9. Spieltag der 60. Saison der Fußball-Bundesliga, Hertha BSC gegen SC Freiburg

Sonntag, 9. Oktober 2022, 17.30 Uhr *

Olympiastadion, Berlin *

Hertha BSC - SC Freiburg *

 

 Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Donnerstagabend: Natürlich überwiegt der Jubel am Ende der Partie. Auch mir ist erst daheim, bei Sichtung der Fernsehbilder vom Europa League Spiel SC Freiburg gegen FC Nantes, klar geworden, wie fahrlässig der SC ganz am Schluss mit seiner 2:0-Führung umgegangen ist.

Zunächst war aber eitel Freude angesagt – drittes Spiel, dritter Sieg in der Europa League. Das war so ganz sicher nicht zu erwarten. „Wir müssen das genießen, denn es ist außergewöhnlich“, denke ich mir und werde es am nächsten Morgen bei baden.fm sagen. Vermutlich wird man sich noch Jahrzehnte an diese Wochen im Herbst 2022 erinnern, als der SC Europa aufmischt und in der Bundesliga um die Tabellenführung spielt.

Vor dem Eingang zur Mixedzone  herrscht Aufregung. Der UEFA-Beauftragte, Typ „chef de gare“, wie die Franzosen sagen, frei übersetzt „Bahnhofsaufseher“, hat die Kollegen von Presse und Hörfunk zunächstmal ausgesperrt um die sogenannten „Rightholder“ also die Sender mit den Fernsehrechten Priorität zu geben. Die französischen Kollegen flippen fast aus, fürchten, ihre enttäuschten Spieler könnten sich ohne Statements abzugeben, verdrücken, weil keiner kommt und fragt. Eine solche Regel mit der Bevorzugung der Rechteinhaber aus dem Fernsehbereich gäbe es weder in Nantes noch in Baku versichern mir die Kollegen und drohen einen Skandal heraufzubeschwören. Ich verweise auf das Hausrecht der UEFA an dem Abend und auf den „Bahnhofsvorsteher“ im Sacko mit UEFA-Emblem, der wie ein Dirigent in der Mixedzone steht. Florian, ein Kollege vom staatlichen Regionalsender „France Bleue Loire-Atlantique“ fordert ein Gespräch mit dem UEFA-Mann und spricht in englischer Sprache auf ihn ein. Schließlich werden die französischen Kollegen eingelassen und ich gehe einfach mit hinein. Freiburgs Jungs kommen gerade erst vom Jubelsturm an der Südtribüne und der Ehrenrunde in die Mixedzone. Ich rufe und winke „Chico“ Höfler heran, zeichne ein schnelles Interview auf und schicke es ins Funkhaus, bevor Benny Resetz, Moderator unserer gemeinsamen Europa League Show, in den Feierabend geht. Benny hat inzwischen seinen Bericht fürs Internet geschrieben und veröffentlicht ihn auf www.baden.fm gemeinsam mit dem Höfler-Audiointerview.

Für mich geht es derweil in der Mixedzone weiter. Der beste Freiburger an diesem Abend, Kofi Kyereh kommt vom TV-Interview und ich bitte ihn auch zu mir ans Mikrofon. Gewohnt sachlich aber auch mit einer hörbaren Zufriedenheit gibt der Schütze des wichtigen 1:0 Auskunft. Zwei Spielerinterviews – das reicht mir. Ich verziehe mich aus der engen Mixedzone in den Pressekonferenzraum, wo wenig später die PK mit dem Gästetrainer beginnt. In Frankreich ist es scheinbar nicht üblich, dass der Coach erstmal ein Statement abgibt – die Kollegen müssen ihn von Beginn an mit Fragen bombadieren. Die Aussage, dass Freiburg die bessere Mannschaft war und verdient gewonnen hat, fällt nicht. Der Ballverlust vor dem 1:0 habe dem Spiel seine Richtung gegeben, beim 2:0 hätte seine Abwehr den Fehler gemacht, nicht anzugreifen, wohl um keinen Elfmeter zu riskieren, wenn der Angreifer getroffen worden wäre, aber entscheidend für all das was folgte sei das 1:0 gewesen, gibt Antoine Kombouaré zu Protokoll. Er sei enttäuscht, wegen des Ergebnisses, freue sich aber auf den Dialog mit seinen Spielern, da er auch gute Ansätze und am Ende zwei Großchancen für Nantes gehen hätte. Jetzt wolle man am Sonntag, beim Derby in Rennes, endlich auch ein gutes Ergebnis einfahren. Dann geht der groß0 gewachsene Coach und frühere Spieler des FC Nantes mit einem freundlichen Gruß an alle Anwesenden seiner Wege.

