5. Spieltag der Fußball-Bundesliga, 1. FC Union Berlin gegen SC Freiburg

Samstag, 24. Oktober 2020, 15.30 Uhr

Stadion an der Alten Försterei, Köpenick

1. FC Union Berlin - SC Freiburg

Das Vorspiel

Phasenweise war es aufregend in dieser Woche – vor allem die bis gestern offene Frage, ob ich als Reporter zum SC-Spiel bei Union reisen kann oder nicht.

Berlin gilt als Risikogebiet  - Freiburg und Breisgau-Hochschwarzwald inzwischen ja auch – was würde passieren. Und will ich die Reise überhaupt mit Überzeugung antreten oder doch lieber als Notlösung, auf Basis von TV-Bildern im Radio kommentieren.

Da ich nicht zum Sightseeing nach Berlin reisen möchte und mich vor Ort wohl ausschließlich im Mietwagen, im Hotel und im Stadion „Alte Försterei“ aufhalten werde, war meine persönliche Situation schnell geklärt. Ja, na klar will ich alles tun, um vernünftig und vorsichtig mit der Pandemie zu leben und nicht das (Berufs-)Leben einstellen und warten, ob oder dass die Problematik irgendwann vorbei geht. Letzteres halte ich für den schlechtesten Weg. Ja, ich will meinen Job machen!

Ob ich es auch darf, war die zweite Frage.

Zunächst hielt sich die Presseabteilung des 1. FC Union Berlin nach meinem schriftlichen Akkreditierungsantrag und einer telefonischen Nachfrage sehr bedeckt. In Köpenick liefen die Drähte heiß und eine Sitzung jagte die nächste. Dabei ging es offenbar vor allem um die Frage nach Zuschauern im Stadion und auch um die nach zugelassenen Journalisten. Da ich bei meinem Bemühen Unterstützung vom SC Freiburg erhielt, kam gestern, Mittwoch, auf abermalige telefonische Anfrage, endlich die mündliche Zusage und abends per E-Mail dann auch die üblichen schriftlichen Unterlagen. Das war mir gestern so wichtig, weil gestern Stornierungsfristen für den bestellten Mietwagen und das Hotel abgelaufen sind. Parallel dazu gibt es viel Hin und Her mit der geplanten Flugreise. Planmäßig fliege ich am morgigen Freitag von Basel aus mit EasyJet nach Berlin-Tegel. Als erstes kam eine E-Mail, die auf die Möglichkeit der Anforderung einer Gesundheitsbestätigung hinwies. Dabei ging es aber offenbar um internationale Flüge. Ist ein Flug von und zum EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg nun international oder national? Muss ich einen negativen Test vorlesen, wenn ich aus dem Hotspot Freiburg komme? Oder auf dem Rückweg aus dem Hotspot Berlin zurückreise? Ganz ehrlich, so hundertprozentig bin ich aus der Mail nicht schlau geworden – da ich von Hotspot zu Hotspot reise, lasse ich es einfach mal so laufen und unterstelle einen Inlandflug. Sollten die mich morgen zurückweisen, bin ich geistig-seelisch darauf eingestellt, notfalls mit dem Pkw zu fahren.

Die nächsten Mail kam vom EuroAirport selbst. Der liegt auf französischem Territorium und die Franzosen haben beschlossen, dass im Airport selbst nicht etwa nur ein Mund-Nasen-Schutz getragen werden muss, sondern es muss zwingend eine bestimmte Maske sein. Die Meldung kam zunächst englischsprachig vom Airport, später noch einmal auf Deutsch von EasyJet. Konkret wurde Folgendes mitgeteilt:

„Aufgrund einer Vorschrift der französischen Behörden (die auch für den Flughafen Basel gilt) müssen Passagiere ab 11 Jahren ebenfalls eine medizinische Einwegmaske tragen (Kinder ab 6 Jahren müssen auch weiterhin eine geeignete Maske tragen).

