7. Spieltag der Fußball-Bundesliga, Hertha BSC gegen SC Freiburg

Samstag, 2. Oktober 2021, 15.30 Uhr *

Olympiastadion, Berlin *

Hertha BSC Berlin - SC Freiburg

 

Das Vorspiel

An Donnerstag, 9. Mai, erinnere ich mich höchst ungern. Der SC bot im Nachholspiel bei Hertha BSC eine seiner schwächsten Saisonleistungen und ich war als ständiger Begleiter des SC – und auch als Mitglied und Anhänger der im Abstiegskampf befindlichen Arminia aus Bielefeld – restlos sauer. Hertha 3, SC 0. Ein Katastrophenspiel. Im Tagebuch schrieb ich damals höchst aufgebracht: „Ich war bedient, verteilte in der Liveanalyse bei baden.fm eine kollektive Schulnote 5 an den SC und kritisierte: „Die Spieler mögen retournieren, ich säße hier oben mit Übergewicht auf der Tribüne – aber – so wie der SC sich heute hier präsentiert hat, darfst Du Dich in einem Saisonfinale, in dem es für viele Vereine um das Überleben in der Bundesliga geht, nicht präsentieren. Ich schäme mich als SCler vor den Freunden in meinem Heimatverein Arminia Bielefeld, die heute auf den SC gehofft hatten.““ Ihr werdet Euch fragen, warum die doppelten Abführungsstriche – nun es war ein Zitat im Zitat… Denn auch im Radio hatte ich arg gemeckert.

Morgen, am Samstagnachmittag, geht es für den SC und für mich wieder zur Hertha. Die Berliner sind mit großen Erwartungen und drei Niederlagen gegen Köln, Wolfsburg und Bayern in die Saison gestartet. Dann folgte ein kurioser Auswärtssieg bei Aufsteiger Bochum – eigentlich war der VfL die bessere Mannschaft – und ein im Olympiastadion euphorisch gefeierter 2:1-Heimsieg gegen den anderen Aufsteiger, Greuther Fürth. Ernüchternd war dann vor einer Woche die 6:0-Klatsche in Leipzig. Und jetzt kommt Freiburg…

Natürlich wird Hertha kratzen, beißen und spucken, um aus dieser momentanen Rolle, eine der größten Enttäuschungen der noch jungen Saison zu sein, herauszukommen. Immerhin ist ein Gutteil der irrwitzigen Windhorst-Millionen schon „verballert“ und trotzdem scheint die Mannschaft keine positive sportliche Prognose zu nähren. Es sei denn… Hertha brächte dem Gegenentwurf SC Freiburg die erste Saisonniederlage bei und schriebe so endlich mal wieder positive Schlagzeilen (außer in Baden).

Schlechte Spiele wird es immer mal geben in einer Saison – auch für den SC Freiburg. Das gehört zum Sport. In der vergangenen Saison haben die Jungs zum Beispiel gegen Mainz (beide Spiele), in Bielefeld und Berlin enttäuscht. In der momentanen Phase empfinde ich das Team aber als stabil genug, um Hertha zu überstehen. Deshalb prognostiziere ich mindestens einen Punkt für den Sport-Club im Olympiastadion und lasse den Rasierer zu Hause. Insider wissen, ich habe gerade eine Wette mit mir selbst – ich rasiere mich nicht mehr, bis der SC mal ein Bundesligaspiel verliert. Wenn die Jungs jetzt Hertha überstehen, wird es langsam lustig, denn danach folgt ja eine Länderspielpause – und ich sehe jetzt schon ein bisschen aus wie Rübezahl…

Ich könnte mir gut vorstellen, dass Trainer Christian Streich in Berlin auf dieselbe Startelf zurückgreift, wie gegen den FC Augsburg, als der SC ja bekanntlich groß aufgespielt hat. Da Streich sein Team taktisch immer speziell auf den jeweiligen Gegner ausrichtet, kann es aber auch sein, dass er etwas verändert. Deshalb halte ich mich bei Personal-Prognosen heute mal zurück. Ich sage einfach mal: Bezüglich des Resultats habe ich ein gutes Gefühl. Dieselben Fehler wie im Mai – unter anderem zu große Abstände zu den Gegenspielern, fehlende Aggressivität, keine Zielstrebigkeit in den Offensivaktionen – werden die Freiburger Jungs nicht noch einmal machen.