Wenig später kommt Pressesprecher Sascha Glunk mit Interims-Chefcoach Patrick Baier um die Ecke. Der sympathische Inhaber einer UEFA-Trainerlizenz bedankt sich bei allen, denn es sei ein Sieg aller gewesen, die an einem Strang gezogen hätten. Baier entschuldigt sich bei den Spielern, denen er keinen Einsatz hat ermöglichen können. Dann steht Baier mir in einem Interview Rede und Antwort. Als ich ihn Frage, ob er Spaß an der Rolle gefunden habe und sich auf Sonntag in Berlin freue, wenn er mutmaßlich erneut die Chefrolle übernehmen muss, kontert er mit den Worten „guter Versuch“ – er lässt erkennen, dass es stressig ist, in der Verantwortung am Spielfeldrand zu sitzen oder zu stehen. Glückwunsch, Patrick Baier! Er hat jetzt ein Europa League Spiel gecoacht und gewonnen. Sollte auch der Chef noch anrufen und gratulieren, möge er ihm beste Genesungswünsche übermitteln, bitte ich den Interimscoach – er verspricht es. Ich verschicke auch dieses Interview an die üblichen Adressaten und schlendere gelassen und zufrieden zurück an meinen Kommentatorenplatz – in der Europa League eine Reihe tiefer als sonst, auch wenn mein eigentlicher Arbeitsplatz von RTL + oder jemand anderes nicht wirklich gebraucht wurde. Egal, ich hatte beste Sicht, funktionierende Technik und der SC hat gewonnen.

Nächste Station: Das Berliner Olympiastadion. Ich packe mein Köfferchen und ziehe es zum Presseparkplatz. Wie schon vor dem Spiel, als ein Fanmarsch der rund 2.000 Schlachtenbummler aus Nantes die Anreise erschwerte und etwa um eine Stunde verzögerte, müssen wir – ich hatte meinen Sohn Ben noch mit im Auto – auch jetzt warten. Als wir irgendwann spät nach Mitternacht zu Hause sind, bin ich noch immer voller Adrenalin. Ich mixe mir einen Cuba-Libre und schaue mir bei RTL+ (hatte für meine Restfamilie ein kostenloses einmonatiges Probeabo abgeschlossen) die Highlights der Partie an. Die beiden Großchancen für Nantes, ganz zum Schluss, ärgern mich. Dann zeichne ich meinen Nachbericht für den baden.fm-Früstücksclub auf, verschicke ihn per E-Mal ans Funkhaus, genehmige mir einen zweiten Cuba Libre und eine Folge mit jungen Paaren, die sich getrennt in zwei verschiedenen Villen mit Verführerinnen und Verführern einem Treuetest unterziehen. Ganz sicher gescriptet und letztlich belanglos, aber mit netten Bikinimädchen, vorteilhaft ins Bild gesetzt. Vielleicht das Richtige, um runterzukommen, nach diesem aufregenden Europa-League-Spiel.

Ich glaube, es war viertel nach zwei als ich im Bett lande.

Heute ist Freitag und das Bundesligawochenende beginnt bereits. Der SC kickt am Sonntag um 17.30 Uhr bei Hertha BSC. Mein Reiseplan sieht wie folgt aus: Am Sonntag um 6.50 Uhr geht der direkte ICE von Freiburg Hbf bis Berlin Hbf. Planmäßig bin ich um 13.27 Uhr in der Hauptstadt, beziehe mein Zimmer im IntercityHotel und verfolge das Spiel der U23 gegen Rot-Weiß Essen via iPad. In kurzen nachrichtlichen  „Aufsagern“ informiere ich die Radio-Hörer von baden.fm über das Wohl und Wehe der Jungs gegen RWE. Kaum ist das Spiel zu Ende, geht es mit einem Uber oder einem klassischen Taxi (Uber wäre billiger) zum Olympiastadion; die erste Rückkehr nach dem emotional so unvergesslichen Pokalfinal-Erlebnis im Mai.

