und den SC für dessen Homepage.

Nun – wir können beim Pokalfinale locker der Frankfurter Eintracht die Daumen halten, denn die Sonntagsspiele sollten zeigen, dass der SC von Platz fünf nicht mehr zu verdrängen sein wird, egal was an den letzten beiden Spieltagen passiert. Allerdings zeigten die Resultate vom 32. Spieltag auch, dass es für die Teilnahme an der Champions League wohl nur noch theoretische Chancen gibt. Der SC müsste gegen Wolfsburg und in Frankfurt gewinnen, Union oder Leipzig müsste gleich zweimal stolpern. Ich denke, der SC wird Fünfter – und das ist ein super Saison-Ergebnis; einen Platz besser als letztes Jahr und die Teilnahme an der Gruppenphase der Europa League ist gesichert – Freiburg spielt international! Freiburg spielt Europa League, schon wieder - ich freue mich sehr auf sechs oder mehr internationale Spiele und mindestens drei geile Europa-Reisen.

Zurück in die Alte Försterei: Ich stieg wieder hoch zu meinem Kommentatorenplatz – diesmal übrigens mit bester Sicht und nicht neben der sichteinschränkenden Mauer auf der Pressetribüne wie in der Vorsaison – und ich packte in aller Ruhe meinen Kram zusammen. Ich wusste ja – zu besonderer Eile gab es keinen Grund. Ich hatte noch drei Stunden Autobahn vor mir und niemand wartete auf mich. So ging es im baden.fm-Corolla ohne besondere Vorkommnisse zurück zum Hotel in Hannover. Nach Fernsehen stand mir am Samstagabend nach den aufwühlenden Fußballerlebnissen des Nachmittags nicht der Sinn. Ein paar Jacky-Cola noch in einer Bar, dann pennen und am Sonntagmorgen weiter nach Bielefeld.  

Im Haus meiner Eltern lösten wir den Haushalt auf, so gut es ging – vor allem Papiere und Unterlagen gab es zu sichten und aufzuheben oder zu vernichten. Ich rede von einer stolzen zweistelligen Zahl von Ordnern… Da waren kleinste Kassenbelege aus den fünfziger Jahren dabei. Mein Papa war ein exakter Kaufmann gewesen.  Auch ein paar wichtige Unterlagen und Urkunden waren dabei. Die haben wir aufgehoben. Bei der Aufgabe Fotos zu sondieren, mitzunehmen oder zu vernichten scheiterte ich emotional. Das mussten die Frauen machen. Ich konnte das nicht. Gegen 13.30 Uhr war erledigt, was erledigt werden musste, die meisten Fotos waren mit im Auto, genauso wie wichtige und unwichtige Dokumente,  etwa meine Zeugnisse aus Grundschule und Gymnasium – dann ging es wieder sechs Stunden über Paderborn, Marburg, Frankfurt und Heidelberg zurück nach Bad Krozingen. So langsam hing mir die Autobahn zum Hals heraus…

Das Abendessen kam von Lieferando, ich produzierte meine Nachbetrachtung zum SC-Kick für die Morningshow von baden.fm und versuchte mich auf den Schwarzwald-Tatort zu konzentrieren, den ich zweitversetzt aus der ARD-Mediathek auswählte. Es gelang mir nicht. Vielleicht lag es an der Müdigkeit, vielleicht am schwachen Tatort-Team. Ich brach ab und lag um 23 Uhr im Bett.

Heute ist Montag und ich sitze in meinem Redaktionsbüro beim ReblandKurier. Zeitungsproduktion ist angesagt. Alles war gut vorbereitet; von mir bereits am Donnerstag, von den Kollegen am Freitag, als ich mir einen Tag Urlaub gegönnt hatte, um stressfrei via Bielefeld gen Hannover und Berlin zu fahren. Wegen der guten Vorbereitung liegen wir gut in der Zeit und werden morgen bis 11 Uhr alle Ausgaben fertig haben – so wie von der Geschäftsleitung gewünscht. Auf den Sportseiten wird dann auch wieder meine Kolumne „SC INTEAM“ zu lesen sein. Tagebuch-Leser können den Entwurf  jetzt schon lesen:

 

SC INTEAM   

Die Enttäuschung im Lager des SC Freiburg war groß: Mit guten Chancen war der Sport-Club zum von der Medien- welt  als „Endspiel um die Champions-League-Teilnahme“ apostrophierten Auswärtsspiel beim 1. FC Union Berlin angereist und lag   nach 45 Minuten scheinbar aussichtslos zurück. Union führte im ausverkauften Stadion an der Alten Försterei zur Pause verdient mit 3:0.  Lienhart, kongenialer Partner von  Ginter in der der Freiburger Innenverteidigung, fehlte nach einem schwereren Infekt,  Kübler stand, nach einem vermeintlich überstandenem Infekt,   in der Startelf, aber auch neben sich. Er musste nach 30 Minuten mit Kreislaufproblemen vom Platz. Lienhart-Ersatz  Gulde hatte eine schlechte Tagesform und Talent  Sildillia befindet sich im klassischen Formtief eines Newcomers. Das alles  hatte zur Folge, dass der SC in der ersten Halbzeit von Union überrollt wurde. Das 3:0 zur Pause war leistungsgerecht.