Es liegt in Ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Sie die korrekten Richtlinien für Ihre Reise befolgen. Wenn Sie dies nicht tun, kann Ihnen die Reise oder die Einreise an Ihr Reiseziel verweigert werden.“

Und woher kriege ich eine medizinische Einwegmaske – also quasi eine OP-Maske? Ich überlegte kurz, ob ich meinen rotarischen Freund Jörg Becker von der Beckerklinik um ein paar Masken bitte, fand dann aber ein Angebot für medizinische Einwegmasken bei Amazon, bestellte und fertig. Sie sind für heute angekündigt. Daran wird es also nicht scheitern.

Hier mein Reiseplan:

Um 12 Uhr werde ich morgen meinen Arbeitstag im WZO-Verlag beenden und, nach dem Mittagessen, um 13 Uhr zum EuroAirport aufbrechen. Den werde ich dann eine gute Stunde vor dem Abflug mit einer meiner neuen medizinischen Einwegmasken betreten. Um 15 Uhr geht’s planmäßig los und gegen 16.30 Uhr werde ich in Tegel landen. Da der Weg vom EasyJet- Flugsteig zur Autovermietung in Tegel relativ weit ist, habe ich mich für einen kleinen Rollkoffer entschieden – den hatten wir anlässlich unseres letzten Karibik-Urlaubs für Ben angeschafft und er geht als Handgepäck durch. Da drin sind dann ein paar wenige Kleidungsstücke, Kulturtasche und – ganz wichtig – meine Technik für die Übertragung; also Musiktaxi und Techniktasche mit Mikrofon, Kopfhörer, Kabelkram und einer alternativen Übertragungsmöglichkeit für den Fall, dass die Technik mal streikt (Das ist speziell in Köpenick auch schon mal vorgekommen…). Das Köfferchen werde ich heute schon mal packen, damit es morgen keinen Stress gibt. Bei der Oberbekleidung kann ich mich ja ganz auf meine neuen knallig-blauen Dienst-Klamotten von PUMA und Intersport HAAF konzentrieren. Was anderes brauche ich ja nicht, da es – wie gesagt – nicht um Sightseeing, Ausgehen oder sonst etwas geht, sondern nur um den Job.

In dem ziemlich genialen Podcast „Gemischtes Hack“ von Felix Lobrecht und Tommi Schmitt haben die beiden in dieser Woche über die unerwartet gute Qualität von Mixgetränken, wie Jacky-Cola oder Bacardi-Cola in Dosen gesprochen und das hat mich in Zeiten von Sperrstunde und Ansteckungsgefahr auf einen guten Gedanken gebracht. Ich mache dann mal eine Ein-Mann-Party mit Jacky-Cola aus der Dose im Hotel. Samstagabend – aber nur bei Remis oder Auswärtssieg – dann als Abwechslung mit Bacardi-Cola. Oder vielleicht auch, wenn es keine Punkte gibt…, dann um den Ärger herunter zu spülen. Aber soweit wird es hoffentlich nicht kommen. Obwohl…

 

Bei Union ging in der jüngeren Vergangenheit selten was für den SC. Rückblende: Mein erstes Spiel Union gegen den SC in Köpenick übertrug ich am 3. März 2003. Es spielten Golz - Hermel,  Müller, Kobiashvili,  Schumann,  Tskitishvili, Willi, Bajramovic, Coulibaly, Guie-Mien, Iashvili.

Es war also die wilde „Villi“-Zeit.  Jungs wie Florian Bruns und Steffen Baumgart kickten damals für Union. Das Spiel endete 1:1 – Coulibaly traf zehn Minuten vor Schluss zum Ausgleich. Das Stadion war damals längst nicht so ansprechend wie heute, sondern irgendwie Baustelle.