Und dann spielt unser SC um die Tabellenführung der Bundesliga; Im Siegesfall sind die Jungs zumindest für zwei Stunden Spitzenreiter. Danach kommt es darauf an, wie Union Berlin in Stuttgart spielt.

Ein Sieg bei Hertha ist aber auch nicht einfach so programmiert. Drei Tage nach dem Europa League Heimspiel gegen Qarabag gab es zwar gegen Mönchengladbach ein gutes Spiel vom SC – aber keinen Sieg. 0:0 ging es 1m 11. September aus. Und drei Tage nach dem tollen Sieg in Piräus gabe es ebenfalls ein torloses Remis; diesmal, am 18. September, in Hoffenheim. Gutes Spiel, willkommener Auswärtspunkt, aber eben kein Sieg. Warum also auf einen Sieg in Berlin spekulieren? Ganz ehrlich: Ich könnte auch mit meinem Remis gut leben…

Hertha spielt unter dem neuen Trainer Sandro Schwarz ganz ansehnlichen Fußball, unabhängig von den Turbulenzen im Umfeld. Andererseits hat Hertha noch kein Heimspiel gewonnen in dieser Saison; der einzige Dreier resultiert aus einem 0:2-Auswärtserfolg in Augsburg. Die Spiele im Olympiastadion: 1:1 gegen Frankfurt, 0:1 gegen Dortmund, 2:2 gegen Leverkusen und 1:1 gegen Hoffenheim. Natürlich setzt Hertha gegen Freiburg auf den ersten Heimsieg, weil die Blau-Weißen ausgeruht sind, sich eine Woche auf den SC vorbereiten konnten und zumindest spielerisch auf einem besseren Weg zu sein scheinen als in den Monaten zuvor.

Beim Sport-Club gibt es zunächst mal viele Fragezeichen: Spielt die Mannschaft zum sechsten Mal in derselben Startformation? Wohl kaum! Die Verletzung von Michael Gregoritsch schien nicht so ganz kurzfristig zu beheben sein. Wenn es gut läuft, kommt der Österreicher für das Rückspiel in Nantes wieder in Frage. Also Nils Petersen von Beginn an? Möglich aber nicht sicher… Auch Lucas Höler stand gegen Nantes erstmals wieder im Kader, könnte eine Alternative sein; oder eine Doppelspitze mit Kofi Kyereh und Kevin Schade – auch gut vorstellbar. Wahrscheinlich kickt aber Nils Petersen von Beginn an für „Gregerl“ – der Rest könnte erstmal so bleiben, wie zuletzt. Das sah doch alles ganz gut aus; wenn Corona dem SC kein Schnippchen schlägt. Man muss in diesen Tagen mit allem rechnen... Übrigens: Die Tabellenführung sollte nicht die Hauptrolle in den Köpfen spielen – es geht mehr um eine gewisse Stabilität und darum, weiter Punkte zu sammeln, um ein Polster für schlechtere Zeiten aufzubauen; denn irgendwann fordert die Dreifachbelastung vermutlich Tribut.

Tabellenführung ist auch das Thema der C1 der SG Markgräflerland, mit der ich am Samstag zum Landesligaspiel in Rastatt fahre. Danach schaue ich den „German Classico“ im TV und bereite mich geistig-seelisch auf die lange Bahnfahrt vor.

Ich kommentiere das Bundesligaspiel Hertha BSC gegen SC Freiburg am Sonntag ab 17 Uhr bei baden.fm.

 

Das Fußballspiel

(Mein 1.067. SC-Livespiel am Radiomikrofon)

Wegen der Corona-Infektion, die Cheftrainer Christian Streich sowie seine Assistenten Florian Bruns und Patrick Baier aus dem Rennen genommen hatte, übernahm in Berlin der gerade von COViD19 genesene Lars Vossler die Verantwortung als Coach am Spielfeldrand. Martin Schweizer, Leiter der Freiburger Fußballschule, saß interimsweise für Patrick Baier mit Videokamera auf der Tribüne und stand in Dauerkontakt zu Christian Streich, in häuslicher Isolation vor dem Fernsehschirm auf dem Sofa. Schweizer übermittelte Wünsche und Einfälle des Cheftrainers an Verbindungstrainer Julian Schuster auf der Bank.