Mein persönlicher Countdown für das Hertha-Spiel hat längst begonnen. Heute Morgen habe ich in der baden.fm-Morgenshow an den Katastrophen-Kick im Mai erinnert, die schwierige Situation von Hertha  umrissen und meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass der SC in der aktuellen Saisonphase die nötige Stabilität mitbringt, um Hertha ungeschoren zu überstehen – dass der Bart also weiter sprießen wird. Dann ging es für den Vormittag in die WZO-Redaktion, wo ich die nächste Ausgabe des ReblandKuriers detailliert geplant und vorbereitet habe, um mich dann ans Reportertagebuch zu setzen und diesen Text zu verfassen.

Da ich mir heute ein kleines Frühstück gegönnt habe, fällt das Mittagessen aus (bin bei meiner aktuellen Abnehm-Aktion derzeit bei -18 kg) und ich werde spätestens um 13 Uhr ins Auto steigen und gen EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg starten. Um 15 Uhr startet mein EasyJet-Flieger nach Berlin. Mein kleines persönliches Gepäck hat zusammen mit der Übertragungstechnik und dem iPad in den kleinen, als Handgepäck akzeptierten, Rollkoffer gepasst. 3G-Nachweis ist im Handy, Führerschein in der Jackentasche – bloß nichts vergessen. Ich lande erstmals bei meinen vielen Reisen in die Hauptstadt auf dem neuen Berliner Flughafen. Dort habe ich einen Mietwagen reserviert. Mit dem geht es dann in ein mir bislang noch nicht bekanntes Hotel, das „Best Western Plus Plaza Berlin Kurfürstendamm“ – der Laden war trotz der vier Sterne ein Schnäppchen bei booking.com. Wenn ich dort angekommen bin, ist auch für mich Wochenende… Erstmal…

Danach werde ich nicht viel – aber dafür betont gut – essen, vielleicht ein Weinchen oder zwei drei Jacky-Cola Zero und dann Köln gegen Greuther Fürth gucken; dafür habe ich ja mein iPad mit und DAZN abonniert.

Ob das dann ein gelungenes Wochenende in Berlin wird, liegt primär an unseren Jungs – wenn die morgen gewinnen… oder zumindest einen Punkt holen, kann nichts mehr schief gehen. Rückflug ist erst am Sonntagnachmittag…

Ich kommentiere das Bundesligaspiel Hertha BSC gegen SC Freiburg am Samstag ab 15 Uhr live bei baden.fm.

 

Das Fußballspiel

(Mein 1022. SC-Spiel live am Radio-Mikrofon)

25.000 Zuschauer waren zugelassen -  18.400 verloren sich dann in der riesigen Schüssel namens Olympiastadion, darunter gut 1.000 Anhänger des SC Freiburg, die am Ende mit ihren Lieblingen zusammen die „Humba“ feierten, was man sonst eigentlich nur von erfolgreichen Heimspielen kennt.

Der Auftritt der Freiburger in Berlin, übrigens exakt in derselben Formation wie beim 3:0 gegen Augsburg, war gekennzeichnet von großer Laufbereitschaft. Insbesondere die drei in der Startelf aufgebotenen  Offensivspieler Grifo, Jeong und Höler liefen die Berliner ohne Unterlass hoch an und erstickten (fast) jeden Versuch eines konstruktiven Berliner Aufbauspiels. Der SC hatte nach ein, zwei Schrecksekunden in der Anfangsphase abgesehen, die volle Spielkontrolle. Eigene „Offensivschmankerl“ waren zwar im Ansatz zu erkennen und machten Lust auf mehr – so richtig zur Entfaltung kam aber auch der SC nicht. Was blieb sind die Standards und da hat Freiburg bekannte Stärken, Berlin wiederum defensiv bekannte Schwächen. In der 17. Minute fliegt ein von Christian Günter getretener Eckball in den Strafraum, wo sich Philipp Lienhart im Kopfballduell gegen Selke durchsetzt und aus kurzer Distanz über Schwolows Kopf hinweg zum 0:1 einköpft.