Ein Jahr später, im August 2004, waren wir wieder an der Alten Försterei. Im DFB-Pokal siegte der SC klar mit 0:4, was mir fast ein bisschen leid tat, denn Trainer der „Eisernen“ war damals Frank Wormuth, den ich noch als Trainer des FC Teningen kannte und mit dem ich einen sehr guten Kontakt pflegte. Später wurde Frank Chefausbilder für Trainer beim DFB, jetzt ist der Proficoach in Holland, glaube ich.

Der SC spielte im Pokal mit Golz - Berner, Kondé, Mohamad, Olajengbesi, Riether, Coulibaly, Tskitishvili, Willi, Iashvili und  Tanko. Die Tore erzielten Tanko, Tskitischvili und es gab einen Doppelpack von Iashvili. Krupke, Dorn und Müller wurden eingewechselt… Schöne Erinnerungen…

Danach gingen sich Union und der SC eine Zeit lang aus dem Weg. Das nächste Duell an der „Alten Försterei“ gab es im Mai 2016. Der SC kickte beim Zweitligaduell mit Klandt - Mujdza, Torrejon, Kempf, Günter, Philipp, Höfler, Abrashi, Grifo, Petersen und Niederlechner. Wir sind quasi in der Neuzeit angekommen. Es war das Spiel, bei dem ich so viele technische Probleme hatte und ganz oben unter dem Stadiondach stehend mit einem normalen Telefon übertragen musste. Gar nicht so einfach angesichts des Lärms der Union-Fans, die einen 2:1-Sieg ihrer „Eisernen“ herbeischrien und dann bejubelten. Kempf traf für Freiburg in der 90. Minute. Es war einfach ein gebrauchter Tag.

Der nächste und bislang letzte Vergleich in Köpenick fand dann im vergangenen Jahr statt: Am 19. Oktober – es ist also tatsächlich fast auf den Tag genau ein Jahr her – fielen zunächst die Freiburger Schlachtenbummler durch dämliches Zündeln unangenehm auf, dann die Mannschaft, die sang- und klanglos mit 0:2 verlor und schließlich kamen die SC-Fans, die mit einem Sonderzug angereist waren zunächst in Gefahr und dann in die Schlagzeilen, war der Zug doch – noch in Berlin – in Brand geraten; durch einen technischen Defekt, wie man heute weiß. Damals schossen, wegen des Zündelns zuvor im Stadion, die wildesten Gerüchte ins Kraut. Nein, es war kein schönes Auswärtsspiel, letztes Jahr in Berlin-Köpenick. Dabei war die Mannschaft durchaus namhaft, die da auf dem Feld stand:

Das Spiel begann befremdlich mit dem frühen 1:0 der Bülter in der 1. Minute, am Ende des ersten Angriffs. Es ging befremdlich weiter mit der Verletzung von Stammtorwart Schwolow nach rund 20 Minuten. Ingvartsen stellte sechs Minuten vor Schluss den Endstand her. Es war sowas von ärgerlich…

Dabei stand eine sehr namhafte Freiburger Truppe auf dem Rasen: Schwolow/Thiede - Heintz, Koch, Lienhart -  Günter, Höfler, Abrashi, Schmid - Höler, Waldschmidt, Haberer. Nach Thiede (kam für Schwolow) in der ersten Hälfte wurden Grifo und Petersen in der zweiten Hälfte eingewechselt. Es war und blieb aber ein Tag zum Vergessen.

Nicht vergessen hat Trainer Christian Streich die Robustheit der „Eisernen“, die zahlreichen taktischen Fouls, häufig sehr hart geführt, die vom Unparteiischen viel zu oberflächlich geahndet wurden. Im heutigen virtuellen Pressegespräch erklärte der Freiburger Trainer, seine Jungs müssten sich auf das knallharte Abwehrspiel der Berliner, zum Beispiel in der Kontersicherung,  einstellen und auf die Zähne beißen – im besten Sinne dagegenhalten und darauf eingestellt sein, das es weh tun könnte, was auf die Spieler zukommt.