Alle Beteiligten sahen eine gut kickende Hertha, die ihren Fans im Olympiastadion, vor den Fernsehern und an den Radiogeräten unbedingt den ersten Heimsieg der Saison schenken wollte. Es entwickelt sich ein zunächst ausgeglichenes Spiel zweier bedächtig, sprich mit der als nötig erachteten Vorsicht agierender Teams. Auffällig sind in der Anfangsphase nur ein paar Unsicherheiten bei Herthas dänischem Keeper Christensen und eine leicht höhere B-Note - für den künstlerischen Wert der Darbietung - auf Seiten das SC Freiburg. Das wird besonders nach einer Temposteigerung ab Minute 20 deutlich. „Litz“ Doan dribbelt wie ein Irrwisch und lässt seine Gegenspieler schlecht aussehen. Zunächst auf halb rechter Position. Der Pass auf Daniel-Kofi Kyereh kommt an, der Abschluss des ghanaischen Nationalspielers gelingt, reflexartig kann Christensen den Ball abwehren - der Torschrei erstirbt auf meinen Lippen. Wenig später, es war die 22. Spielminute, zaubert der gut aufgelegte „Litz“ Doan auf halb linker Position, wieder bedient er Daniel-Kofi Kyereh und diesmal „klingelt“ es… 0:1 für den SC, der einfach mal ein bisschen aufgedreht hat. Fortan kickt der SC sehr souverän und nährt bei mir die Hoffnung auf einen weiteren „Dreier“. Hertha wirkt durch den Rückstand geschockt und kommt zunächst nicht mehr zur Entfaltung.

Als Jovetic nach einem Hertha-Konter den Ball in den Strafraum flanken will, trifft er den Arm von Christian Günter. Die Hand, beziehungsweise der Arm, ging nicht zum Ball, sondern der Ball zur Hand/zum Arm. Da diese(r) jedoch, wenngleich in einer völlig natürliche Haltung und ohne Spannung nicht am Körper anliegt, sondern leicht abgespreizt scheint, bläst Schiedsrichter Robert Schröder aus Hannover in seine Trillerpfeife und zeigt auf den ominösen Punkt - Elfmeter für Hertha BSC. Lukebakio tritt an und lässt Mark Flekken keine Chance; 1:1 in der 34. Minute; eigentlich aus dem Nichts und auch nicht wirklich verdient, aber Hertha ist plötzlich wieder im Spiel - und wie… der Nigerianer Ejuke trifft in der 38. Minute, nachdem er Mark Flekken schon ausgespielt hatte, nur das Außennetz. Plötzlich gibt Hertha im Olympiastadion den Ton an. bis zum Halbzeitpfiff fällt aber kein weiterer Treffer. Pausenstand: 1:1.

Hertha BSC nimmt den Schwung, ausgelöst durch das Elfmetertor zum 1:1, auch mit in die zweite Hälfte. Dem SC gelingt nichts Zwingendes mehr. Der ex-Schalker Serdar, ein Deutsch-Türke im Hertha.Trikot, wird in der 61. Minute nicht angegriffen und hält einfach mal drauf. Gut platziert schlägt der Schuss unten links im Freiburger Tor ein - Mark Flekken war vergeblich abgetaucht. 2:1 - Freiburg in Not…

Frische Kräfte müssen her: Lars Vossler schickt in der 70. Minute Nils Petersen und Kevin Schade für Michael Gregoritsch und Vincenzo Grifo ins Rennen. Sechs Minuten später kommen Wooyeong Jeong für Daniel-Kofi Kyereh und Yannik Keitel für Maximilian Eggestein. Können es die Jungprofis im Team des SC richten?

Der bei hohen Bällen schon in der Anfangsphase unsicher scheinende Torhüter Christensen kann in der 78. Minute einen Freistoß von Christian Günter nicht festhalten, im Menschengewühl im Berliner Strafraum schiebt der ehemalige Freiburger Fussballschüler Yannik Keitel daraufhin den Ball zum ehemaligen Freiburger Fußballschüler Kevin Schade, der im Getümmel die Lücke sucht und findet und den Ball durchs die Beine von Christensen ins Netz schießt - der Ausgleich.