Umso bemerkenswerter war das „Comeback“ des Sport-Clubs in der zweiten Halbzeit. Die eingewechselten  Schmidt,  Weißhaupt und  Sallai gaben dem Team frische Energie. Ein Kopfball von  Gulde, nach Ecke von  Grifo, brachte den Anschluss, ein an  Sallai verschuldeter und von  Grifo verwandelter Foulelfmeter brachte 20 Minuten vor dem Ende die Berliner Rechnung ins Wanken. Freiburg stürmte jetzt auf „Teufel komm heraus“  und war drauf und dran, das Spiel zu drehen.  Dies alles geschah unter Inkaufnahme eines höheren Konter-Risikos. Das Umschaltspiel ist aber die große Stärke von Union Berlin. So führte ein Berliner Konter in der 80. Minute zum 4:2 – das war die Entscheidung, auch weil  Ginter vier Minuten später Pech hatte, als er zunächst die Querlatte traf und sein Nachschuss auf der Linie abgewehrt werden konnte.

Der Abpfiff bedeutete das mutmaßliche Ende der realistischen  Hoffnungen des SC auf eine Champions-League-Teilnahme. Bestätigt wurde diese Einschätzung durch den Leipziger Last-Minute-Sieg am Sonntag gegen Bremen. Freiburgs Chancen auf die Königsklasse sind jetzt nurmehr theoretischer Natur. Klarheit brachte der 32. Spieltag aber auch in einer anderen Frage: Durch das Remis von Leverkusen in Stuttgart vom Sonntagmittag, ist der SC in dieser Saison nicht mehr von Rang fünf zu verdrängen. Eine Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr (Platz sechs). Die Teilnahme an der Gruppenphase der Europa League ist „save“. Das verdient am Ende einer spektakulären  Saison mit Europa-League-Achtelfinale und DFB-Pokal-Halbfinale ein großes  Kompliment. Am Freitag   um 20.30 Uhr gegen den VfL Wolfsburg (live bei DAZN und baden.fm) kann   die Mannschaft gefeiert zu werden. Das Spiel   könnte emotional werden – auch, weil ein „Fußballgott“ verabschiedet wird. (Zitatende)

 

So weit mein Reportertagebuch zum Spiel bei Union Berlin. Ich möchte es aber nicht beenden, ohne drei Fußball-Themen zu erwähnen, die ich am Samstag nur zeitweise oder nur aus der Ferne begleiten konnte:

Die U15 der SG Markgräflerland mit meinem Sohn Ben hat den nächsten Gegner, SG Haslach, mit 6:1 weggehauen und dann mit Eltern und allem Lametta die seit einer Woche feststehende Meisterschaft in der Landesliga gefeiert. Da wäre ich gerne dabei gewesen… Ich saß aber in der Alten Försterei. Die U23 des SC Freiburg musste zwar mehr als ein halbes Dutzend Leistungsträger ersetzen – Atubolu, Schmidt, Ezekwem, Wagner und Weißhaupt waren im Kader der Bundesligatruppe und mit in Berlin, Torjäger Vermeij war verletzt und Guttau gesperrt – trotzdem, ja trotzdem hat die Rest-Truppe von Trainer Thomas Stamm im Drittliga-Spitzenspiel den Tabellenführer SV Elversberg, der in Freiburg eigentlich den vorzeitigen Aufstieg in die  zweite Liga feiern wollte, mit 2:1 geschlagen. Die haben jetzt 67 Punkte auf dem Konto, so viele Zähler, wie noch nie eine Zweitvertretung in der 3. Liga. Zudem haben die Jungs noch immer die Chance, Meister zu werden. Zwei Spieltage vor Schluss hat Elversberg drei Punkte Vorsprung. Und Elversberg hat nächste Woche gegen Wiesbaden noch lange nicht gewonnen… Die U23 fährt in meine Heimatregion zum SC Verl.

Apropos Heimat: Mein Heimatverein und meine erste und noch immer existente Fußball-Liebe und -Leidenschaft gehört Arminia Bielefeld. Die Jungs kämpfen, nach dem Erstliga-Abstieg vor einem Jahr, jetzt in der 2. Liga ums Überleben. Dabei ist ihnen am Samstag ein 1:2-Auswärtssieg auf dem Lauterer Betzenberg gelungen; ein Last-Minute-Sieg durch ein Tor in Minute 90. + 7. Das ist Arminia – Drama gehört einfach dazu… Ich drücke den Jungs ganz fest die Daumen!