Der Trainer verwies aber auch auf den Umstand, dass der SC, nach dem beschriebenen ärgerlichen 2:0, nur zehn Tage später, im DFB-Pokal, in Freiburg mit 1:3 gegen Union verlor – dann aber, am 7. März dieses Jahres, einen verdienten 3:1-Heimsieg landete. Es war übrigens das letzte Spiel vor vollen Rängen. Was noch wichtiger ist: Der SC hatte endlich verstanden, wie man gegen Union Berlin erfolgreich ist. Sallai, Günter und Koch erzielten die Tore. Auf dem Platz standen: Schwolow – Gulde, Lienhart, Heintz – Schmid, Höfler, Koch, Günter – Sallai, Petersen, Grifo.

Es fällt auf: Immer wenn es gegen Union ging, setzte Streich auf eine Dreier-/Fünferkette. Übersetzt man die Aufstellung vom Sieg im März in die heutige Situation, könnte der SC wie folgt spielen: Müller – Gulde, Lienhart, Heintz – Schmid, Höfler, Santamaria, Günter – Sallai, Petersen, Grifo.

Das wäre eine durchaus denkbare Formation, zumal Höler zuletzt in der Zentrale nicht wirklich überzeugen konnte. Da Union selbst auch sehr variabel kickt und zum Beispiel vom Kicker am Samstag gegen Freiburg (anders als in den letzten Spielen mit dem SC) mit Viererkette erwartet wird, könnte auch ein Verbleib bei der Viererkette beim SC naheliegend sein. In der noch jungen Saison hat der SC seine besten Leistung im 4-4-2 bzw. im 4-1-4-1 gezeigt – zum Beispiel beim Sieg in Stuttgart und in den Heimspielen gegen Wolfsburg und Bremen, die – Letztere hätten, so das Fazit des Trainers nach Videostudium – wirklich gute Leistungen hervorgebracht. Gefehlt habe es etwas in der Effizienz und beim Glück – sonst hätte es wohl verdiente Siege in den beiden Heimspielen gegeben.

Ich persönlich erwarte deshalb am Samstag ein 4-4-2 mit derselben Startelf wie gegen Bremen.

Wenn ich die erste Nacht im großen Hotel Park Plaza Berlin Kudamm hinter mir habe, werde ich erstmal mit den Jungs in Bad Krozingen mitfiebern. Die haben am Samstagmorgen um 11 Uhr in der Bezirksliga das schwere Spiel gegen den Nachwuchs des Regionalligisten Bahlinger SC. Die stehen nach drei Spielen und drei Siegen hinter SF Eintracht Freiburg auf Platz zwei. Das wird eine heiße Nummer - ich warte dann im Hotel auf den WhatsApp-Ticker vom Spiel, den sonst ich erledige. Jetzt muss halt ein anderer Papa oder eine andere Mama ran. Vielleicht ja der Anführer der FCK-D-Junioren-Ultras… (smile) – ein treuer Tagebuchleser; dieser Insider muss erlaubt sein.

So Freunde, gerade kam wieder so eine Warn-E-Mail von EasyJet, von wegen negativer Corona-Test. Ich ging eigentlich davon aus, dass es dabei nicht um Reisen innerhalb Deutschlands geht… Hab das dann aber mal hinterfragt:

Anruf bei EasyJet – Frage, handelt es sich bei dem Flug EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg um einen Inlandflug oder um einen internationalen Flug. Antwort: Das ist ein international flight. Ich: Dann müsste ich ja, obwohl in Deutschland wohnhaft, von französischem Territorium bzw. vom Schweizer Sektor im Airport kommend, in Berlin in Quarantäne, oder? EasyJet: Das ist möglich, ja, das könnte so sein. (Schweigen) Aber genau sagen kann ich es Ihnen nicht. Vielleicht müssten Sie die Botschaft fragen. Ich: Welche Botschaft? EasyJet: Oder Ihre Regierung. Ich: Okay, schönen Dank, ich rufe bei Spahn an… (ach, der hat ja Corona…) Thanks und tschüs.