Die Schlussphase lnklusive der drei Minuten Nachspielzeit ist dann wieder ein offener Schlagabtausch zwischen Hertha und dem Sport-Club. Lukas Höler feiert ab der 86. Minute sein Bundesliga-Comeback, als er für „Litz“ Doan, einen der besten Freiburger in Berlin, eingewechselt wird. Entscheidendes wird aber nicht mehr passieren - das Spiel endet leistungsgerecht mit einem 2:2 Unentschieden. Wobei es für Hertha saisonbezogen ein Leistungshöhepunkt war, der SC hat schön bessere Spiele geboten, wobei ein Auswärtspunkt in Berlin sicher aller Ehren wert und nicht zu unterschätzen ist.

 

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Abpfiff in Berlin. 2:2 unentschieden, kurzzeitig Tabellenführer, der SC spielt eine Ausnahme-Saison. Wir müssen uns hüten, über ein Auswärts- Remis in Berlin enttäuscht zu sein, denke ich bei mir und mache mir Gedanken, ob ich meine Technik abbaue, im neuen kleinen Rollkoffer verpacke und mitnimmt nehme oder ob ich alles so liegen lasse, wie es ist, um keine Zeit zu verlieren, zumal die Wege für Journalisten im Berliner Olympiastadion sehr weit und zeitraubend sind. Ich entschließe mich, die Technik erstmal an Ort und Stelle zu lassen und in die weit entfernt liegende Mixedzone zu eilen. Genau das ist der Moment, in dem ich völlig vergesse, dass ich noch die Analyse mit der Spielerbewertung live in der Bundesligashow zu machen habe, bevor ich die Interviews einfange. Ich renne also los und als Benny Resetz mich wenig später anmoderiert, kommt nichts. Man ist mir das peinlich…

Ich bin derweil unterwegs: Runter von der Pressetribüne auf den Aussenring. dort rechts halten, bis zum von einem Ordner bewachten Eingang zur „Pressetreppe“. Dann heißt es Treppen steigen. - immer tiefer in den Keller… ich komme am Niveau des Pressekonferenzraumes vorbei, frage kurz nach der Mixedzone und bekomme gedeutet: „Ganz nach unten“. Also weiter Treppen steigen, bis es nicht weiter runter geht. jetzt ist ein Presse-Tunnel ausgeschildert, eine Art Graben zwischen Spielfeld und Haupttribüne. Ich eile weiter und komme schließlich in der Mixedzone an, gerade früh genug, um noch Torwart Mark Flekken und Kapitän Christian Günter für ein Interview abzugreifen. Zwischen den beiden Talks fällt mir die Sache mit dem Analyse-Take ein, den ich vergessen hatte, der mich aber auch zu spät zur Mixedzone hätte kommen lassen. Ich will Benny informieren, sehe aber, dass er mir schon geschrieben hat: „Ist was passiert? Ist alles in Ordnung?“ er machte sich Sorgen… wie nett. Schnell informierte ich ihn über meinen Fauxpas, versprach ihm aber zeitnah zwei Interviews. als die im Kasten sind, schicke ich sie per E-Mail raus und Benny baut sie als anzuklickende Audio-Interviews in seinen Nachbericht auf der HP www.baden.fm ein. Dann steige ich die Treppen wieder hoch, bis zur PK-Ebene und stelle etwas verwundert fest, dass ich scheinbar der einzige mitgereiste Journalist aus Freiburg bin.

Nach der PK bitte ich Lars Vossler zum Interview und dann ist Feierabend.

Während ich die Anspannung der letzten Stunden verliere, gewissermaßen abschüttele, mache ich mir Gedanken, wie es passieren konnte, dass ich meine letzte Liveschalte vergessen konnte?