In der Folgezeit, eigentlich bis zur 70. Minute, verwaltet der SC die knappe Führung relativ problemlos, scheint dem 0:2 deutlich näher als Hertha dem Ausgleich. Ich weise die baden-fm-Hörer darauf hin, bleibe aber vorsichtig, denn „solange es nur 0:1 steht, ist jede Spielentwicklung möglich – das ist brandgefährlich!“ Als hätte ich es geahnt: In der 70. Minute spielt Hertha BSC plötzlich schnell und zielstrebig. Zwei flache Diagonalpässe hebeln die Freiburger Deckung aus und am Ende schiebt der für Selke eingewechselte Piatek zum 1:1 ein. Und plötzlich erwacht das Stadion und auch das Team der Gastgeber: Vier Minuten nach dem Ausgleich wehrt Flekken eine Flanke nach vorne ab, Ekkelenkamp schießt aus der Luft, Nicolas Höfler fälscht ab – Lattenoberkante… Glück gehabt. Freiburg schwimmt scheinbar aber der Spuk dauert nur sechs Minuten. Dann wechselt Christian Streich seine drei müde gelaufenen Offensiven (Grifo, Jeong, Höler) aus und bringt mit Sallai, Demirovic und Petersen drei frische Angreifer mit demselben Arbeitsauftrag wie die Vorgänger. Und schon stimmt das Kräfteverhältnis auf dem Platz wieder wie in den ersten 69 Minuten. Mehr noch: Zwei Minuten nach seiner Einwechslung gelingt Nils Petersen mit einem Fallrückzieher nach einer weiteren Günter-Ecke und einem Abpraller von Boyata ein Traumtor zur 1:2-Führung. Es war der Siegestreffer, denn der SC ließ in der verbleibenden knappen Viertelstunde (fast) nichts mehr anbrennen und Hertha hatte nicht die Qualität, ein zweites Mal auszugleichen. Pfiffe begleiten die Berliner nach dem Abpfiff in die Kabine. Und Freiburg? … Die „Humba“ (siehe oben).

 

Das Nachspiel

Zufrieden packte ich meine Unterlagen und die Übertragungstechnik in den Rollkoffer, den ich wegen der Flugreise als einziges (Hand-)Gepäck in Berlin dabei hatte und begab mich im „Stadion der langen Wege“ über den äußeren Ring und die sogenannte Pressetreppe in die Katakomben, wo – man glaubt es kaum – eine Pressekonferenz in Präsenz abgehalten wurde. Das tat nach der langen coronabedingten Digital-PK-Zeit richtig gut. Im Anschluss hatte ich auch noch Gelegenheit zu einem Trainerinterview mit Christian Streich – so wie einst, vor Corona. Ob die üblichen Adressaten, also die Redaktion der SC-Homepage oder die Nachrichten-Redaktion von baden.fm den kurzen Talk genutzt haben, weiß ich gar nicht, die waren vermutlich alle erstmal überrascht, dass es ein solches Interview plötzlich wieder gab.

Nach getaner Arbeit ging ich zufrieden zu meinem Mietwagen, einem Citroen Cactus, auf den nahen Presseparkplatz und fuhr zu meinem Hotel auf dem Ku’damm. Da ich außer dem Frühstück – wie geplant – nichts gegessen hatte, gönnte ich mir im „El Dorado“, dem Steakhouse im selben Gebäude, einen halben Liter Rioja und ein feines Abendessen.

Während mein Kopf recht klar blieb, hat mein, nach 18 Kilo Gewichtsabnahme, mutmaßlich geschrumpfter Magen den vielen Wein nicht so gut vertragen. Ich wurde jedenfalls  immer wieder wach, hatte Sodbrennen und verbrachte eine insgesamt recht unruhige Nacht. Morgens war ich ein wenig gerädert. Alter Mann halt… Aber immerhin: Die drei Punkte waren immer noch auf dem Konto „meines“ SC. So ging ich trotz allem gut gelaunt zum Frühstück und fuhr dann beschwingt zum BER – dem neuen Berliner Flughafen.

Der 70er Jahre-Look im Innern war mir schon am Vortag aufgefallen und dass von drei großen Fahrstühlen im Parkhaus gleich zwei defekt waren, passt ins Bild des Pannenflughafens. Nach der Rückgabe des Mietwagens stellte ich fest, dass erstens, ein mehre hundert Meter langes Laufband defekt war – also selber laufen, warum auch nicht (passte aber auch wieder ins Bild) und dass es zweitens keine Hinweisschilder für „Abflug“ gab, was in dem Parkhaus für die Rückgabe von Mietwagen ja eigentlich sinnvoller wäre als die Hinweise für „Ankunft“.  Ich sagte mir aber, dass es ja vermutlich nur eine Frage der Etage war, ob die Funktion Ankunft oder Abflug hieß und behielt mit dieser Vermutung Recht.