Anruf im Bundesministerium für Gesundheit. Dreimal mein Problem vorgetragen, dreimal weitergeleitet. Schließlich die Einschätzung des Ministeriumsmitarbeiters: Eigentlich ist der Flughafen ja nur zum Umsteigen für Sie, also wie ein Transit zu werten. Das und dass Sie beruflich reisen, sollte ausreichen, um Sie von der Verpflichtung zur Quarantäne zu befreien. Aber genau weiß ich das auch nicht – da müssten Sie die Senatsverwaltung für Gesundheit in Berlin anrufen!

Ich: Danke für Ihre positive Einschätzung und auf Wiederhören!

Anruf bei der… (Ihr wisst schon). Wieder drei Weiterleitungen. Schließlich erhalte ich die gleiche Einschätzung wie vom Gesundheitsministerium.

Ich: Wird das denn in Berlin bei der Ankunft überprüft, woher ich komme und so?

Senatsverwaltung: Das weiß ich gar nicht. Formal wären Sie verpflichtet, sich von sich aus bei der örtlichen Behörde zu melden und sich in Quarantäne zu begeben – wenn Sie sich zuvor in einem ausländischen Risikogebiet aufgehalten hätten. Aber das haben wir ja anders definiert – es sollte keine Probleme für Sie geben.

Ich bin sowas von beruhigt, Freunde…

Ich freue mich aber auf den ersten Jacky-Cola im Hotel. Ich hoffe, die haben Sky, damit ich Fußball gucken kann…

Ich übertrage das Bundesligaspiel 1. FC Union Berlin gegen SC Freiburg am Samstag ab 15 Uhr in der baden.fm-Bundesligashow.

 

Das Fußballspiel

(Mein 986. SC-Livespiel am Radio-Mikrofon)

Die erste halbe Stunde des Spiels, dass im Dunkelrot-Risikogebiet Berlin-Köpenick skurriler Weise vor 4.500 Zuschauern ausgetragen wurde, waren sportlich eine ziemliche Katastrophe. Union spielte hellwach, gewohnt energiegeladen und gewohnt körperbetont aggressiv. Man könnte jetzt auch jeweils eine Steigerungsform nehmen, um den Vergleich mit dem SC vorzunehmen: Union spielte wacher, energiegeladener, körperbetonter und aggressiver als der Sport-Club – Letzterer blieb zunächst vieles schuldig. Günter sah von seinem direkten Gegenspieler, dem dunkelhäutigen Niederländer Becker, nur die Hacken, Santamaria stand scheinbar neben sich, wirkte unsicher und fahrig, nach vorne ging gar nichts. So kam nur Union zur Freude der zum Schweigen verurteilten aber mit allerlei Krimskrams zum Lärm machen angereisten Fans, ein paar Mal vor das gegnerische Tor, versprühte in solchen Situationen aber nicht wirklich Torgefahr.

In der 34. Minute dann eine am Anfang kuriose, später fußballerisch hochwertige und vor allem sehr erfolgreiche Aktion – das Highlight des SCF in 90 Minuten Köpenick: Ein Berliner Verteidiger will einen möglichen Eckstoß für Freiburg verhindern und stoppt den  Ball direkt an der Eckfahne; ein gewisser Schwung lässt den Spieler aber ins Toraus springen, während der Ball an der Fahne liegen bleibt.  Höler hat aufgepasst und schnappt sich die Kugel. Jetzt geht es ganz schnell und ausnahmsweise an diesem Nachmittag auch mal präzise beim SC: Von Höler zirkuliert der Ball über Sallai, Santamaria und Günter von rechts nach links zu Grifo. „Vince“ dringt in den Strafraum ein, nimmt Maß und zirkelt den Ball unter Zuhilfenahme des Innenpfostens ins Netz. Endlich hatte mal etwas funktioniert bei den bis dahin fast wirkungslosen Gästen – 0:1, der Spielverlauf schien auf den Kopf gestellt.