Was mich beruhigt: Ohne diesen Umstand hätte ich die Interviews mit „Flecki“ und „Günni“ sicher nicht mehr einholen können. Insofern war der Plan, möglichst schnell loszulaufen, durchaus sinnvoll. Dass sich den Schlusstake dabei verschnarcht habe, schiebe ich jetzt mal auf die besonderen Umstände des Tages: Wecker um fünf Uhr in der Frühe, lange Zugreise, dann in Berlin, kaum angekommen, das Spiel der U23 gegen Rot-Weiß Essen auf dem iPad im Stream von MagentaSport verfolgt und in ein paar Kurzeinblendungen, konkret: rückblickende frei gesprochene Nachrichtenaufsager, bei Baden.fm rausgehauen, sprich, über das Spiel, das überraschend 0:3 verloren ging, berichtet. Kaum war der Schlussbericht über den Sender gegangen, da saß ich schon im Taxi zum Olympiastadion. Kurz: Da war auch eine Menge Stress im Spiel…

Ich packte mein leuchtend grünes Köfferchen - die Alternative wäre rosa gewesen - und suchte den Ausgang… Problem: Die meisten Gittertore der Tribünenausgänge waren bereits zugezogen… erst beim dritten Versuch, sprich beim dritten Mal treppawärts… finde ich einen offenen Spalt im Gitter. Das wäre es noch, in diesem alten Nazi-Bau über Nacht eingeschlossen zu werden, denke ich und halte dann, nach Verlassen des Stadiongeländes Ausschau nach einem Taxi. Erst sehe ich keines, dann kommt aber eine freie Droschke, die mich, mit Zwischenstopp an einem Bankomaten zurück zum IntercityHotel am Hauptbahnhof fährt.

Im Bahnhof hole ich mir noch eine türkische Pizza und drei eisgekühlte und fertig gemixte Dosen Gin-Tonic. Damit bewaffnet ziehe ich mich in meine Gemächer zurück, produziere noch einen „Einminüter“ fürs Frühprogramm von Baden.fm und widme mich ansonsten meinem Hör-Krimi. irgendwie reizte mich Fernsehen an diesem Sonntagabend nicht, trotz Kommissarin Lindholm… Stattdessen verfolge ich im Ergebnisticker, den 0:1-Sieg von Union Berlin in Stuttgart und bin irgendwann müde genug, um wegzudämmern… Schließlich ist um 5.30 Uhr schon wieder die Nacht vorbei…

Es ist Montag, 11.28 Uhr, der ICE aus Berlin rollt grade in den Hauptbahnhof von Mannheim ein. Seit Kassel etwa schreibe ich - erst meine Zeitungskolumne für den ReblandKurier, dann das Tagebuch.

Apropos Zeitungskolumne, hier kommt sie:

 

SC INTEAM

 Dass zu einem Auswärtsspiel des SC Freiburg in Berlin über 40.000 Zuschauer pilgern, darunter 2.000 SC-Anhänger, gehört ebenso zur neuen Freiburger Fußball-Normalität wie der Umstand, dass ein 2:2 bei Hertha BSC  keine grenzenlose Zufriedenheit mehr auslöst. Der Hinweis, dass die Berliner am Sonntag  ihre beste Saisonleistung gezeigt haben und der SC zum zehnten Mal  in Serie ungeschlagen geblieben ist, könnte zur richtigen Einordnung des 2:2  und der aktuellen Saisonphase hilfreich sein. Platz zwei nach neun Spieltagen ist ebenfalls außergewöhnlich. Wie nachhaltig der Freiburger Höhenflug  ist, muss sich noch zeigen. Unstrittig ist, dass die vier Neuzugänge Ginter, Doan, Kyereh und Gregoritsch das fußballerische Niveau des SC Freiburg  deutlich angehoben haben. Hinzu kommt,  dass  Kiliann Sildillia aus der Freiburger Fußballschule als rechter Verteidiger  etablierte Profis wie  Schmid und  Kübler verdrängt hat.  Somit ist die Hälfte der aktuellen Stammelf   neu. Mit dem Qualitätssprung hat sich der SC  vom ewigen Abstiegskandidaten zu einem - womöglich dauerhaften - Aspiranten für die europäischen Wettbewerbe entwickelt.  Zumal mit Platz sechs das internationale Parkett bekanntlich schon im vergangenen Jahr erreicht wurde.  Nach drei Siegen in drei Spielen der UEFA Europa League, kickt der Tabellenführer der Gruppe G am morgigen Donnerstag, 13. Oktober, um 18.45 Uhr beim FC Nantes (live bei RTL+ und baden.fm). Durch einen Erfolg im äußersten Westen  Frankreichs könnte der SC sicherstellen,  auch Anfang 2023 noch auf internationalem Parkett dabei zu sein. Zwar erreicht nur der Gruppensieger das Achtelfinale der Europa League,   durch einen Erfolg am Donnerstag könnte aber Platz zwei und damit die  Zwischenrunde, mit einem Spiel gegen einen der Gruppendritten der Champions League, vorzeitig fix gemacht werden.  Nantes und Piräus wären dann nicht mehr in der Lage, den SC in der Tabelle zu überholen. Schon bei einem Unentschieden wäre das erstmalige  „Überwintern in Europa“ gesichert, da auch die jeweiligen Dritten der Europa-League-Gruppen im internationalen Wettbewerb bleiben und Anfang 2023 in der UEFA Conference League weitermachen dürfen. Primärziel in der Europa League ist natürlich der Gruppensieg - es wäre ein Ereignis für die Geschichtsbücher des Freiburger Sports. (Zitatende)   