Als ich nach Sicherheitscheck und dem ganzen Kram im Flieger saß, ahnte ich noch nicht, dass dies länger der Fall sein sollte als geplant. Irgendwann, etwa eine halbe Stunde nach der geplanten Abflugzeit, wurde durchgegeben, dass ein Fluggast offenbar nicht bereit war, den von EasyJet vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, auch nach intensivem Zureden nicht. So verstrichen weitere 20 Minuten, bis die Polizei auftauchte und den jungen Schnösel unter dem Applaus der Mitreisenden – einige stießen auch Beleidigungen gegen den Maskenverweigerer aus - aus dem Flugzeug brachte. Dann hieß es, der „Slot“ sei verpasst worden und der nächste zugewiesene „Slot“ zum Starten sei erst in 30 Minuten möglich. So begann die eigentliche Rückreise erst 1,5 Stunden nach dem ursprünglich vorgesehen Zeitpunkt. Ärgerlich. Ich hörte meinen Hörbuch-Roman „Der Polizist“ von John Grisham und bemühte mich, mich nicht zu ärgern. „Wir“ hatten schließlich gewonnen.

Heute ist Montag – die Berlinreise ist verdaut und nächstes Wochenende ist Länderspielpause… Der Bart wächst weiter.

Heute Morgen habe ich meine Kolumne "SC INTEAM" für den RebalndKurier geschrieben. Hier kommt sie als Vorveröffentlichung:

 

SC INTEAM

Beim emotionalen Auszug aus dem Dreisamstadion an der Schwarzwaldstraße, hatte Cheftrainer Christian Streich der Hoffnung Ausdruck verliehen, sein Verein und das Umfeld möge die Demut, die den Sport-Club stets ausgemacht habe, mit herüberretten ins neue Europa-Park Stadion an der Achim-Stocker-Straße. Und wird im neuen Stadion auch alles etwas größer, moderner und zeitgemäßer sein, schon die Postanschrift sollte Garant für diese Demut sein. Sportlich wurde der SC Freiburg der Forderung des Trainers schon beim Auswärtsspiel in Berlin gerecht. Nicht vom Ergebnis her, das 1:2 bei Hertha war schlicht erfreulich, sondern durch die Art und Weise, in der dieser Sieg möglich gemacht wurde: Eben nicht durch Schönspielerei, sondern durch knüppelharte Arbeit, sprich durch überragende Laufbereitschaft und Teamwork im besten Wortsinn hielt der SC den „Big-City-Club“ in Schach. Als die Kräfte etwas erlahmten, Hertha mit dem ersten guten Berliner Angriff der Partie zum Ausgleich kam und dann drauf und dran war, das Spiel sogar zu drehen, wechselte Christian Streich die komplette Offensive, die durch ihr permanentes hohes Anlaufen, Herthas Kreativität schon im Keim erstickt hatte.   Das sechs Minuten wehrende Berliner Strohfeuer war damit gelöscht. Denn nach Grifo, Jeong und Höler, die eine gute Stunde lang gerannt waren „wie die Salzmänner“ (Streich), übernahmen nun Sallai, Demirovic und Petersen den (lauf)intensiven Job und stellten die alten Kräfteverhältnisse auf dem Platz wieder her. Hinzu kam die großartige Torjäger-Qualität von Nils Petersen, der nach einem Eckball von Kapitän Günter – ein solcher hatte auch schon das 0:1 eingeleitet – mit einem spektakulären Fallrückzieher das Siegestor erzielte. Rückblickend hat der SC Freiburg vor gut 18.000 Zuschauern im riesigen Olympiastadion nur wenige Minuten die Kontrolle abgegeben. Ansonsten wirkte das Streich-Team, ohne fußballerisch zu brillieren, stets überlegen. Die daraus resultierende Momentaufnahme hat herausragende Aspekte: Platz vier in der Tabelle, einzige noch ungeschlagene Mannschaft, kein Bundesligist hat weniger Gegentore kassiert als der SC Freiburg. Christian Streich stellte fest, dass es zurzeit ganz glücklich laufe für sein Team aber „die anderen Zeiten werden kommen – darauf bereite ich mich vor.“ Damit lebt der Trainer die Demut vor, die er einfordert. (Zitatende)

 

Am Donnerstag wird dann Einzug ins neue Europa-Park Stadion gefeiert. Der SC kickt gegen den Zweitligisten FC St.Pauli. Ich denke, das ist ein Grund zur Freude. Ich wünsche uns allen dort wunderbare Momente – auf viele erfolgreiche Jahre im Stadion an der Achim-Stocker-Straße 1.