Im Gegenzug bekommt Andrich im Mittelfeld den Ball. Sallai steht daneben und lässt den Berliner, der vor Wochen auch mal als möglicher Neuzugang des SC gehandelt wurde, davontraben. Andrich, dem sich auch sonst niemand in den Weg stellt, nutzt die Gunst der Stunde und zieht aus rund 22 Metern ab. Heintz fälscht die Kugel noch unglücklich ab und macht das Spielgerät dadurch für Müller im Tor praktisch unerreichbar.  Der Ausgleich fiel aus einer Chance, die eigentlich keine war. Das war mega-ärgerlich, diente aber ein Stück weit der Gerechtigkeit im Stadion an der „Alten Försterei“.

Bis zur Halbzeit plätscherte das Spiel nun ohne große Höhepunkte dahin. Nur kurz vor dem Pausenpfiff gab es noch einen Aufreger für den Livereporter am Mikrofon: In der 45. Minute gelang dem SC endlich mal wieder ein aussichtsreicher (Konter-)Angriff, ich konnte das Tor schon fühlen, als auch noch Hölers Pass beim freistehenden Petersen ankam. Dann passierte Nils aber ein Malheur bei der Ballverarbeitung, die Abwehr rauschte heran und die Chance war verpufft. Shit happens…

Die Phase, die in vielen TV-Nachberichten vernachlässigt oder oberflächig kommentiert wurde, ist die halbe Stunde von der 46. Bis zur 75. Minute. In dieser Phase dominierte der SC, wirbelte vor allem mit Sallai und Höler und hatte einige gute Chancen. Einmal verpasst es Sallai abzuspielen und schießt gegen das Außennetz – wenig später hat der Ungar den Blick für den besser postierten Mitspieler, Hölers Schuss wird aber von Berlins Torwart Luthe genauso gehalten wie ein Distanz-Kracher von Höler ein paar Minuten später. Urs Fischer, der Schweizer Trainer des 1. FC Union, sieht natürlich, dass und wie seine Mannschaft „wackelt“. Die Reaktion des gebürtigen Zürichers: Er wechselt in der 71. Minute gleich drei Spieler aus – und sorgt für neuen Union-Schwung in der Schlussphase. Die Gastgeber übernehmen das Zepter wieder von den Freiburgern und sind in der Schlussviertelstunde dem Siegtreffer näher als der SC. Am Ende konnten auch die eingewechselten Kwon, Jeong und Demirovic nicht mehr viel ausrichten. Nach zwei Minuten „Extra-Time“ pfeift Schiedsrichter Robert Schröder ab. Unentschieden, 1:1 - keiner jubelt. Ich kann mir nicht helfen, ich kann mich in der Bundesliga noch immer über einen Auswärtspunkt freuen.  Das habe ich dann auch.

 

Das Nachspiel

Während die Union-Fans ihre Mannschaft feierten und auch Trainer Urs Fischer von einer außergewöhnlich guten Partie sprach, wird mir persönlich das Spiel eher als eines der schlechteren des SC in Erinnerung bleiben. Irgendwie tun sich die Jungs schwer mit der körperbetonten Spielweise von Union – das war ja in allen Spielen der letzten paar Jahre so.

Bemerkenswert fand ich die Leistung des für Santamaria eingewechselten Talents Lino Tempelmann. Da klopft einer an das Tor zur Bundesliga, der seinen Weg machen wird. Schon „Tempels“ erste Aktion war ein gewonnener Zweikampf mit Ballgewinn und so ging es gerade weiter. In der Schlussphase hätte der Blondschopf beinahe noch per Kopf Kwon den Ball zum Siegestreffer aufgelegt, die Kugel rutschte aber nicht durch, sondern wurde abgeblockt.