Die nächste Dienstreise steht also schon wieder ins Haus: Am Mittwoch klingelt der Wecker im Hause Rischmüller bereits um 4.30 Uhr. das erinnert an alte Morningshow-Zeiten. In den Jahren als ich die Morning-Show „Hallo Wach!?“ bei FR 1 beziehungsweise nach der Umbenennung bei Antenne Südbaden, dem heutigen Baden.fm, moderiert habe, Ende der Neunziger, Anfang der 2000er Jahre, musste ich stets um 4 Uhr aufstehen. Lang, lang ist es her. jetzt also um 4.30 Uhr, denn um 5 Uhr holt mich mein Freund und Kollege Andreas ab, um mit mir zum EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg zu fahren. Der Dritte im Bunde ist Uwe, der mich schon nach Piräus begleitet hatte. Wir fahren gemeinsam zum Airport, uwe fliegt aber etwas später als wir, weil er auch später und eine etwas teurere Flugverbindung gebucht hat. Immerhin fliegt Uwe, was logischer erscheint, mit Zwischenlandung in Paris. Andreas und ich fliegen, weil es preislich einfach viel billiger war, zunächst nach Edinburgh…. Da haben wir dann drei Stunden Aufenthalt und dann gehts weiter nach Nantes - in etwa zeitgleich mit Uwe, in der Mittagszeit, treffen wir dann an unserem gemeinsamen Hotel, fußläufig zehn Minuten vom Stadion La Beaujoire entfernt, ein. Ich glaube, danach werde ich erstmal ausschlafen…

Für 18.30 Uhr ist eine Pressekonferenz des SC im Stadion des FC Nantes angesetzt. Bei dieser Gelegenheit werde ich, ähnlich wie schon in Piräus, meine beziehungsweise die örtliche Technik checken. Ein bis zwei Interviews sind angefragt, also Trainer und/oder Spieler, beides für das aktuelle Abendprogramm von Baden.fm, für die Veröffentlichung auf der Homepage des Senders und als O-Ton-Material für die Nachrichten am Donnerstag, dem klassischen Europa-League-Spieltag.

Der FC Nantes befindet sich nach wie vor in einer sportlichen Abwärtsspirale. Am Sonntag, als der SC in Berlin unentschieden spielte, verlor der FCN das französische West-Derby in Rennes sang- und klanglos mit 3:0. die West-Franzosen werden jetzt auf eine Wende im eigenen Stadion hoffen, wo sie vor einigen Wochen, beim Last-Minute-Sieg (2:1) gegen Olympiakos Piräus, ihr letztes Erfolgserlebnis hatten.

Der SC hat am Donnerstag eine historische Chance. Mit dem vierten Sieg im vierten Spiel der Europa League Saison könnte der Sport-Club nicht nur dem Ziel Achtelfinale erheblich näher kommen, das „Überwintern in Europa“, das es in Freiburg bekanntlich noch nie gegeben hat, könnte schon eingetütet werden.

Zu Übermut besteht freilich kein Grund, ist der Gegner FC Nantes doch im eigenen Stadion „La Beaujoire“ eine andere „Nummer“ als derzeit auf des Gegners Platz. Andererseits: Auch Bangemachen gilt nicht; Die vielen Spiele haben beide Kontrahenten in den Knochen - es wird schlicht um Qualität, Konzentration und Tagesform gehen. Ich freue mich auf das nächste internationale Abenteuer auf den Spuren des SC…