Auch Christian Streich fand Tempelmanns mutigen Auftritt „bemerkenswert“, wie er mir auf Nachfrage in der PK bestätigte. Toll, dass der SC-Trainer solche Talente in der Hinterhand hat, die sich in aller Ruhe entwickeln können. Bei seiner Bundesligapremiere, letzte Saison gegen Leipzig, schien Tempelmann noch etwas überfordert, wurde früh ausgewechselt – es folgten zahlreiche Verletzungen, eine sogar beim Warmmachen in der Allianz-Arena, als er für das Gastspiel bei den Bayern in der Startelf stand. Am Samstag in Köpenick hat Lino Tempelmann allen gezeigt, dass mit ihm zu rechnen ist. Allerdings ist sicher auch wieder mit Santamaria zu rechnen. Der Franzose hatte gegen Union zwar ein paar schwächere Szenen, war aber an der Vorbereitung des Führungstreffers mit einem klugen, präzisen Pass beteiligt und hat ja davon abgesehen auch in Freiburg längst gezeigt, dass er viel besser Fußball spielen kann, als es ihm am Samstag gelungen ist. Ähnlich äußerte sich Streich auf meine entsprechende Frage.

Nun zum Resterlebnis „Auswärtsspiel Union“. Vor der Partie hatte ich eine unruhige Nacht… Hier mein bei Facebook nebst Foto aus meinem Hotelzimmerfenster auf den mutmaßlichen Tatort geposteter Kurzbericht:

„TATORT und Blick aus meinem Hotelzimmer. Wurde heute Nacht gegen 4 Uhr durch einen (oder zwei) Schüsse und Stimmen geweckt. Etwas später fiel noch ein Schuss. „Marodierende Jugendliche mit Schreckschusspistole“ dachte ich.
Leicht genervt schlief ich wieder ein. Noch im Halbschlaf, gefühlt deutlich später als der Lärm, hörte ich Martinshörner - Großstadt halt.
Heute Morgen dann, ich ging um den Parkplatz meines Mietwagens zu bezahlen, alles voll Polizei; Spurensicherung; Tatortfotografin. True Crime... ich fragte einen Beamten, ob die Schüsse denn tatsächlich echt waren - „was, Sie haben Schüsse gehört? Wie viele? In welchen Zeitabständen? Kommen Sie doch bitte mal mit!“
Schon war ich Zeuge und wurde im Foyer meines Hotels von der Kripo vernommen. Der Punkt war, dass nur eine Geschosshülse gefunden worden war. Dass es nach einiger Zeit einen zweiten Schuss gegeben hatte, steht aber fest. Das erfuhren die Beamten von mir.
Big City halt...
Offenbar ist einem Mann ins Bein geschossen worden. Gerüchtweise kamen die Beteiligten aus einem Club, gegenüber vom Hotel (Corona-Sperrstunde???)
Fazit: In Bad Krozingen ist es nachts ruhiger...“ (Zitatende)

 

Die zweite Nacht war ruhiger. Zum Glück. Da mein Heimflug erst um 14 Uhr war, ließ ich mir mit Aufstehen, Frühstück im Jogginganzug und ausgiebiger Morgentoilette richtig viel Zeit. Ausgeruht und entspannt fuhr ich zur Tanke, Diesel nachladen, und dann zum Flughafen Berlin-Tegel, den ich vermutlich ein letztes Mal besucht habe. Tegel steht vor der Schließung, vor allem wenn der neue BER tatsächlich mal funktioniert. Schade eigentlich – früher Tempelhof, wo ich in den ersten Jahren meiner Reportertätigkeit oft gelandet bin, und Tegel – die beiden Flughäfen lagen bzw. liegen sehr zentral in Berlin. Schönefeld ist weit draußen, da habe ich ja quasi auf die Innenstadt verzichtet und bin vor Ort, in Flughafennähe geblieben – BER  ist auch in der Ecke, also schon Brandenburg. Also bye bye Tegel und mal schauen, was die Zukunft bringt.

Während ich zurück in heimischen Gefilden durch den EuroAirport stolzierte, einen Punkt für den SC im Gepäck, kassierte Arminia zwei Gegentreffer in Wolfsburg, wie ich über meine apple-airpods live mitbekam. Schon zuhause habe ich dann am Fernsehschirm verfolgt, wie Arminia in der zweiten Halbzeit fast noch der Ausgleich gelungen wäre.

Am Montag entstand dann in der WZO-Redaktion die SC-Kolumne für die Wochenzeitungen (erscheint morgen in gedruckter Form). Hier ist sie:

 

SC INTEAM

Samstag, 17. Oktober, SC Freiburg gegen Werder Bremen 1:1 – Freiburg war über weite Strecken der Begegnung die bessere Mannschaft und hätte den Sieg mehr verdient gehabt als Bremen.

Samstag, 24. Oktober, Union Berlin gegen SC Freiburg 1:1 – Union war über weite Strecken der Begegnung die bessere Mannschaft und hätte den Sieg mehr verdient gehabt als Freiburg.

Fazit: So ist Fußball, erst recht in der Bundesliga – die Entscheidungsfindung häufig eng – es gibt Unentschieden, über die man sich ärgert und solche, mit denen man ganz gut davonkommt. Schämen muss sich der SC Freiburg für  den Auswärtspunkt aus Berlin-Köpenick sicher nicht.  Hinzu kommt: Das überraschende 0:1 durch Vincenzo Grifo nach einer guten halben Stunde hatte in seiner Entstehung und im Abschluss durchaus fußballerische Klasse offenbart. Und was in den Nachbetrachtungen der verschiedenen Fernsehanstalten geflissentlich ausgespart wurde, ist, dass die Gäste aus dem Schwarzwald mit Beginn der zweiten Halbzeit durchaus dominierten und zum Beispiel durch Roland Sallai und Lucas Höler gute Abschlüsse hatten – da „roch“ es eine Zeit lang nach dem dritten Auswärtssieg im vierten Pflichtspiel auf des Gegners Platz, ganz so weit sollte es aber nicht kommen; auch, weil der 1. FC Union Berlin vor 4.500 zahlenden Zuschauern im Stadion an der „Alten Försterei“ das bessere Ende der Partie für sich hatte. Mit zahlreichen Wechseln – insgesamt fünf – wirbelte Unions  Schweizer Trainer Urs Fischer die eigene Mannschaft und den SC  durcheinander und  schaffte die erhoffte Wende; plötzlich war Union wieder am „Drücker“. In der Selbstwahrnehmung hatten die Köpenicker gegen Freiburg  „mit extrem hohem Aufwand“ eine Top-Leistung geboten. Das Ergebnis stellte sie freilich nicht zufrieden.

Einmal mehr bewahrheitete sich am Samstag, dass die athletische und körperbetonte Spielweise der „Eisernen“ dem SC nicht liegt. Einige Freiburger Leistungsträger konnten sich in Köpenick überhaupt nicht wie gewohnt in Szene setzen. Daraus resultierte zum Beispiel die Auswechslung von Baptiste Santamaria.  Richtig Freude bereitete hingegen der eingewechselte Lino Tempelmann in seinem zweiten Bundesligaspiel. Der 21-Jährige aus der Freiburger Fußballschule stieg mit einem knallharten, gewonnenen Zweikampf nebst Ballgewinn ein und machte in der Folgezeit genauso weiter. „Tempel“ spielte ein Stück weit wie die Gastgeber – hellwach, energiegeladen und aggressiv. Neben dem Punktgewinn war der Hinweis auf das Talentpotenzial im Kader des SC das Wertvollste, was die Reisedelegation aus Südbaden wieder mit in den Schwarzwald nahm.

Der Gegner am kommenden Sonntag – um 15.30 Uhr geht es gegen Bayer Leverkusen (live bei Sky und baden.fm) – wird den SC auf ganz andere Art und Weise fordern als Union. Interessant wird es in jedem Fall. (Zitatende)

 

So, Freunde, ich bin raus – aber nur bis Donnerstag / Freitag, dann gibt es das „Vorspiel“ zum Leverkusen-Match. Bleibt gesund!